Trotz Kritik Polnische Regierung hält an umstrittener Justizreform fest

Europaratsexperten sehen die Reform als Gefahr für die Demokratie – doch die Regierung spielt den Bericht herunter und will die Reform durchziehen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Anti-Regierungsproteste in Warschau Quelle: AP

Venedig/Warschau Die nationalkonservative Regierung in Polen hält trotz Kritik des Europarats an ihrer umstrittenen Justizreform fest. Ein Urteil des Verfassungsgerichts vom Mittwoch, das die Änderungen kassiert hatte, werde nicht im Amtsblatt veröffentlicht, sagte Regierungssprecher Rafal Bochenek am Samstag der Agentur PAP zufolge. Das Urteil stelle nur den Standpunkt „einzelner Verfassungsrichter“ dar und sei nicht rechtmäßig zustande gekommen. Die Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte die Novelle im Dezember mit ihrer Parlamentsmehrheit durchgesetzt.

Am Freitag hatten Rechtsexperten des Europarats das Gesetz mit harschen Worten beurteilt. Das Gesetz würde den Rechtsstaat gefährden, warnte die so genannte Venedig-Kommission. Sie rief die nationalkonservative Warschauer Regierung auf, die Entscheidungen des Gerichts zu achten - das Tribunal hatte das Gesetz über die Arbeit der Verfassungsrichter gerade selbst für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz nicht im Amtsblatt zu veröffentlichen und somit unwirksam zu machen, sei ein nie da gewesener Schritt, der die Verfassungskrise weiter vertiefen würde. Die Stellungnahme hat auch Bedeutung für das Prüfverfahren der EU-Kommission zur Rechtsstaatlichkeit in Polen.

Die Verfassungsexperten kritisieren vor allem zwei Punkte: Eine Zwei-Drittel-Mehrheit für Urteile und die Pflicht, Klagen chronologisch nach ihrem Eingang bei Gericht abzuarbeiten. Kritiker sagen, dass umstrittene Gesetze so womöglich erst nach Jahren zur Verhandlung kämen. Die Änderungen könnten „zu einer ernsthaften Verzögerung der Aktivität des Gerichts führen und es als Hüter der Verfassung wirkungslos machen“, heißt es in der Stellungnahme.
Seitens des polnischen Europaminister Konrad Szymanski hieß es, die Venedig-Kommission habe lediglich die „Argumentation der einen Seite wiederholt“. „Ein Verfassungsproblem ist kein Match, bei dem einer gewinnt und einer verliert“, sagte er in Venedig. „Ich fürchte, dass das nur die Meinung der Opposition erhärtet, die Sache mit Hilfe von Einmischung, internationalen Instrumenten und europäischen Organisationen zu regeln.“ Außenminister Witold Waszczykowski spielte die Auswirkungen herunter: „Das ist eine Meinung, kein Urteil. Das ist nicht das Ende der Welt.“
Die EU-Kommission wird erst nach Ostern über den weiteren Verlauf ihres Prüfverfahrens entscheiden und will dazu nach Angaben eines Sprechers auch die Einschätzung der Europarats-Experten auswerten. In dem Verfahren soll geprüft werden, ob es eindeutige Anzeichen für eine „systembedingte Gefahr“ für die Rechtsstaatlichkeit in Polen gibt. Nur wenn dies der Fall ist, könnte die Regierung in weiteren Schritten offiziell aufgefordert werden, Änderungen herbeizuführen.
Das Verfahren der Brüsseler Behörde ist bislang beispiellos. Es beruht auf einem erst 2014 geschaffenen Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%