Tod Fidel Castros Eine historische Zäsur

Politisch war Fidel Castro schon seit Jahren tot. Doch allein die physische Präsenz des einstigen Revolutionsführers bremste den Öffnungskurs von Bruder Raúl. Nun könnte die Stunde der Reformer schlagen.

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Der Tod des „Maximo Líder“ (l.) macht den Weg frei für tiefergreifende Reformen seines Bruders Raúl (r.). Quelle: AP

Mexiko-Stadt Die Nachricht war kurz, und Raúl Castro sprach sie mit sichtlich schwerer Stimme. Kubas Präsident wandte sich am späten Freitagabend in einer im ganzen Land übertragenen Rede an die Bevölkerung und verkündete das für Millionen Kubaner unvorstellbare: „Heute, am 25. November um 22.29 Uhr verstarb der Oberkommandierende der kubanischen Revolution, Fidel Castro Ruz.“

Er wurde 90 Jahre alt und sollte noch am Samstag eingeäschert werden, betonte Rául Castro, der fünf Jahre jüngere Bruder Fidels. Er schloss die kurze Nachricht mit dem altbekannten Schlachtruf der Revolution: „Hasta la victoria, siempre.“ Immer bis zum Sieg.

Die Nachricht vom Tod des „Maximo Líder“ werden viele Kubaner mit Unglauben aufnehmen. 80 Prozent der elf Millionen Menschen auf der Insel kennen keinen anderen Präsidenten als Fidel Castro. „Es ist eine Tragödie“, sagte ein 22-jähriger in der Hauptstadt Havanna. „Wir sind doch alle mit ihm aufgewachsen. Die Nachricht nimmt mich sehr mit.“

Von 1959 bis zum 31. Juli 2006, fast 48 Jahre, regierte der charismatische Castro die karibische Insel als zunehmend autoritärer Herrscher. Aber auch nachdem eine Darmerkrankung ihn zum Abdanken zwang, war er immer noch da. Er wurde zum Revolutionsführer zum Revolutionswächter, der im Hintergrund und mit Besinnungsaufsätzen in der kubanischen Staatspresse darüber wachte, dass sein kleiner Bruder das kommunistische Erbe nicht zu schnell gegen den Kapitalismus eintauschte.

Mitte April tauchte Fidel noch einmal überraschend auf dem Parteikongress der kubanischen Kommunistischen Partei auf. Körperlich schwach, aber im Kopf noch wach, kokettierte er mit seinem nahen Tod, versicherte aber, dass sein Land auch nach ihm an den gleichen Idealen von damals festhalten werde: „Unseren Brüdern in Lateinamerika und der Welt sei gesagt: Das kubanische Volk wird siegen“.

Aber das muss bezweifelt werden: Denn mit Castros Tod wird der Revolutionsführer endgültig zur Ikone und zur mythologischen Figur. Sein Ableben bedeutet auch eine historische Zäsur. Den jungen Menschen zwischen Havanna und Santiago de Cuba hatte der graue und greise Revolutionär, der er bis zuletzt blieb, nicht mehr viel zu sagen. Es kann sein, dass Bruder Raúl nun seinen vor allem wirtschaftlichen Öffnungskurs beschleunigen wird. Fidel war zwar politisch nicht mehr aktiv, aber seine physische Präsenz bremste eine zu schnelle und zu weitgehende Öffnung. Die Orthodoxen, denen der Reformkurs des kleinen Bruders suspekt war, versteckten sich hinter Fidel.

„Fidels biologischer Tod kommt viele Jahre nach seinem politischen Tod“, sagt der kubanisch-mexikanische Historiker Rafael Rojas. Raúl Castros Regierung habe sich vor allem in der Wirtschafts-, der Kultur und der internationalen Politik von der seines Bruders unterschieden. Aber auch er habe an dem totalitären und repressiven Charakter in der Politik festgehalten. Tatsächlich schwebt der aktuellen Führung in Havanna ein eher chinesisches Modell vor: wirtschaftliche Liberalisierung bei Beibehaltung des Einparteien-Staates.


Nach dem „Bestattungsnebel“ kommen die Reformen

Doch auch der Übergang von der Planwirtschaft zum Staatskapitalismus ist komplex und gelingt kaum. Die Orthodoxen, die um Privilegien und Pfründe fürchten, blockieren, während die Reformer Druck machen. Nun könnten die Reformer um Raúl Oberwasser gewinnen.

Das ist auch notwendig: Denn unter Raúl Castro hat sich zwar ökonomisch viel verändert, aber dennoch bleibt die Insel klamm: Privates Kleingewerbe, so genannte „Cuentapropistas“, ist für mehr als 200 Berufe freigegeben, Kooperativen in der Landwirtschaft und weiteren 47 Wirtschaftszweigen sind erlaubt. Staatsbanken geben Kredite an Kleinunternehmer und Bauern. Sportler dürfen im Ausland Verträge schließen. Ausländische Investoren dürfen Staatsland statt wie bisher 50 nun auf 99 Jahre pachten und bekommen Steuererleichterungen. Staatsbetriebe erhalten Autonomie über eigene Investitionen und Arbeitskräfte.

Aber dennoch fehlt es an großen Investitionen. Venezuela, enger Verbündeter und Hauptsponsor fällt wegen der eigenen Krise als Retter aus. Das groß angelegte Freihafenprojekt Mariel zieht wenig Interessenten an. Kaum ein halbes Dutzend Unternehmen haben sich dort niedergelassen, weil die Bedingungen noch immer nicht attraktiv genug sind, etwa wenn der Staat die Mitarbeiter für die privaten Firmen aussuchen will. Kuba benötigt pro Jahr nach Einschätzungen von unabhängigen Ökonomen ausländische Direktinvestitionen von 2,5 Milliarden US-Dollar, mehr als 100 Millionen fließen aber kaum.

Das hängt unter anderem auch am US-Wirtschaftsembargo, dessen Aufhebung nach den US-Wahlen mit einem Präsidenten Donald Trump und den republikanischen Mehrheiten in beiden Kammern auszuschließen ist.

Der Tod von Übervater Fidel eröffnet aber nun die Chance auf eine notwendige Neuausrichtung. „Die Trauerfeier wird voller melancholischer und rückwärtsgewandter Reden sein“, sagt Historiker Rojas. „Aber wenn der Bestattungsnebel verzogen ist, werden Raúls Reformen weiter und tiefer gehen und Kuba sich zu einem Staatskapitalismus oder sogar einer souveränen Demokratie entwickeln“.

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