Textilhochburg Iwanowo Sanktionen machen Russlands Industrie zu schaffen

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Russland fehlt ein global wettbewerbsfähiges Wirtschaftssystem

Einer der wenigen erfolgreichen Exporteure ist Wasili Guschtschin, Geschäftsführer bei Ivregion Synthes, einem der größten Textilhersteller der Region und Lieferant von Ikea. Der Manager ist stolz darauf, dass sein Betrieb die Krise von 2009/10 überstanden hat, als viele Wettbewerber insolvent gingen. „Ausgerechnet in dem Moment, als die Wirtschaftskrise in Russland begann, kam es zu einem unbeschreiblichen Anstieg der Baumwollpreise.“ Das immerhin sei heute anders.

„Die Nachfrage im Export ist da, und wir haben durch den niedrigen Rubel-Kurs Wettbewerbsfähigkeit gewonnen“, sagt der Unternehmer. Den Währungseffekt fresse zwar teilweise der teurere Import von Baumwolle auf, die er aus Zentralasien kauft und in Dollar abrechnet. Zudem seien Farben und Chemikalien teuer geworden. Vor allem aber fehlten Kapazitäten, denn die vorhandenen seien ausgelastet.

Frau in einer Fabrik in Iwanowo

Guschtschin bezweifelt jedoch, dass es auch zu einem Nachfrageschub im Binnenmarkt kommt: „In schweren Zeiten wie diesen kaufen die Russen keine Haushaltstextilien, sondern Fernseher und Kühlschränke.“ Die gelten als Wertanlagen.

Politiker faseln in Russland dieser Tage gern von den vielen im Land produzierten Produkten.

Import-Substitution heißt das Zauberwort in den staatlich gelenkten Medien. Es transportiert den Trotz der stolzen Russen gegenüber den westlichen Sanktionen: Wir können uns selbst versorgen! Wir brauchen das Ausland nicht, sondern können es vielmehr beliefern.

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Manager Guschtschin, ein zupackender Mann mit feiner Ironie, kann darüber nur müde lächeln: „Das Finanzsystem ist im Moment nicht in der Lage, schnell das Kapital für nötige Investitionen bereitzustellen.“ Egal, ob man in Vorprodukte, Kapazitäten oder Prozesse zur Qualitätssteigerung investieren muss – der Kreditmarkt ist auch für größere Hersteller wie verriegelt.

So rächt sich jetzt, was russische Wirtschaftspolitiker über Jahre versäumt haben: den Aufbau eines global wettbewerbsfähigen Wirtschaftssystems mit Rechtssicherheit, Investitionsschutz und stabiler Währung. Eines Systems, das dank einer diversifizierten Exportstruktur auch in Zeiten niedriger Öl- und Gaspreise nicht sofort in die Krise schlittert, weil es Kapital von außen anzieht, in konjunkturell guten wie in schlechten Zeiten. Diese Modernisierung hatte Ex-Präsident Dmitri Medwedew versprochen und Putin nie eingehalten – zum Ärger der Unternehmer.

Synthetische Textilien

Dennoch plant Guschtschin den Bau einer Fabrik für synthetische Textilien, die umgerechnet mehr als 200 Millionen Euro kosten soll. Ob er wie gehofft im Sommer starten kann, ist ungewiss. Denn bei der Finanzierung ist er auf ein Konsortium europäischer Banken angewiesen. Welche das sind und ob sie an Bord bleiben, verrät der Unternehmer nicht.

Künftig will er zum Beispiel effiziente Dämmstoffe herstellen und feuerabweisende Materialien für Arbeiter von Bohrinseln. „Technische Textilien bieten uns ein riesiges Potenzial, das auch das Überleben des klassischen Segments der Heimtextilien sichert“, verspricht der Manager, der auch Vize-Präsident der Union der Textilunternehmer und der Leichtindustrie ist. Von seinen 1000 Mitarbeitern in der Produktion hat er bislang noch niemanden entlassen müssen: Die seien nicht leicht zu ersetzen. Noch hofft er darauf, dass sich die Gesamtlage entspannt, befürchtet aber: „Ein positives Szenario wird es für 2015 nicht geben.“

Bräute sieht man heute wenige im Straßenbild von Iwanowo – wer etwas auf sich hält, heiratet lieber in Moskau. Die Textilmanager Guschtschin und Kusnezow wollen die Hoffnung nicht aufgeben: Bislang haben sie noch jede Krise überstanden.

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