Terrormiliz IS Ein wahrer Gotteskrieger gibt nicht auf

In Syrien stockt der Vormarsch, im Irak sind die Dschihadisten auf dem Rückzug: Nach knapp sechs Monaten beginnt der Islamische Staat zu wanken. Das selbsternannte „Kalifat“ ist nicht am Ende. Aber es zeigt Risse.

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Anhänger der Terrormiliz IS in Mosul, Irak. Quelle: ap

Al-Rakka Den Dschihadisten in der Stadt Sindschar im Nordirak blieb nur die Flucht - die von Kampfflugzeugen unterstützten „Hunde Israels“ waren zu stark. So in etwa dürften die geschlagenen Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) argumentiert haben, als ihre Glaubensbrüder sie zur Rechenschaft zogen. Es nutzte ihnen nichts: Sie wurden von ihren eigenen Kameraden hingerichtet.

Die Kämpfer hatten am Samstag Sindschar aufgegeben, eine Stadt, von der aus ihre Sunnitenmiliz seit August das nordirakische Grenzgebiet nach Syrien kontrollierte und Tausende Flüchtlinge im nördlich gelegenen Sindschar-Gebirge einkesselte. Rund 8000 kurdische Peschmerga-Kämpfer hatten den Weg zum Gebirge freigekämpft und die Stadt überrannt.

Die Dschihadisten ließen – so zeigen es im Internet verbreitete Fotos – nur eine beschmierte Kurdenflagge zurück. In arabischer Schrift hatten sie „Das ist die Flagge der Hunde Israels“ draufgeschrieben.

Doch für den IS gilt: Ein Gotteskrieger gibt nicht auf, denn wer im Gefecht fällt, dem winkt das Himmelreich. Augenzeugen berichteten der Deutschen Presse-Agentur, wie die Dschihadisten im nordirakischen Mossul am Sonntag 45 Männer aus ihren eigenen Reihen töteten, die sich der Flucht schuldig gemacht hätten.

Auch in Syrien soll die radikale Sunnitenmiliz hart gegen ihre eigenen Mitglieder vorgehen. Zwei in der nordsyrischen Stadt Al-Rakka lebende Aktivisten bestätigten der Deutschen Presse-Agentur, dass in den vergangenen Monaten mindestens 100 ausländische Dschihadisten getötet worden sein. Die Männer, vornehmlich aus Europa, seien kriegsmüde gewesen und hätten in ihre Heimat zurückkehren wollen. Das „Kalifat“ ist nicht am Ende –US-Militärs prognostizieren einen jahrelangen Kampf. Aber es zeigt Risse.


Islamisten werden des Kämpfens müde

Ende Juni hatte IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani den Nachfolgestaat des Reiches des Propheten Mohammed ausgerufen. Binnen kurzem hatten die Dschihadisten in Syrien und im Irak jeweils rund ein Drittel der Fläche erobert. Im Irak rückten sie von Mossul aus gen Bagdad vor, in Syrien breiteten sie sich gen Aleppo aus.

Die Expansion schien keine Grenzen zu kennen: Der Titel der letzten Ausgabe ihres Internetmagazins „Dabiq“ zeigte gar eine Fotomontage, auf der die schwarze IS-Flagge auf dem Petersplatz im Vatikan weht.

Doch seit Anfang August werden IS-Stellungen im Irak bombardiert, seit Ende September auch in Syrien. Ein von den USA geführtes Bündnis fliegt die Angriffe. Mehrere hochrangige IS-Anführer sollen bereits umgekommen sein; in den letzten Wochen konnte die irakische Armee gemeinsam mit den Peschmerga wieder Boden gut machen. Auch das hart umkämpfte Kobane in Nordsyrien konnte der IS bislang trotz Überzahl und Einsatz von Panzern nicht erobern. Am Dienstag dauert die Besetzung der Enklave bereits 100 Tage.

In dieser Situation werden immer mehr Islamisten, die aus dem Ausland in ihren Traumstaat geeilt waren, des Kämpfens müde. Doch schon bei der Gründung des Kalifats hatte Al-Adnani gemahnt: „Wenn ihr den Staat im Stich lässt, dann werdet ihr ihm doch nicht schaden. Ihr werdet nur euch selbst schaden.“

Im Kalifat herrschen strenge, mittelalterlich anmutende Regeln. In den eroberten Gebieten müssen Frauen sich verhüllen. Männer werden zum Beten gezwungen, schon für einfache Vergehen wird die Hand abgehakt. Wer sich nicht beugt, wird als „Ungläubiger“ hingerichtet und gekreuzigt. Im Internet haben die Dschihadisten zur Abschreckung Fotos von Aufgepflockten verbreitet. Auch Videos barbarischer Enthauptungen werden hochgeladen.

Bisher trafen die drakonischen Strafen vor allem Gegner des Kalifats. In Syrien waren erst vergangene Woche Massengräber mit rund 700 Toten eines verfeindeten Stammes entdeckt worden. Im Irak wurde ein Grab mit Dutzenden getöteter Jesiden entdeckt. Nun richtet der IS seine brutale Praxis auch gegen vermutete Abtrünnige in den eigenen Reihen. Ob die Bestrafung eigener Dschihadisten die Reihen der Kämpfer geschlossen halten kann, bleibt abzuwarten.

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