Tourismusboom in Japan Chinas Touristen überwinden Vorurteile

Lange hatten Chinesen ein recht negatives Bild von Japan. Das ändert sich nun, ausgerechnet Touristen aus China sorgen für viel Wachstum im Land.

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Busse mit chinesischen Touristen verursachen einen kleinen Stau im Straßenverkehr Tokyos. Quelle: dpa

Auf diese Frage hat derzeit jeder Tokioter eine schnelle Antwort: Woran erkennt man chinesische Touristen? „Sie sind laut“, „Sie rempeln dich in der U-Bahn an“ oder „Sie transportieren Reiskocher“. Die in ihrer Zufälligkeit typischen Antworten zeigen: Das Image der Chinesen ist durchwachsen. Und: Jeder Tokioter hat schon einen gesehen.

Was für die Bewohner von Paris und Rom Alltag ist, für Tokio, diese vielleicht homogenste Metropole der Welt, ist es ein neues Gefühl. Ausländische Touristen, wohin man schaut. Die Besucherschlange am Kaiserpalast war schon immer lang, jetzt brauchen sie selbst mitten im Winter zusätzliche Polizisten, um die nicht im Detail mit den japanischen Anstehtechniken vertrauten Fremden in die korrekten Bahnen zu lenken.

Hokkaido

Tourismus war für die japanische Wirtschaft jahrzehntelang ein Randgeschäft, bis vor Kurzem dümpelte die jährliche Besucherzahl bei rund zehn Millionen Menschen – so viele Ausländer besuchen Paris in drei Monaten. Reichlich optimistisch schien daher auch das vor zwei Jahren ausgerufene Ziel für die Olympischen Spiele in Tokio 2020. Jährlich 20 Millionen Besucher sollten dann ins Land kommen, hatte die konservative Regierung von Ministerpräsident Shinzo Abe ausgegeben, und jetzt sagt Akio Okawara, Chef des japanischen Zentrums für internationale Beziehungen: „Wir haben die Marke schon 2015 nur haarscharf verfehlt und dürften das Ziel 2016 erreichen.“ Vier Jahre früher als erhofft. Was passiert da in diesem sonst so stagnierenden Land?

Die nordjapanische Insel Hokkaidō ist nach Honshū die zweitgrößte Insel Japans. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Was die ungepflegten Gladiatorenimitatoren vor dem Kolloseum für Rom sind, sind gelbe Doppeldeckerbusse für Tokio: Symbol des Tourismus. „Hato Bus“ steht drauf, Hato heißt Taube, und das ist als Symbol zu verstehen: Als die Busse 1948 ihren staatlich geförderten Dienst aufnahmen, sollte das der Welt die Friedfertigkeit Japans beweisen. Die Nation der Kriegstreiber, deren Ruf in Asien so verheerend war wie der Deutschlands in Europa, wollte sich öffnen, fremde Besucher willkommen heißen.

Doch während die Exportwirtschaft bald boomte, japanische Produkte ihren Weg in Haushalte auf allen Kontinenten fanden und japanische Geschäftsleute und Touristen ihnen nachreisten, blieb man zu Hause unter sich. Der Ausländeranteil beträgt zwei Prozent, 2014 hatte gerade ein Dutzend Asylanträge in dem Land mit seinen 125 Millionen Einwohnern Erfolg.

Wenn sich das jetzt ändert, ist ausgerechnet der einstige Erzfeind schuld. An Bord der Hato Busse sind zwar 90 Prozent Japaner, doch die Zahl der Buchungen von chinesischen Kunden steige sprungartig, berichtet der Betreiber, allein um 77 Prozent im vergangenen Jahr. Von den 19 Millionen Touristen in Japan kamen 2015 gut 4 Millionen aus China.

Auf den ersten Blick hat der Boom einfache Gründe: Der Wechselkurs macht dank der Abwertungspolitik der japanischen Notenbank Reisen nach Japan so günstig wie nie, die generelle Mehrwertsteuerbefreiung für Touristen liefert einen zusätzlichen Anreiz. Viele japanische Produkte wie Reiskocher genießen in China ohnehin einen guten Ruf, gelten als hochwertig und langlebig. Spannender aber sind die Wechselwirkungen zwischen Politik und Tourismus.

Rückwirkungen auf die Politik

„Viele Japaner wissen gar nicht, wie schlecht das Bild unseres Landes in China lange Zeit war“, sagt Masaki Hirata. Der Vorstand der nationalen Tourismusorganisation kann sich die Jubelmeldungen dieser Tage allesamt selbst ans Revers heften. Bis vor Kurzem hatte er einen ungleich undankbareren Job: Als Vertreter der Tourismusbehörde sollte er von Shanghai aus Chinesen die Reise nach Japan schmackhaft machen. „In chinesischen Filmen gilt bis heute: Der Bösewicht muss ein Japaner sein“, erzählt Hirata. In der Gesellschaft aber habe sich dieses Bild in den vergangenen Jahren immer mehr von den Ansagen der Partei entfernt: „Gerade Chinesen, die auf eigene Faust nach Japan reisen, kommen mit einem persönlichen, sehr positiven Bild zurück, das sie auch weitergeben.“

So benehmen Sie sich in Japan richtig

In Zahlen spiegelte sich das lange Zeit nur bedingt. Denn die Masse der Chinesen kommt bis heute mit zentral organisierten Schiffstouren nach Japan, das ist die günstigste Art zu reisen. Der geschäftliche Erfolg der Reiseveranstalter wiederum hängt vom Wohlwollen der Partei ab. Wenn das politische Klima sich verschlechtert, so wie zuletzt 2013, als Japans Premier Shinzo Abe den umstrittenen Yasukuni-Schrein besuchte, nehmen viele Veranstalter Japan-Reisen aus dem Programm, um ihren Ruf nicht zu gefährden.

Doch der Anteil individueller Reisen wächst, günstige Urlaubsairlines bieten Direktflüge in viele chinesische Städte jenseits der Küstenregion. „So eine Route gibt kein Unternehmen von heute auf morgen wieder auf, wenn es zu einer kleinen diplomatischen Krise kommt“, sagt Okawara, dessen Institut sich seit Jahren um den Austausch zwischen Japan und China auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene bemüht. „Der Tourismus wird keinen echten Konflikt verhindern, aber er sorgt dafür, dass sich die Menschen aus Japan und China verständnisvoller begegnen“, sagt Okawara.

Zudem vertieft er die wirtschaftlichen Abhängigkeiten – mit Rückwirkungen auf die Politik. Gerade wird in Japan über den Neubau eines Stützpunkts der amerikanischen Armee auf der Insel Okinawa diskutiert. Die Wirtschaft auf der Insel war wegen der erwarteten Aufträge zunächst glühend dafür. Jetzt aber dreht sich die Stimmung, man fürchtet um die Attraktivität der Insel für chinesische Touristen.

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