Syrien-Krieg Erdogan und Putin stecken ihre Claims ab

Trotz aller Konflikte in der Vergangenheit: Der türkische und der russische Präsident denken über eine Nachkriegsordnung für Syrien nach. Dabei muss es Erdogan und Putin darum gehen, den IS weiter zu schwächen.

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Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin beraten über Syrien Quelle: dpa

Istanbul Wenn der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan heute mit Russlands Präsident Wladimir Putin zusammentrifft, geht es vor allem um ein Thema: den Krieg in Syrien. Militärisch nähert sich der Krieg dem Ende. Aber es ist auch eine rasche politische Lösung erforderlich, über die sich die beiden Präsidenten in Sotschi austauschen wollen.

Nach Angaben des Kreml soll es dabei auch um einen Kongress der Völker Syriens gehen. Bei diesem Treffen will Russland über eine Nachkriegsordnung für das weitgehend zerstörte Land beraten lassen. Doch genau dabei könnte es einen weiteren Konflikt geben. Denn zu dem Kongress ist auch die syrische Kurdenpartei PYD eingeladen, die von der Regierung in Ankara als Teil der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK bekämpft wird. Trotzdem macht Moskau Druck, eine politische Lösung für Syrien zu finden.

Dass sich zwischen Erdogan und Putin ein Bündnis entwickelt, hatte bis vor kurzem kaum jemand erwartet. Als der Krieg in Syrien im Jahr 2014 Fahrt aufnahm, entpuppte sich Russland schnell als Förderer des aktuellen syrischen Machthabers Baschar al-Assad – während Erdogan offen für ein Ende von Assads Herrschaft warb. Ein gutes Jahr später, im November 2015, schossen türkische Flugabwehrraketen im türkisch-syrischen Grenzgebiet einen russischen Jet ab. Der Beginn einer tiefen diplomatischen Krise zwischen Moskau und Ankara, mit Wirtschaftssanktionen auf beiden Seiten. Erst ein Entschuldigungsschreiben Erdogans im August 2016 glättete die Wogen.

Seitdem scheint alles im Lot, auch wenn beide Staatschefs gerade im Nahen Osten nach wie vor unterschiedliche Ziele verfolgen. Doch die beiden Staatspräsidenten haben seitdem begonnen, den Fortgang des Syrienkonflikts unter sich auszumachen. Europa schaut zu, während Erdogan und Putin bestimmen, wo die nächsten konfliktfreien Zonen in Syrien eingerichtet werden sollen.  

Längst haben die Mächte außerdem damit begonnen, die Claims für die Zeit nach dem IS abzustecken. Auch deshalb dürfte Erdogan den Weg über das Schwarze Meer nach Sotschi auf sich nehmen, obwohl er eigentlich auch im eigenen Land genug zu tun hätte.

Das Vakuum, das der IS hinterlässt, könnte einen Sog erzeugen, das Länder wie Saudi-Arabien, Iran, Russland, die Türkei und nicht zuletzt Europa und vor allem die USA in die nächste Krise ziehen könnte. 

Hinzu kommt: Der Wettkampf unter den verschiedenen dschihadistischen Gruppen in der Region dürfte sich verstärken. Für einige dieser Gruppen war der IS nur das Dach, unter dem sie zusammenfanden. „Ein Auseinanderbrechen der IS-Struktur könnte den Wettbewerb unter den alten Terrorgruppen in der Region hervorrufen“, warnt die Politikwissenschaftlerin Tania Ocampos, die auf die EU-Strategie im Nahen Osten spezialisiert ist. Sie glaubt außerdem, dass sich einzelne ehemalige IS-Mitglieder abspalten und neue Terrorziele definieren können.

Ocampos hat dabei beobachtet, dass die meisten westlichen Staaten lediglich darauf aus seien, die terroristischen Bedrohungen im eigenen Land einzudämmen. „Die Sicherheitsbehörden sollten ein Auge darauf werfen, wie sie mit einer möglichen Autonomie von ehemaligen IS-Filialen und einem wachsenden Wettbewerb untereinander um Mitglieder und Prestige umgehen wollen“, warnt die Analystin.

Anders ausgedrückt: Um sich gegenseitig zu übertreffen und so attraktiv für Mitglieder zu werden, könnten einzelne weltweit zerstreute Terrorgruppen noch größere und schlimmere Attacken planen, als dies bisher schon geschehen ist. Die kleinen Gruppen hätten dabei den Vorteil, dass sie kein Land erkämpfen müssen, sondern bestehende Infrastrukturen nutzen würden – mit verheerenden Folgen.

Auch deshalb müssen Erdogan und Putin schnell eine Lösung für Syrien finden.

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