Tauchsieder

Ein guter, ein schlechter, ein fauler Kompromiss?

Seite 2/3

Fauler Kompromiss?

Ein fauler Kompromiss, so Margalit, liegt immer dann vor, wenn er "jederzeit moralisch falsch" ist, weil er Regime der Grausamkeit und Erniedrigung begünstigt - Regime, die "Menschen nicht wie Menschen" behandeln. Das Münchener Abkommen (1938) zum Beispiel ist für Margalit der klassische Fall eines faulen Kompromisses - und zwar nicht in erster Linie wegen seines Inhaltes und schon gar nicht wegen Chamberlains Motiv (Erhaltung des Friedens durch Beschwichtigung), sondern weil es mit Adolf Hitler geschlossen wurde: "Ein Pakt mit Hitler war ein Pakt mit dem radikal Bösen", so Margalit, und damit meint er nicht, dass Hitler Böses tat, "sondern dass er die Grundidee der Moral auszumerzen versuchte - indem er die Prämisse zurückwies, auf der jegliche Moral basiert, nämlich unser gemeinsames Menschsein". Anders gesagt: Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtfertigen eine militärische Intervention, weil sie einem Angriff auf das Fundament gleichkommen, auf dem alle Moral basiert. 

Münchner Sicherheitskonferenz

Entsprechend faul war auch der Kompromiss, den Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt mit Josef Stalin in Jalta erzielten: das Ende des gemeinsamen Krieges gegen Nazi-Deutschland war absehbar, als Großbritannien und die USA mit der "Operation Keelhaul" die Zwangs-Repatriierung von zweieinhalb Millionen Menschen aus der Sowjetunion beschlossen, über deren Schicksal in den Händen von Stalin sich die beiden Staatsmänner durchaus im klaren waren. Lässt man sich auf Margalits moralische Definition eines "faulen Kompromisses" ein, ist die Zahl der eindeutigen historischen Beispiele durchaus begrenzt. Interessant ist der Fall von Thomas Jefferson, der für das Zusammenwachsen der Amerikanischen Union bereit war, die Sklaverei zu akzeptieren - obwohl er von ihrer Verwerflichkeit schon damals überzeugt war. Selbst wenn Jefferson der Überzeugung gewesen wäre, die Union könne das Ende der Sklaverei beschleunigen, so konnte er doch unmöglich absehen, dies würde in zehn, zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren der Fall sein.

Der biblische Gedanke einer "Wüstengeneration" aber, deren Leben geopfert werden darf, damit spätere Generationen das ihre in Freiheit und Prosperität genießen können, sei moralisch verwerflich, so Margalit ganz im Sinne von Immanuel Kant: Wir dürfen Menschen nicht als Mittel zu einem Zweck einsetzen. Mindestens aber muss ein Kompromiss, will er nicht faul sein, "innerhalb des Horizonts einer lebenden Generation" die konkrete Aussicht auf Überwindung des Übels beinhalten.  

Ein fauler Kompromiss, so Margalit weiter, unterscheidet sich scharf von einem guten und einem schlechten Kompromiss. Ein guter Kompromiss ist nicht primär dadurch gekennzeichnet, dass sich beide Seiten auf halbem Wege entgegenkommen und "Frieden" schließen, sondern ein guter Kompromiss ist ein Kompromiss, der aus Feinden Rivalen macht, Hostilität neutralisiert und den Verhandlungspartner als Träger berechtigter Interessen anerkennt. 

Was das anbelangt, kann man den Minsk-Gipfel in einer ersten Anmutung durchaus als guten Kompromiss bezeichnen: Beide Seiten haben Träume aufgegeben, Maximalpositionen geräumt, die Sichtweise des Rivalen anerkannt, Zugeständnisse gemacht. Entscheidend ist nun, ob dem Kompromiss von beiden Seiten auch seine wörtliche Bedeutung beigemessen, das heißt: ob er als co-promissum, als gegenseitiges Versprechen verstanden wird. Nur auf diese Weise kann Vertrauen wachsen und Konkurrenz sich in Kooperation verwandeln.

Doch selbst wenn Russland und die Ukraine das Minsker Abkommen in den nächsten Monaten 1:1 umsetzen werden - handelt es sich wirklich um einen guten Kompromiss, den Merkel und Hollande den Herren Putin und Poroschenko da abgerungen haben? Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Merkel selbst hat vorab eingeräumt, dass sie daran Zweifel hegt. Als sie auf der Münchener Sicherheitskonferenz vor zehn Tagen darauf hinwies, dass auch der Bau der Berliner Mauer 1961 kein Kriegsgrund gewesen sei, versteckten sich dahinter mindestens drei widersprüchliche Botschaften. Erstens: Auch ich, Angela Merkel, habe mich 28 Jahre in Geduld üben müssen, bevor ich die Freiheit genießen durfte. Zweitens: Ich, Angela Merkel, bin unabhängig vom Ausgang der anstehenden Waffenstillstandsgespräche nicht nur von der Überlegenheit des Rechtsstaates, der Demokratie, der Meinungsfreiheit und der Unveräußerlichkeit individueller Grundrechte überzeugt, sondern auch davon, dass sich "westliche Werte" mittelfristig in der Ukraine (und in Russland über Putin hinweg) durchsetzen werden.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%