Thailands neue Verfassung Die Generäle kämpfen um die Macht

Zum ersten Mal seit dem Militärputsch vor zwei Jahren haben die Thailänder wieder die Wahl: Sie stimmen heute über eine neue Verfassung ab. Kritiker halten die Wahl jedoch für alles andere als demokratisch.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ein Ja-Votum macht die Generäle auch nach der Wahl einer zivilen Regierung zu einem einflussreichen politischen Faktor. Quelle: dpa

Bangkok Auch zwei Jahre nach ihrer Entmachtung hat Thailands frühere Regierungschefin noch immer treue Fans. Hunderte ihrer Anhänger drängen sich am Freitagmorgen um Yingluck Shinawatra, deren Regierung vor mehr als zwei Jahren bei einem Militärputsch vertrieben worden war. Sie muss sich vor Gericht wegen angeblicher Misswirtschaft verantworten. Ihre Anhänger reichen ihr als Zeichen der Solidarität rote Rosen und halten gerahmte Portraitfotos der Politikerin in die Luft.

Die Demonstration von Yinglucks Beliebtheit kommt für das neue Regime zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Mit einem landesweiten Referendum am Sonntag will die herrschende Militärjunta dem südostasiatischen Land eine neue Verfassung geben – und damit die eigene Macht absichern. Der Chef der Militärjunta, Prayuth Chan-ocha, gab seine Stimme am Morgen in der Hauptstadt Bangkok ab. Erste Ergebnisse wurden am Abend (21 Uhr Ortszeit, 16 Uhr MESZ) erwartet. Die Endergebnisse soll es erst in drei Tagen geben.

Das Ergebnis ist für das Land von zentraler Bedeutung: Ein Ja-Votum macht die Generäle auch nach der Wahl einer zivilen Regierung zu einem einflussreichen politischen Faktor. Von einem mehrheitlichen Nein erhoffen sich hingegen die Regimegegner Rückenwind.

Die Ausgangslage könnte für die Kritiker der Junta jedoch kaum schwerer sein: Das Militär ließ politische Kampagnen zum Verfassungsentwurf verbieten – bei Verstößen drohen bis zu zehn Jahre Haft. Theoretisch gilt die Regel für Befürworter ebenso wie für Gegner. Doch unter den Dutzenden Aktivisten, die in den vergangenen Wochen festgenommen wurden, befanden sich ausschließlich Personen, die nach Angaben des Regimes gegen das Dokument Stimmung machten.

„Das ist kein demokratischer Prozess“, sagt Charles Santiago, ein malaysischer Abgeordneter, der der südostasiatischen Parlamentariergruppe für Menschenrechte vorsitzt. „Die Behörden haben sich aktiv darum bemüht, eine informierte Debatte zu unterbinden.“

Um über die Verfassung, ein rund 100 Seiten langes Dokument, zu informieren, ließ die Militärregierung zwar Hunderttausende Gesandte ausbilden, die in den Dörfern das Dokument erklären sollen. Kritiker bezweifeln allerdings die Neutralität der Verfassungspräsentatoren. In offiziellen Verlautbarungen wird das Dokument als „Anti-Korruptionsverfassung“ vorgestellt.

Öffentliche Debatten, auch an Universitäten, wurden unterdessen mehrfach verboten. Vor der möglichen Einführung der bereits 20. Verfassung innerhalb von fast neun Jahrzehnten erlebt Thailand eine Wahl ohne Wahlkampf. Abgesehen von vereinzelten Bannern, die allgemein zum Wählen auffordern, ist in der Hauptstadt Bangkok nichts von der bevorstehenden Abstimmung zu sehen.

„Ich habe keine Ahnung, was gut oder schlecht an der Verfassung ist“, sagt der 21 Jahre alte Architekturstudent Krittatot Karnjanadecha. „Ich werde deshalb am Sonntag auch nicht abstimmen.“ Er ist unter den rund 50 Millionen Wahlberechtigten mit seinem Informationsdefizit offenbar nicht alleine.

Der jüngsten landesweiten Meinungsumfrage zufolge waren zuletzt 61 Prozent der befragten unsicher, wie sie abstimmen sollten. 33 Prozent sprachen sich klar für, sechs Prozent gegen den Verfassungsentwurf aus. Die Ergebnisse sind jedoch mit Vorsicht aufzunehmen: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beklagt ein „Klima der Angst“. Gegner der Junta-Verfassung fürchten sich unter Umständen vor Repressalien, wenn sie sich öffentlich zu ihrer Meinung bekennen.


Myanmar als abschreckendes Beispiel

Wie aufgeladen die Stimmung ist, zeigte ein Vorfall vor wenigen Wochen: Zwei achtjährige Schulmädchen hatten eine öffentlich ausgehängte Wählerliste abgerissen – weil sie das rosafarbene Papier schön fanden. Sie wurden wegen Verstoßes gegen das Wahlgesetz angezeigt.

Auch die großen Parteien bekamen den Druck zu spüren. Sie verzichteten angesichts der strikten Vorschriften durch die Militärregierung auf Wahlempfehlungen. Ihre Spitzenleute gaben stattdessen persönliche Erklärungen darüber ab, wie sie selbst abstimmen werden.

Die früher verfeindeten Lager, die sich in den vergangenen Jahren wiederholt mit massiven Straßenprotesten gegenüberstanden, zeigten sich dabei in ungewohnter Einigkeit: Sowohl die abgesetzte Regierungschefin Yingluck als auch ihr Amtsvorgänger und langjähriger Widersacher Abhisit Vejjajiva teilten in den vergangenen Tagen mit, dass sie gegen die Verfassung stimmen wollen.

Die Kritiker betrachten den Entwurf als undemokratisch. Einer der umstrittensten Bestandteile ist die Einführung eines Senats, dessen Mitglieder während einer fünfjährigen Übergangsphase von der Junta bestimmt werden sollen. Damit könnten die Generäle auch nach der Machtübergabe an eine zivile Regierung das politische Geschehen noch lange prägen. Zudem soll der Senat zusammen mit dem Unterhaus den Regierungschef wählen dürfen.

Den politischen Verbündeten des Militärs würden damit rund 25 Prozent der Stimmen ausreichen, um bei den nächsten Wahlen, die für Mitte 2017 vorgesehen sind, die Regierung zu stellen. Machthaber Prayuth Chan-ocha könnte anhand der geplanten Bestimmungen auch ohne eigenes Abgeordnetenmandat zum Premierminister gewählt werden.

Der lauteste Protest gegen die Pläne der Junta kommt von Studenten, die sich in Gruppen wie der New Democracy Movement organisieren und bereits gegen Gesetze verstoßen, indem sie Flyer verteilen und mit Aufklebern dafür werben, gegen die Verfassung zu stimmen. Einige von ihnen wurde dafür bereits festgenommen.

Than Rittiphan ist einer der Vertreter der Gruppe. „Wir hoffen, dass die Menschen mit Nein stimmen werden“, sagt er. „Die Junta wird damit ihre Macht ausbauen.“ Das Nachbarland Myanmar sei ein Beispiel dafür, was eine lange Zeit der Militärregierung mit einem Land mache. „Das Land wurde von einem der reichsten zu einem der ärmsten Länder in Asien. Wir wollen nicht, dass das auch mit Thailand passiert.“

Doch selbst wenn die Mehrheit tatsächlich die Verfassung ablehnen wird, haben die Junta-Gegner nicht gewonnen. Der Chef der Militärregierung Prayuth hat angekündigt, in jedem Fall im Amt bleiben zu wollen. Sein Plan B im Fall eines negativen Abstimmungsergebnisses: einfach eine neue Verfassung vorlegen – dann vermutlich ohne Referendum.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%