Textilhochburg Iwanowo Sanktionen machen Russlands Industrie zu schaffen

Ein Besuch in der Textilhochburg Iwanowo zeigt, wie sich der schwache Rubel und die Wirtschaftssanktionen auf russische Unternehmen auswirken.

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Ausgemusterte Sowjet-Spinnmaschinen

Ein grauer Schleier aus Staub und Baumwolle bedeckt die Überreste der russischen Textilindustrie. In Reih und Glied harren die letzten der gut 50 Jahre alten grünen Spinnmaschinen, die zu Sowjetzeiten den Ruf der Stadt Iwanowo als russisches Manchester begründeten, des Abtransports zur Schrottpresse. An ihnen fertigten die einst bis zu 7000 Mitarbeiter des Textilherstellers Schujskije Sitzy Bettzeug und Tischdecken aus Kattun.

Die gut sechs Autostunden nordöstlich von Moskau gelegene Stadt wurde Ende des 18. Jahrhunderts zur Textilhochburg: Damals hatte Zarin Katharina II. den Stofffabrikanten Steuern erlassen, um für verarmte Bauern Arbeit zu schaffen. Statt derer kamen Näherinnen aus dem ganzen Zarenreich, die Iwanowo bis weit in die Sowjetzeit hinein zur „Stadt der Bräute“ machte.

Nach dem Ende des Sozialismus schrumpfte mit der Textilbranche auch die Einwohnerzahl von Iwanowo um ein Fünftel auf 400.000. Doch heute stört im alten Maschinenhaus von Schujskije Sitzy ein Höllenlärm aus dem Fabriksaal nebenan die Friedhofsruhe: High-Tech-Spinnräder des Weltmarktführers Trützschler aus Mönchengladbach rattern dort vollautomatisch rund um die Uhr. Ingenieure steuern die Anlage aus dem klimatisierten Kontrollraum wie ein Atomkraftwerk.

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Roman Kusnezow ist stolz auf das Werk, dessen Chef er ist: „Wir produzieren jeden Monat 1500 Tonnen Stoff.“ Das sei so viel wie nie zuvor in der bald 200-jährigen Unternehmensgeschichte – obwohl nur noch 800 Mitarbeiter übrig sind.

Risiko Rubel-Kurs

Nach dem Siechtum der Textilindustrie infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise müsste jetzt wieder Goldgräberstimmung herrschen in Iwanowo. Betriebe wie Schujskije Sitzy, die bis 2008 in moderne Anlagen investiert haben, sollten vom niedrigen Rubel profitieren. Dessen Kurs stürzte wegen der Ukrainepolitik von Präsident Wladimir Putin, Kapitalflucht und westlichen Sanktionen 2014 um fast die Hälfte gegenüber dem Euro und gar um 60 Prozent gegenüber dem Dollar.

Das macht russische Produkte schlagartig wettbewerbsfähiger im Export. Zugleich sollte die Nachfrage nach heimischen Gütern anziehen: Der schwache Rubel verteuert Importkleidung, made in Iwanowo dagegen bleibt erschwinglich.

Roman Kusnezow

Das Textilzentrum könnte also zum Gewinner der Krise werden, während man sich in Moskau auf eine um vier, fünf Prozent sinkende Wirtschaftskraft vorbereitet. Wären da nicht auch Hemmnisse: Der fallende Rubel verteuert zugleich Rohstoffe und Zulieferteile aus dem Ausland. Und die westlichen Sanktionen machen die Finanzierung von neuen Investitionen praktisch unmöglich.

Noch sehen sich Unternehmen wie Sitzy daher nicht als klare Krisenprofiteure. Zu unübersichtlich ist die Lage. Kusnezow, ein knorriger Mann mit Bürstenschnitt und harten Gesichtszügen, schwärmt zwar von deutscher Produktionstechnik und zweifelt keine Sekunde an der Wettbewerbsfähigkeit seines Unternehmens mit einem Jahresumsatz von umgerechnet 33 Millionen Euro. Bei ihm kaufen etwa Möbelriese Ikea und die Düsseldorfer Metro für den russischen Markt ein. Aber er sorgt sich um seine Einkaufskosten: „Die Baumwollpreise fallen, aber nicht so tief wie der Rubel.“

Galina Barikina

Bei Ersatzteilen und Chemikalien sei er auf deutsche Lieferanten angewiesen, deren Waren der Rubel-Verfall deutlich verteuert. Immerhin habe man sich mit den Deutschen auf einen Kompromisspreis geeinigt, um nicht wie andere Textilfabriken die Bestellungen stornieren zu müssen: „Im Sinne der Qualität wollen wir die Chemie weiter aus Europa importieren.“

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