Türkei Die Oberschicht flieht ins Ausland

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Auch in Deutschland ist die Flucht der Millionäre zu spüren

So hat gerade eine türkische Investorengruppe eine renovierungsbedürftige Immobilie im pittoresken, aber etwas heruntergekommenen Osten der Stadt gekauft, um sie in ein Luxushotel zu verwandeln. Gesamtvolumen der zugesagten Gelder: zwischen 15 und 20 Millionen Euro. Jedes der 20 luxuriösen Zimmer soll mit Kunstwerken im Wert von 60.000 bis 100.000 Euro ausgestattet werden. Weitere 80 bis 100 Millionen Euro türkisches Kapital fließen laut Pestana Dias in ein neues Hafenterminal der Industriestadt Barreiro. Nicht zu vergessen die 65 Millionen Euro, die 45 Privatinvestoren für den Kauf von Wohnimmobilien im Großraum Lissabon aufbringen.

Auch in Frankreich, an der Côte d’Azur, gehören gut situierte Türken neuerdings zu den Immobilienkäufern. Und in der spanischen Hauptstadt Madrid hat die türkische Dogus-Holding 180 Millionen für den Kauf des Nobelhotels Villa Magna ausgegeben. Der Schwerpunkt türkischer Geldflüchtlinge liegt auf Südeuropa. Allerdings profitieren auch klassische Anlaufstellen für krisengeplagte Vermögende aus aller Welt.

Julian Walker, Direktor bei der auf die Türkei spezialisierten Spot Blue International Property in London, sagt, er sehe vermehrtes Interesse türkischer Staatsbürger an britischen Immobilien. In den vergangenen 6 bis 18 Monaten gebe es deutlich mehr Anfragen als früher, zweistellig seien sie gestiegen. „London mögen die Türken, es gilt als sicherer Hafen“, sagt Walker.

Gesucht würden vor allem Immobilien im Wert von 0,5 Millionen bis 2,5 Millionen Pfund. Zwar hat die türkische Lira stark abgewertet, doch Walker sagt: „Viele Türken halten harte Währungen.“ Und für die Reichen, die über Dollar oder Euro verfügen, ist Großbritannien seit dem Brexit attraktiv, weil das Pfund so stark gefallen ist.

Auch James Beckham von der Immobilienberatung Cushman & Wakefield beobachtete, türkische Käufer hätten sich in den letzten zwei Jahren vermehrt für Londoner Objekte interessiert. So kaufte ein türkischer Investor im vergangenen September für 33 Millionen Pfund das Bürogebäude St. Paul’s House in der Nähe der gleichnamigen Kathedrale. „Von unseren Maklern kommen zwar anekdotische Hinweise, dass türkische Interessenten nun in Londoner Wohnimmobilien einsteigen wollen, aber Zahlen dazu haben wir nicht“, sagt Lucian Cook, Director of Residential Research bei der exklusiven Maklerfirma Savills. Dort wurden 2016 kommerzielle Objekte im Wert von 65,75 Millionen Pfund an einen türkischen Investor verkauft und 2015 sieben Immobilien für insgesamt 168,15 Millionen Pfund.

Einwandererkind, Häftling, Staatspräsident
Vom Häftling zum StaatspräsidentenRecep Tayyip Erdogan ist seit dem 28. August 2014 Staatspräsident der Türkei. Zuvor war er von 2003 bis 2014 Ministerpräsident. Seine politische Laufbahn begann im Jahr 1994, als er zum Oberbürgermeister von Istanbul gewählt wurde. Im Vorfeld bekleidete er bereits mehrere Parteiämter in der „Wohlfahrtspartei“. Im Jahr 1998 wurde er wegen „Missbrauchs der Grundrechte und -freiheiten“ zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, allerdings bereits nach vier Monaten wieder entlassen. Im Jahr 2001 gründete er die Gerechtigkeits- und Aufschwungpartei „AKP“, mit der er im Jahr 2002 überraschend den Wahlsieg holte. Quelle: REUTERS
Familie stammt aus GeorgienErdogan wurde am 26. Februar 1954 in Istanbul als Sohn eines Seemanns geboren. Die Familie stammt ursprünglich aus Georgien und war in die Türkei eingewandert. Er hat eine Schwester und drei Brüder. Mit seiner Frau Emine ist Recep Erdogan seit 1978 verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne und zwei Töchter. Das Bild zeigt Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak, seine Tochter Esra Albayrak sowie Ehefrau Emine (v. l.). Quelle: dpa
„Vater der Türken“In seiner Anfangszeit als Ministerpräsident war Erdogan noch ein Hoffnungsträger des Westens und galt als reformwilliger und moderner Politiker. Mehr und mehr zeichnete sich jedoch ein autokratischer Führungsstil ab. Erdogan inszeniert sich als eine Art „Vater der Türken“ und will das Bild eines mächtigen Staatslenkers vermitteln. Dabei macht er nicht Halt vor einem harten Durchgreifen gegen politische Gegner, freie Journalisten und Kritiker seiner Politik. Quelle: REUTERS
Zeichen der MachtDer neue Präsidentenpalast in Ankara unterstreicht die imperialistischen Züge der Politik Erdogans. Das Gebäude hat eine Grundfläche von etwa 40.000 Quadratmetern und verfügt über circa 1000 Zimmer. Die Baukosten beliefen sich auf mehr als 490 Millionen Euro. Offiziell handelt es sich bei dem Palast um einen Schwarzbau, da dieser in einem Naturschutzgebiet errichtet wurde. Mehrere Gerichte hoben die Baugenehmigung auf und ordneten einen Baustopp an. Auch das oberste Verwaltungsgericht der Türkei erklärte den Bau für rechtswidrig. Der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ignorierte diese Urteile und ließ den Palast weiterbauen. Quelle: dpa
Ziemlich beste Freunde?Das Verhältnis zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin ist seit dem Syrien-Konflikt angespannt. Zwischen Moskau und Ankara herrschte zwischenzeitlich diplomatische Eiszeit, mittlerweile haben sich die Beziehungen wieder etwas normalisiert. In Syrien verfolgen beide jedoch verschiedene Ziele: Putin gilt als Unterstützer des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, Erdogan will das Regime in Damaskus stürzen. Die Türkei galt lange als Stabilitätsanker in der unruhigen Region des Nahen Ostens, mittlerweile bekommt dieses Bild allerdings erste Risse – nicht zuletzt durch den Putschversuch im Juli. Quelle: AP
Dubioser FlüchtlingsdealAuch das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Staatschef ist mehr als mittlerweile angespannt. Im Frühjahr 2016 einigen sich die beiden auf einen umstrittenen Deal, um die Flüchtlingskrise zu lösen: Jeder Hilfesuchende, der auf den griechischen Inseln ankommt, muss damit rechnen, wieder in die Türkei zurückgebracht zu werden. Im Gegenzug verspricht Deutschland, für jeden Syrer, der sich unter den Bootsankömmlingen befindet, einen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei aufzunehmen. Angela Merkel ist sich sicher: So wird das Geschäftsmodell der Schlepper zerstört und das Flüchtlingsproblem in der EU gelöst. Gleichzeitig begibt sich die Bundeskanzlerin mit dem Abkommen weiter in Erdogans Abhängigkeit, der diese geschickt zu nutzen weiß: Bereits mehrfach drohte Erdogan damit, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, sollte es beispielsweise keine Fortschritte bei den Verhandlungen zur Visafreiheit geben. Zuletzt verschlechterte sich das Verhältnis durch die Inhaftierung zweier deutscher Journalisten sowie das Verbot von Bundestagsabgeordneten Bundeswehr-Soldaten in Incirlik zu besuchen. Quelle: dpa
Gescheiterter PutschversuchIm Juli 2016 eskalierte die Lage in der Türkei: Teile des türkischen Militärs versuchten am 15. und 16. Juli, die türkische Regierung mit Präsident Erdogan und seinem AKP-Kabinett zu stürzen. Der Versuch scheiterte jedoch, nach wenigen Stunden hatte die türkische Regierung wieder die Kontrolle über das Land. Die Bilanz des gescheiterten Putschversuchs: Beinahe 300 Menschen wurden getötet und mehr als 2000 weitere verletzt. Außerdem kam es zu Massenverhaftungen und Massenentlassungen von Tausenden Staatsbürgern – besonders Soldaten, Beamte und Akademiker sowie Journalisten waren betroffen von der „Säuberungsaktion“. Quelle: dpa

Auch in Deutschland ist die Flucht der Millionäre zu spüren. „Zu den bevorzugten Zielen der türkischen Millionäre zählt Deutschland, vor allem Berlin und Frankfurt“, sagt Thomas Zabel, Geschäftsführer der Zabel Property, das zum Immobilienunternehmen Jones Lang LaSalle gehört. So sind laut Zabel bereits etliche Wohnungen in Deutschlands größtem Wohnhaus, dem Grand Tower in Frankfurt, an gut betuchte Türken verkauft. „Es melden sich verstärkt türkische Unternehmer, denen es um den Vermögensschutz geht“, sagt auch der Vertriebsdirektor eines Schweizer Versicherers.

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