Top-Ökonomen zur Griechenland-Krise Ohne drittes Hilfspaket – Staatsbankrott

Griechenlands Premier Alexis Tsipras lehnt ein drittes Hilfspaket vehement ab. Deutsche Ökonomen halten weitere Hilfsmilliarden dagegen für unabdingbar. Auch ein Austritt Griechenlands aus dem Euro ist nicht vom Tisch.

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Griechenland könnte schneller als erwartet vor akuten Zahlungsproblemen stehen - kommt ein neues Hilfspaket? Quelle: dpa

Berlin Für die Griechen wird es eng. Weil noch für März eine Staatspleite droht, klammert sich Athen an einen Notfallplan. Doch die EZB zieht vor dem Treffen der Euro-Finanzminister am heutigen Montag klare Grenzen. Und die EU-Kommission fordert: Athen muss bei Reformen nachlegen. Doch selbst in diesem Fall gibt es große Zweifel, ob Griechenland über die Runden kommt.

Nach Einschätzung führender Ökonomen in Deutschland wird das Mittelmeerland nicht um ein drittes Hilfsprogramm herumkommen. „Selbst wenn die fünfte Überprüfungsrunde der Reformauflagen Griechenlands spätestens Ende April erfolgreich abgeschlossen würde und die Staatengemeinschaft rund sieben Milliarden Euro Hilfskredite freigibt, wird es für Griechenland schwierig, im Juli zwei milliardenschwere Anleihen zurückzuzahlen“, sagte der Chefökonom der Commerzbank, Jörg Krämer, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Nachdem die Syriza-Regierung so viel Porzellan zerschlagen hat, scheint eine Mittelaufnahme bei privaten Investoren völlig unrealistisch.“

Damit bleibe Griechenland wohl nichts anderes übrig, als ein drittes Hilfsprogramm zu beantragen. „Ansonsten käme es wohl zu einem Staatsbankrott, was die EZB zwingen würde, den griechischen Banken die ELA-Notfallkredite zu entziehen, was einem Rauswurf aus der Währungsunion gleichkäme“.

Auch aus Sicht des Chefvolkswirts der DZ Bank, Stefan Bielmeier, und des Direktors des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, wird Griechenland aller Voraussicht nach ein drittes Hilfspaket benötigen. Und auch andere

Hinter der Einschätzung der Ökonomen steht der Umstand, dass Griechenland schneller als erwartet vor akuten Zahlungsproblemen stehen könnte. Die Europäische Zentralbank (EZB) will dem pleitebedrohten Land - anders als von Ministerpräsident Alexis Tsipras erhofft - kein frisches Geld zur Verfügung stellen. Zudem reichen die jüngsten Vorschläge von Finanzminister Yanis Varoufakis für Reformen und höhere Einnahmen nach Einschätzung der EU-Kommission nicht aus.

In einem Brief an die Euro-Gruppe hatte Varoufakis am Wochenende um umgehende Gespräche auf Arbeitsebene und schlug den Gläubigern eine Reihe von Reformen vor. Er drohte zugleich mit einem Referendum. Sein Ministerium betonte am Sonntag aber, die Zugehörigkeit Griechenlands zur Euro-Zone stehe nicht zur Debatte. Der Vorsitzende der EU-Finanzminister, Jeroen Dijsselbloem, nannte Varoufakis' Vorschläge hilfreich, forderte aber zugleich eine Überprüfung der Maßnahmen durch internationale Kontrolleure.

Am Montag berät die Eurogruppe, in der die Finanzminister der Währungsunion vertreten sind, über Griechenlands Reformpläne. Als Basis für die Gespräche listete Varoufakis eine Reihe von Vorhaben auf. So plant er unter anderem Steuern auf Internet-Glücksspiel und einen Abbau der Bürokratie, aber auch Hilfen für die ärmsten Griechen. Amateur-Steuerfahnder sollen zudem mit Kameras und Tonaufnahmegeräten Beweise gegen Steuersünder unter Taxifahrern, Handwerkern und Restaurant-Besitzern sammeln.



Varoufakis will Wachstumspakt

Dijsselbloem betonte in einem Antwortschreiben an Varoufakis, die Vorschläge müssten noch weiter erörtert werden. Bei der laufenden Überprüfung würden die Geldgeber zudem sämtliche Maßnahmen genau unter die Lupe nehmen. Die Diskussionen könnten wie von Varoufakis vorgeschlagen in Brüssel stattfinden, sie müssten aber durch Arbeit von Kontrolleuren in Griechenland flankiert werden.

Bei vielen Griechen sind die Besuche der als Troika bekanntgewordenen Inspektoren von Europäischer Union (EU), EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) im eigenen Land verhasst. Griechenland hängt seit Jahren am Tropf dieser Geldgeber. Für die Freigabe weiterer Hilfen verlangen sie die Umsetzung zuvor vereinbarter Spar- und Reformziele. Der neue griechische Ministerpräsident Tsipras gewann die Wahl jedoch gerade mit seinem Widerstand gegen diese Auflagen und ringt nun um eine Einigung, um sein Land vor einem Staatsbankrott zu retten.

Allerdings hatte Tsipras zuletzt auch erklärt, dass seine Regierung kein drittes Hilfsprogramm vereinbaren werde. Sein Finanzminister Varoufakis erklärte hingegen kürzlich im Handelsblatt auf die Frage, ob sein Land ein drittes Hilfspaket brauche, man wolle nicht mehr Geld. Was Griechenland brauche, sei eine von Investitionen getragene Erholung seiner Wirtschaft.

„Ich will nicht, dass sich der Staat weiter verschuldet“, betonte der Minister. Die neue Vereinbarung, die bis Ende Juni ausgehandelt werden soll, müsse daher ein Wachstumspakt sein, der sich auf Investitionen des Privatsektors gründet. „Dann kann unsere Wirtschaft wieder wachsen, und wir müssen nicht immer um neue Kredite der europäischen Steuerzahler bitten.“

DZ-Bank-Chefökonom Bielmeier plädierte für ein Hilfspaket ohne weitere Hilfsmilliarden. „Eine weitere Schuldenrestrukturierung – Verlängerung der Laufzeit und Absenkung der Verzinsung – wäre sinnvoller, als ein klassisches Hilfspaket“, sagte Bielmeier dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

In einem solchen Fall könne Griechenland den zukünftig angestrebten Primärüberschuss im Haushalt nutzen, um sozialpolitische Veränderungen zu finanzieren und damit auch den weiterhin notwendigen Reformprozess entsprechend wirtschaftspolitische abzufedern.

„Gleichzeitig würden die Euro-Länder ihr finanzpolitisches Risiko nicht noch weiter erhöhen, falls Griechenland die angekündigten strukturellen Veränderungen doch nicht erbringt und sich die strukturelle Situation weiter verschlechtert“, sagte Bielmeier.

Nach Einschätzung von IMK-Chef Gustav Horn dürfte ein weiteres Hilfsprogramm geringer ausfallen als von vielen geschätzt. Denn die derzeitige Strategie der griechischen Regierung, die Sozialtransfers zu erhöhen, trage über deren Nachfragewirkung zu einer leichten Wirtschaftsbelebung bei. Das helfe das Defizit zu verringern und sollte auch den Weg für künftige Hilfe weisen, sagte Horn dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

„Griechenland braucht ein Wachstumsprogramm mit investivem Charakter“, betonte der Ökonom. „Nur so können in Kombination mit den steuerpolitischen Strukturreformen die notwendigen Einnahmen erzielt werden, um den Schuldenstand zu reduzieren.“ Die Alternative, so Horn weiter, wäre ein Schuldenschnitt mit der „Gefahr erheblicher politischer und finanzieller Verwerfungen“.


DIW: Athen muss 40-Milliarden-Euro-Lücke schließen

Nach Ansicht des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat es die Regierung in Athen in der Hand, ein weiteres Hilfsprogramm noch abzuwenden. „Wenn die Regierung kein drittes Programm will, dann muss sie Reformen aufzeigen, die die Finanzierungslücke von 30 bis 40 Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre schließt und keine Geschenke der europäischen Nachbarn fordern“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Dass Athen die Priorität darauf legt, über mehr private Investitionen Wachstum zu schaffen, hält Fratzscher für richtig. Das könne aber nur gelingen, wenn Unternehmen und Bürger wieder Vertrauen in die griechische Regierung haben.

„Viel davon hat die neue Regierung in den vergangenen Wochen verspielt und muss dies nun durch glaubwürdige Reformen zurückgewinnen“, so der Ökonom. Ein nachhaltiges Wachstum erfordere aber auch, dass der griechische Staat nicht mehr über seine Verhältnisse lebe.

Die EU-Kommission reagierte indes zurückhaltend auf die jüngsten Forderungen aus Athen. Der zuständige Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Montagausgabe), die ausstehenden Kredite könnten nur ausgezahlt werden, wenn die griechische Regierung die Reformauflagen des Programms einhalte. „Die Regierung in Athen versteht dieses Problem offenbar immer noch anders als wir.“

Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Schuldenkrise brachte Varoufakis auch Neuwahlen und eine Volksabstimmung ins Gespräch. Eine Ablehnung der griechischen Pläne in Brüssel könnte Probleme aufwerfen, wurde er von der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“ zitiert. „Aber wie mein Ministerpräsident schon gesagt hat, kleben wir noch nicht an unseren Stühlen.“ Worum es in dem ebenfalls angesprochenen Referendum gehen könnte, sagte der Politiker in dem Interview nicht. Sein Ministerium stellte hinterher klar, dass er sich dabei auf Reformen und die Haushaltspolitik, nicht aber auf einen Verbleib in der Euro-Zone bezogen habe.


Bis Ende April Zeit für Umsetzung der Reformen

Die Euro-Partner hatten in der vergangenen Woche das Hilfsprogramm um weitere vier Monate verlängert. Fließen können noch 1,8 Milliarden Euro aus dem Programm sowie zugesagte Zinsgewinne der EZB aus griechischen Anleihen von 1,9 Milliarden Euro. Für eine Auszahlung müssen EU-Kommission, EZB und IWF zuvor förmlich grünes Licht geben, außerdem müssen von Athen bindende Vorbedingungen der Geldgeber erfüllt werden.

Bis Ende April Zeit hat die Regierung Tsipras Zeit, um die von der Vorgängerregierung zugesagten Reform- und Sparschritte umzusetzen. Dies soll von den Institutionen (früher Troika) überprüft werden, bevor die verbliebenen Kredite aus den bisherigen Hilfsprogrammen im Volumen von insgesamt 240 Milliarden Euro ausgezahlt werden. Anschließend hat Griechenland bis Ende Juni Zeit, um über ein weiteres Hilfspaket zu verhandeln.

Commerzbank-Chefökonom Krämer geht von einem Hilfsprogramm mit einem Volumen von rund 20 Milliarden Euro für drei Jahre aus. Mit diesem Geld könne Griechenland drei Jahre lang seine Schulden bedienen. „Dann wäre für eine Zeit lang die Illusion aufrecht erhalten, dass Griechenland seine Schulden tragen kann, sagte Krämer.

Einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion schließt Krämer nicht aus. Das würde das Land zwar in ein „ökonomisches Chaos“ stürzen. „Aber den Bestand der Währungsunion könnte ein Grexit nicht gefährden.“

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