Theresa May vor dem Tory-Parteitag Die geheimnisvolle Sphinx in der Bringschuld

Großbritanniens Premierministerin Theresa May verliert an Glanz. Seit zweieinhalb Monaten ist sie im Amt, geliefert hat sie noch nichts. Beim Parteitag der Tories muss May in Sachen Brexit mehr bieten als nur Floskeln.

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Große Worte, wenig Taten: Die neue britische Premierministerin wird wegen ihrem Stil bisweilen mit Gordon Brown verglichen. Quelle: AFP

Ein Lächeln fliegt über ihr Gesicht, manchmal auch nur ein Zucken, sobald der Moderator seine Frage wiederholt und eine klare Antwort verlangt. Doch die bekommt er nicht. Theresa May bleibt vage und nichtssagend. Ob Großbritannien den Zugang zum Binnenmarkt behalten werde? „Ich will den besten Deal für die Menschen hier im Lande.“ Wenn man sich in einem Jahr zum erneuten Interview treffe, werde sie dann die offiziellen Austrittsgespräche mit der EU schon in Gang gesetzt haben? „Wir brauchen eine bestimmte Zeit für die Vorbereitungen, und das ist auch gut für die EU.“

Dieser Trott geht fast 20 Minuten lang. Es ist Anfang September und May gibt dem BBC das erste große Interview seit ihrem Antritt als Großbritanniens Premierministerin am 13. Juli. Sie kommt wortreich und freundlich daher, doch die Antworten, auf die Europa und auch die Briten seit dem Brexit-Referendum Ende Juni warten, gibt es nicht. „Sie bleibt geheimnisvoll wie eine Sphinx“, sagen daher die einen. „Sie spielt wie eine Fußballmannschaft, die ein Null-zu-Null-Spiel will und keine Tore macht und auch keine zulässt“, kommentieren andere.

Am Sonntag steht May daher vor der wohl wichtigsten Rede dieser Tage. Beim Tory-Parteitag in Birmingham muss sie konkreter werden und mehr liefern als die bisher bekannten Floskeln und wohlklingenden Worte. Denn der Unmut über Mays Politikstil wächst innerhalb der Partei, in der Bevölkerung und in der Wirtschaft, die auf klare Signale hofft, was genau ein Brexit bedeutet. Mit Aussagen wie „Brexit heißt Brexit, weil es genau das bedeutet“, die sie seit Monaten wiederholt, will sich keiner mehr abspeisen lassen.

May ist seit zweieinhalb Monaten im Amt. Sie hat das nach dem Rücktritt ihres Vorgängers David Cameron entstandene Machtvakuum schneller gefüllt als ursprünglich erwartet. Bei ihrer Antrittsrede hat sie hohe Erwartungen geweckt, als sie etwa ankündigte, Politik für eine große Mehrheit zu machen und nicht für die wenigen Privilegierten.

Geliefert hat sie bisher nichts. Beobachter erwarten, dass sie daher beim Parteitag zumindest bei diesem Thema konkreter wird und mehr Details ihrer bisher nur angedeuteten Pläne, Arbeitnehmern mehr Mitsprache in Konzernen einzuräumen und exzessive Gehälter zu verhindern, nachlegt.

Ihr Politikstil löst inzwischen einen wenig schmeichelhaften Vergleich aus – mit einem ihrer Vorgänger, dem Labour-Politiker Gordon Brown, der 2007 in 10 Downing Street einzog und seinen Posten 2010 wieder räumen musste. Brown gilt als gescheiterter Premier. Ein äußerst unbeliebter Politiker, der sich im Kleinklein verhedderte und nie eine Wahl gewonnen hat.

„Sie sind beide introvertiert und solche Menschen sind gute Manager eines Bereichs, bei dem man sich auf ein paar wenige Dinge konzentrieren kann“, sagt Tim Bale, Politikprofessor an der Queen Mary Universität in London. „Beide haben auch ein sehr großes Bedürfnis, die Dinge selbst zu kontrollieren und sich mit einem kleinen Kreis Vertrauter zu umgeben.“

Bei Brown hat das funktioniert, solange er Finanzminister war, bei May, solange sie das Innenministerium verantwortete. Als Premierminister brauche man dagegen andere Eigenschaften, so Bale. Man müsse auch mal schnelle Entscheidungen über eine ganze Flut von Dingen treffen, die man nicht bis ins Letzte überdenken und abwägen könne. Und man müsse delegieren können.


Aktion, Reaktion?

Auch Stewart Wood, einst enger Berater von Brown, sieht Parallelen zwischen dem Ex-Premier und May und auch eine Gefahr, die sich aus dem ähnlichen Politikstil ergibt: Brown habe am Ende nur auf Ereignisse reagieren, aber keine eigene Agenda setzen können, sagte Wood in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Bloomberg.

Genau das Risiko entsteht auch aus der Zurückhaltung Mays. Außerdem gibt sie anderen eine Plattform, mit ihren Meinungen vorzupreschen und die Stimmung zu beeinflussen – allen voran den lautstarken Befürwortern in ihrem Kabinett, etwa Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis. Werden sie konkret, pfeift May sie zwar zurück, gibt aber selbst keine klare Richtung vor. So hat Davis im Parlament verdeutlicht, dass Großbritannien wohl den Zugang zum Binnenmarkt aufgeben werde, um die Einwanderung zu begrenzen. Das sei nur seine Meinung, nicht mehr und nicht weniger, ließ May daraufhin über ihre Pressesprecherin ausrichten.

Dennoch spekulieren viele Beobachter und auch Teile der Wirtschaft inzwischen, dass May einen radikalen Brexit anstreben wird – einen Austritt aus der Staatengemeinschaft, der die bisherigen Beziehungen ganz massiv ändert und den Zugang zum Binnenmarkt beendet.

Ein solcher so genannter „hard Brexit“ sei wahrscheinlicher, weil es wohl kaum Kompromissbereitschaft etwa bei der Thematik der Grenzkontrollen und beim finanziellen Beitrag zum EU-Haushalt gebe, schreibt Richard Mylles vom Analysehaus Absolute Strategy Research in einer Studie. Daher werde der Binnenmarktzugang unter die Räder kommen.

Britische Unternehmen und auch internationale Konzerne mit einem wichtigen Standbein auf der Insel versuchen die Regierung noch davon zu überzeugen, den Brexit möglichst moderat zu gestalten – es soll sich möglichst wenig ändern. Vor allem Finanzminister Philip Hammond scheint dabei ihr Verbündeter zu sein. Er gilt zudem als enger Vertrauter von May. „Wir haben aber dennoch nicht das Gefühl, dass sie die vollen Konsequenzen eines hard Brexit erfasst hat“, heißt es aus der Bankenbranche.

Für den Frust in Teilen der Wirtschaft gibt es noch einen weiteren Grund: Es gebe nicht einen zentralen Ansprechpartner in der Regierung für die Belange der Unternehmen. Man werde von den verschiedenen Ministerien zu Gesprächen geladen, erkläre seine Sicht und wiederhole sich ständig. „Und hat am Ende noch immer nicht das Gefühl, dass irgendwas von dem, was man sagt, hängen geblieben ist“, sagt ein Manager aus dem Finanzsektor.

Die unabhängige Denkfabrik Institute for Government hat jüngst in einer Studie gewarnt: Funkstille sei keine Strategie. „Die derzeitige Situation, in der wir die persönlichen Träumereien einzelner Minister interpretieren müssen, ist frustrierend“, so Hannah White, eine der Autorinnen. May müsse dringend für mehr Klarheit sorgen.

Sie selbst verteidigt ihren Politikstil immer wieder: „Ich entscheide nicht unmittelbar“, sagte sie in einem Interview. „Ich schaue mich die Belege an, hole mir Rat, wäge das ganz genau und und komme dann zu einem Beschluss.“

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