Tony Blair Aufbäumen gegen den Brexit

Der Brexit ist beschlossene Sache, doch der ehemalige britische Premier Tony Blair kämpft munter dagegen an. Wenn er schon den Austritt nicht mehr verhindern kann, möchte er doch wenigstens die Folgen mildern.

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Die Briten waren nicht ausreichend über die Konsequenzen des Brexit informiert, meint der frühere britische Premierminister Tony Blair. Quelle: dpa

London Der Ort dürfte bewusst gewählt sein: Im Untergeschoss der Londoner Zentrale der Nachrichtenagentur Bloomberg hat David Cameron im Januar 2013 seine große Europarede gehalten. Der damalige Premier Großbritanniens beendete sie mit dem Versprechen, ein Referendum über die Zukunft des Landes innerhalb der EU abzuhalten.

Gut vier Jahre später steht Tony Blair genau auf derselben Bühne. Der ehemalige britische Premier hält ebenfalls eine große Europarede. Sein Ziel: Er will die voraussichtlich schädlichen Folgen des Referendums, bei dem die Mehrheit der Briten einen Austritt aus der Staatengemeinschaft stimmte, abwenden oder zumindest abschwächen.

„Es ist an der Zeit, sich zu erheben, und das zu verteidigen, an das wir glauben“, sagt der 63-Jährige. „Ich akzeptiere den Willen der Menschen, die für einen Brexit votierten.“ Aber sie seien nicht im ausreichenden Maße über die Folgen informiert gewesen. „Und da diese jetzt immer klarer werden, haben die Menschen auch das Recht, ihre Meinung zu ändern. Unsere Mission ist es, sie davon zu überzeugen.“ Man müsse nun parteiübergreifend eine Bewegung formen, die aufkläre, die aufrüttle, die gegen die Brexit-Kampagne einige Medien sowie Ideologen ankämpfe und der Regierung wirkungsvoll Paroli biete – „aus Mangel an einer funktionierenden Oppositionspartei“, betonte Blair. Es ist seine Labour-Partei, die dazu derzeit zu schwach sei.

Im Juni 2016 haben 52 Prozent der Briten für eine Scheidung von der EU gestimmt. Cameron trat daraufhin von seinem Amt zurück. Theresa May zog in die Downing Street ein. Im Januar hat sie in einer lange erwarteten Rede deutlich klarer als zuvor skizziert, wie sie sich den Brexit vorstellt. Er soll mit einem Austritt aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion einhergehen, um künftig Einwanderungskontrollen einführen zu können. May will auch den Einfluss des Europäischen Gerichtshofs abschütteln.

Das offizielle Abschiedsgesuch will sie Spekulationen aus ihrem Umfeld zufolge bereits um den 9. März herum bei der EU einreichen. Das setzt voraus, dass ihr das Parlament bis dahin grünes Licht dafür gibt. Das Unterhaus hat ein entsprechendes Gesetz, das nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofes notwendig war, bereits abgesegnet. Am Montag beginnen die Debatten darüber im Oberhaus.


Blair will Institut gegen Populismus gründen

Tony Blair, der das Land von 1997 bis 2007 regierte, beschreibt Mays Vorstellungen zum EU-Austritt „als einen Brexit um jeden Preis“. Das sei nicht nur ein harter Bruch mit der Staatengemeinschaft. Er vergleicht das in der anschließenden Fragerunde mit einem Hauskauf. „Den Menschen wurde vor dem Referendum der Umzug in ein fantastisches Haus versprochen.“ Aber erst jetzt angesichts der detaillierteren Brexit-Pläne könnten die Menschen sich ein klareres Bild davon machen, von den Grundfesten des Hauses, von der Umgebung und vom Preis, der dafür fällig sei.

Es müsse eine Möglichkeit geben, einen Umzug in dieses Haus zu vermeiden. Und die Kosten seien nicht allein die direkten Kosten, die mit einem EU-Austritt einhergingen, sondern auch die indirekten. „Die Regierung ist derart auf den Brexit-Prozess fokussiert , dass sie alles andere ausblendet“, sagte Blair. Das sei verständlich angesichts der Komplexität. Doch viele Dinge würden schlicht komplett vernachlässigt – etwa die Krise des staatlichen Gesundheitssystems NHS und Kommunen, die zu den Globalisierungsverlieren im Lande gehörten. „Die Regierung hat nur die Kapazitäten für eine Sache: für Brexit“, so Blair, „das ist der Gedanke, mit dem sie aufwacht, das ist das Tagesgeschäft, das ist das, worüber sie vor dem Zubettgehen nachdenkt und der Inhalt ihrer Träume – oder Alpträume.“

Blair hat sich auch vor dem Referendum gegen den Austritt des Landes aus der EU ausgesprochen. Um sich jetzt wirkungsvoller gegen die voraussichtlichen Folgen des Referendums aufzubäumen, will der einstige Premier auch eine Art politisches Institut gründen – im Kampf gegen Populismus und für mehr Aufklärung. Nach seiner Rede in der Bloomberg-Zentrale bekommt er langanhaltenden Applaus, in der anschließenden Fragerunde aber auch Kritik. Ob er angesichts seiner geringen Popularitätswerte wirklich der richtige Mann sei, um die Anti-Brexit-Bewegung anzuführen, will eine Zuhörerin wissen. Blair ist vor allem wegen der Beteiligung Großbritanniens am Irak-Krieg unbeliebt.

Der Labour-Politiker reagiert knapp und scharf auf diese Frage: „Wir leben in einem freien Land und ich habe das Recht, meine Meinung zu sagen.“ Jedermann könne frei entscheiden, ob er ihm zuhöre oder nicht. „Aber ich sorge mich um mein Land.“ Und daher müsse man den Kurs der Dinge aufhalten.

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