Syrien-Krieg Warum Assad auf Eskalation setzt

Wenn der Waffenstillstand in Syrien hält, wollen Moskau und Washington gemeinsam gegen den IS vorgehen. Doch der syrische Machthaber Baschar al-Assad hat gar kein Interesse an Deeskalation. Eine Analyse.

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Ein Mann versucht ein Feuer nach einem Luftangriff der syrischen Regierungstruppen in der Nähe von Damaskus zu löschen. Quelle: dpa

Damaskus Diese Woche dürfen sich die Menschen in Syrien – wieder einmal – etwas Hoffnung machen. Bei Sonnenuntergang am Montagabend sollte ein siebentägiger Waffenstillstand in Kraft treten. Hilfswerke hatten Lastwagen beladen, die von der Türkei aus in Richtung Aleppo fahren sollen, sobald die Waffen schweigen.

Mit Beginn der Waffenruhe in Syrien sind die Kämpfe zunächst deutlich abgeflaut. Kurz nach dem Beginn der Feuerpause am Montag um 18 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit sei es in allen Teilen des Landes zunächst ruhig geblieben, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte der Deutschen Presse-Agentur mir. Die Hilfsorganisation Weißhelme sagt, dass zunächst keine Kampfjets mehr über der besonders umkämpften Großstadt Aleppo flögen.

Die moderate Opposition in Syrien hatte die Feuerpause begrüßt, aber „Garantien“ gefordert, dass sich die syrischen Truppen an die Absprachen halten. Sie befürchtet, das Regime könnte die Feuerpause nutzen, um Gebiete zurückzuerobern. Das Rebellenbündnis Syrische Koalition bezeichnete Waffenruhe als „Schritt in die richtige Richtung“.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte die Konfliktparteien auf, die Feuerpause nun auch einzuhalten. „Wir haben jetzt zumindest wieder eine halbwegs realistische Chance, den vom Krieg gebeutelten Menschen in Syrien tatsächlich Hilfe zukommen zu lassen“, sagte Steinmeier am Montag in Berlin. „Spiele auf dem Rücken der Menschen und Taktierereien um Geländegewinne, das muss jetzt ein Ende haben.“

Syriens wichtigstes Oppositionsbündnis forderte die europäischen Länder auf, sich politisch stärker für ein Ende des Krieges zu engagieren. Salim Muslit, Sprecher des Hohen Verhandlungskomitees der Regimegegner (HNC), sagte der „Süddeutschen Zeitung“, es gehe nicht um ein militärisches Engagement der Europäer. Von den Verhandlungen für die Waffenruhe seien die Europäer „ausgeschlossen“ gewesen. „Ich glaube, der Effekt, ob er negativ oder positiv sein wird, betrifft vor allem Europa“, sagte Muslit. Je früher die Probleme in Syrien gelöst würden, „desto früher werden auch Syrer in ihre Heimat zurückkehren können“, fügte der Sprecher hinzu.

In den Stunden vor der Waffenruhe hatten Luftangriffe und Kämpfe noch viele Zivilisten in Syrien getötet, unter anderem starben 13 Zivilisten bei einem Bombardement in der nordwestlichen Provinz Aleppo.

Doch Waffenruhe hin oder her: Assad setzt auf eine militärische Lösung der Krise. Er wolle das gesamte Staatsgebiet wieder unter seine Kontrolle bringen, sagte er wenige Stunden vor Beginn der Waffenruhe, die in der Nacht auf Samstag von US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow vereinbart worden war.

Der syrische Staat sei entschlossen, „jedes Gebiet von den Terroristen zurückzuerobern“, meinte der syrische Herrscher laut staatlichen Medien am Montag bei einem seltenen öffentlichen Auftritt in der einstigen Rebellenhochburg Daraya. Dort nahm er gemeinsam mit Ministern und Abgeordneten an einem Gebet in der Moschee teil. Damit gab er unmissverständlich und symbolträchtig zu verstehen, dass er nicht in Friedensstimmung sei. Seine Truppen hatten Daraya erst im letzten Monat von den Rebellen zurückerobert. Vorausgegangen waren vier Jahre Belagerung und Luftangriffe.

Die meisten Beobachter bezweifeln deshalb, dass die Feuerpause eingehalten wird, die zunächst nur für 48 Stunden gelten soll. Präsident Baschar al-Assad hat das Abkommen zwar ausdrücklich begrüßt. Damit hat er indirekt zugesagt, die Luftangriffe auf Städte wie Aleppo einzustellen und keine Fassbomben abzuwerfen.


Gemeinsamer Feind IS als Deckmantel

Diese Zusicherung sei indessen nicht ernst gemeint, vermutet Firas Abi Ali vom militärischen Branchendienst IHS und sagt: „Assad hat kein Interesse an einer Waffenruhe.“ Vielmehr liege Eskalation im Interesse des syrischen Herrschers: „Dann sind Moskau und Teheran verpflichtet, ihm beizustehen.“ Bei einem Ende des Konflikts müsste Assad befürchten, abgesetzt und ersetzt zu werden, sagt Abi Ali. Das wollen auch seine engen Verbündeten nicht: Russland, der Iran und die Hisbollah.

An Gründen, den Waffenstillstand zu brechen, werde es Assad in den nächsten Tagen nicht fehlen, sagen westliche Militärbeobachter. So gelte die amerikanisch-russische Vereinbarung nicht für Gebiete, die unter der Kontrolle der Dschihadisten stehen. Ein Selbstmordattentat des IS oder ein Angriff von Al-Qaida-Dschihadisten könnten Assads Truppen als bequemen Vorwand nutzen, um sich über den Waffenstillstand hinwegzusetzen.

Unklar ist zudem, ob die zahlreichen Rebellengruppen den Deal respektieren werden. Die USA müssten sie dazu bewegen, auf die Zusammenarbeit mit radikalen Islamistengruppen zu verzichten und den Waffenstillstand einzuhalten. Die Waffen schweigen diese Woche deshalb nur, wenn der Einfluss Washingtons auf die Rebellengruppen stark genug ist. Die Chancen dafür stehen schlecht. Rebellen kritisieren den Deal bereits jetzt als „halbe Lösung“ und halten sich die Option offen, weiter zu kämpfen. 

Heuchlerisch klingt die Absichtserklärung der Außenminister Amerikas und Russlands, dass die beiden Großmacht-Rivalen in Syrien gemeinsam gegen IS-Milizen vorgehen wollen, sollte die Waffenruhe während sieben Tagen eingehalten werden. Denn im Grunde steht der Kampf gegen den IS längst nicht mehr im Vordergrund, sagt Nahostexperte Uzi Rabi von der Universität Tel Aviv. Der Islamische Staat sei ein gemeinsamer Nenner, auf den sich so unterschiedliche Staaten wie Russland, Amerika, die Türkei oder der Iran als Feind einigen können.

Aber deren Kampf gegen den IS sei bloß ein „Deckmantel, hinter dem jeder seine eigenen Interessen in Syrien verstecke“, sagt Rabi. Ankara wolle das Entstehen autonomer Kurdengebiete verhindern, Damaskus die Rebellen erledigen, Washington Assad absetzen, Moskau seinen Einfluss im Nahen Osten ausbauen und Teheran den schiitischen Einfluss verstärken. Der IS sei jedermanns Feind, so Rabi, „und das ist eine nützliche Ausrede, um in Syrien weiter zu kämpfen.“ Er plädiert für eine „föderative Lösung“. Das könnte die territorialen Konflikte entschärfen.

Die Vielzahl der Akteure und Interessen, die in Syrien aufeinanderprallen, stehen zwar vorerst einer politischen Lösung der Krise entgegen. Allerdings, meint die Beiruter Bürochefin der New York Times, Anne Barnard, könnten Assads Sponsoren auf einer Teilung des Landes bestehen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Auch wäre eine „informelle Teilung“ allenfalls eine taugliche Grundlage, um Syrien eines Tages wieder zu einigen, meint der syrische Ökonom Jihad Yazigi in einem für das Land seltenen Anflug von Optimismus, der bald schon von neuen Kriegshandlungen zerstört werden könnte.

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