Top-Ökonomen zu Griechenland „Diese Regierung schreckt Investoren ab“

Die Rettung Griechenlands vor der Pleite wird wieder zum Problem – und Zugeständnisse an das Krisenland erneut zum Thema. Viele Ökonomen sind gegen weitere Schuldenerleichterungen. Auch in Berlin überwiegt die Ablehnung.

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Ministerpräsident Tsipras hatte sich vehement für Reformen eingesetzt. Ökonomen trauen seiner Regierung dennoch nicht über den Weg. Quelle: Reuters

Berlin Führende Ökonomen in Deutschland halten aktuell nichts von weiteren Schuldenerleichterungen für Griechenland. Auch die Möglichkeit eines Euro-Austritts Athens stößt auf große Vorbehalte. „Die Politik, auch in Deutschland, sollte im Griechenlanddrama einen kühlen Kopf bewahren“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dem Handelsblatt.

Ein Grexit sei „ökonomischer Unsinn und würde großen Schaden für Griechenland und auch Europa verursachen“, sagte Fratzscher und konterte damit FDP-Chef Christian Lindner, der in der „Bild“-Zeitung einen Euro-Austritt Griechenlands gefordert hatte.

Aus Fratzschers Sicht muss die griechische Regierung weiter dazu gedrängt werden, die beschlossenen Reformen und Auflagen des dritten Hilfsprogramms umzusetzen. Gleichwohl sei allen Akteuren klar, dass Griechenlands Staatsschulden „nicht nachhaltig“ seien. „Es wird eine Schuldenerleichterung geben, die Frage ist lediglich, wann und wie sie aussehen wird“, sagte Fratzscher. „Die klügste Schuldenerleichterung wäre, diese konditional an einen erfolgreichen Abschluss des Hilfsprogramms zu binden und die Zinsen an das Wachstum in Griechenland, und nicht in Europa, zu koppeln.“

Der Wirtschaftsweise Lars Feld lehnt Entlastungen für Griechenland strikt ab. „Griechenland hat bereits sehr viel Entgegenkommen der Gläubiger erfahren“, sagte Feld dem Handelsblatt. Das große Problem für die griechische Wirtschaft sei das fehlende Wirtschaftswachstum. Mit einem höheren Wachstum seien keine Schuldenerleichterungen nötig, und die getroffenen Sparmaßnahmen könnten reichen. „Man bräuchte dann nicht auf Vorratsbeschlüsse zur Haushaltssanierung zurückgreifen“, sagte der Freiburger Ökonom.

Allerdings hat Feld wenig Vertrauen in die Athener Regierung. „Diese Regierung schreckt Investoren ab, sie will nur widerwillig privatisieren“, sagte er. Griechenland brauche aber ein marktwirtschaftliches Programm mit Öffnung der Märkte, Deregulierung, Privatisierung und Wettbewerb. „Schuldenerleichterungen würden nur den Druck zur Durchführung solcher Strukturreformen mindern“, so Feld weiter. Daher sei er gegen Schuldenerleichterungen und stattdessen für die Fortführung des Konsolidierungs- und Reformkurses.

Nach der Zustimmung des griechischen Parlaments zu einem neuen Sparpaket beraten die Euro-Finanzminister heute auf einem Sondertreffen in Brüssel über weitere Hilfskredite. Sie bewerten den Stand bei der Umsetzung der Reformen und Sparauflagen, die Athen im Gegenzug für das jüngste Hilfsprogramm von bis zu 86 Milliarden Euro zugesagt hat.


Schäuble rechnet mit einer Entscheidung

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) rechnet noch im laufenden Monat mit einer Entscheidung. Heute sei wohl keine abschließende Lösung zu erwarten, da ein Verfahren für zusätzliche Sparschritte Griechenlands noch konkretisiert werden müsse, sagte Schäuble. Schuldenerleichterungen sieht der Finanzminister skeptisch. Außerdem verlangte er die Verabschiedung zusätzlicher Sparmaßnahmen, falls Griechenland seine Haushaltsziele im Jahr 2018 verfehlt.

Bei der Abstimmung in der Nacht im Athener Parlament hatten alle 153 Abgeordneten der griechischen Regierungskoalition in Athen mit „Ja“ gestimmt. In den Beschlüssen ging es unter anderem um Rentenkürzungen in Höhe von etwa 1,8 Milliarden Euro.

Die gleiche Summe soll durch Steuererhöhungen in die Staatskassen fließen. Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte in der Debatte gewarnt, ohne Reformen breche das System der Altersversorgung zusammen. Vor dem Parlamentsgebäude kam es erneut zu Protesten.

EU-Währungskommissar Pierre Moscovici nannte die vom griechischen Parlament verabschiedeten Reformen „sehr wichtige Anstrengungen“. Die Euro-Gruppe müsse diesen Fortschritt würdigen. Griechische Vorschläge für ein von den Geldgebern gefordertes zusätzliches Sparpaket „auf Vorrat“ gingen in die richtige Richtung, könnten aber noch verbessert werden. Zu einer umfassenden Abmachung gehöre auch die Frage der Schulden. „Wir werden heute beginnen, über die Schulden zu sprechen“, sagte Moscovici. Vor allem der Internationale Währungsfonds (IWF) dringt auf Schuldenerleichterungen für das Krisenland.

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel machte sich für Entlastungen stark. Es müsse endlich ein Schritt gemacht werden, damit Griechenland nicht jedes Jahr erneut um neue Kredite betteln müsse, sagte der Vizekanzler und Wirtschaftsminister am Montag auf einer SPD-Veranstaltung in Berlin. „Es muss etwas getan werden, um die Schuldenlast zu reduzieren.“

Gabriel sagte, dass die griechische Wirtschaft wieder wachse. „Und das, was manche jetzt fordern, der nächste Schritt im Sparprogramm, zerstört dieses kleine Pflänzchen wirtschaftlicher Erholung.“ Dies dürfe nicht die europäische Politik sein. Er sprach sich auch generell für mehr Solidarität in Europa aus


Fuest: „Es wäre ein Fehler“

Für Härte gegenüber Athen plädiert auch der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. „Griechenland ist bereits mehrfach ein Schuldenerlass gewährt worden. Jetzt weitere Schuldenerleichterungen anzubieten, wäre ein Fehler“, sagte Fuest dem Handelsblatt mit Blick auf die aktuelle Debatte über mögliche finanzielle Entlastungen für das Mittelmeerland.

Fuest gab zu bedenken, dass die Zusagen, die Griechenland im vergangenen Sommer gemacht hat, nicht umgesetzt worden seien. „Erst wenn das geschehen ist, einschließlich der Privatisierungen, sollte man darüber reden, ob bei den Schulden weitere Konzessionen notwendig sind. Diese Reihenfolge umzukehren würde bedeuten, Reformverschleppung zu belohnen“, sagte der Ökonom.  Die besondere Belastung Griechenlands durch die Flüchtlingskrise verdiene jedoch europäische Solidarität, fügte Fuest hinzu. „Aber dieses Thema sollte von den Verhandlungen über das Anpassungsprogramm streng getrennt werden.“

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin, dass sich ungeachtet von Gabriels Äußerungen die deutsche Haltung in der Frage der Schuldenerleichterungen nicht verändert habe. Seibert verwies auf die Vereinbarung der Euro-Gruppe vom August 2015, dass wenn nötig solche Maßnahmen geprüft werden sollten - allerdings erst nach Abschluss einer ersten erfolgreichen Überprüfung des Hilfsprogramms. „Dazu steht die Bundesregierung.“

Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums sagte, dass Gabriel in seiner Funktion als SPD-Chef gesprochen habe. Im Vordergrund seines Vorstoßes stehe die langfristige Sicherung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands. Gabriel habe dabei Schuldenerleichterungen etwa in Form längerer Laufzeiten für Kredite und keinen nominalen Schuldenschnitt gemeint.

Der Vorsitzende des Parlamentskreises im Mittelstand (PKM) der Unions-Bundestagsfraktion, Christian von Stetten (CDU), zeigte sich unter bestimmten Voraussetzungen zu Zugeständnissen an Griechenland bereit. Griechenland habe im letzten Jahr umfangreiche Reformen zugesagt und daraufhin weitere Kreditzusagen in Höhe von über 80 Milliarden Euro erhalten. „Solange diese Reformen nicht zu 100 Prozent umgesetzt sind, dürfen wir Griechenland keine weiteren Zugeständnisse machen“, sagte von Stetten dem Handelsblatt.

Mit Material von Reuters und dpa.

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