Türkei Die Oberschicht flieht ins Ausland

Unter Präsident Erdoğan droht die Türkei in ein autoritäres System abzudriften. Die Oberschicht reagiert jetzt schon – und bringt ihr Geld in Sicherheit. Ein Festspiel für Vermögensverwalter und Makler im Westen.

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Quelle: Adrià Fruitos

Für Osman Akyol und seine Frau Bursa war Erdoğans erste Rede nach dem Putschversuch im vergangenen Juli der Wendepunkt. „Damals bestand noch die Chance, das Land zu einen“, sagt Akyol, der mit echtem Namen nicht genannt werden möchte. „Aber der Präsident vertiefte die Gräben und redete stattdessen davon, die Todesstrafe wiedereinzuführen.“ Die beiden Exbanker fassten daraufhin den Entschluss, das Land zu verlassen. Gespart hatten sie in ihren Jahren als Banker in London genug. Mit dem Geld kauften sie Immobilien an der portugiesischen Küste und wollen nun ein Hotel eröffnen. „In meinem Freundeskreis reden viele darüber, auszuwandern“, sagt Akyol.

Er und seine Frau gehören zur Istanbuler Oberschicht. Die macht sich gerade aus dem Staub. Zu groß ist die Angst, dass die Türkei sich in einen autoritär geführten Willkürstaat verwandelt. Am Sonntag lässt Präsident Recep Tayyip Erdoğan über eine Verfassungsreform abstimmen, die ihm eine einmalig mächtige Position einräumen würde.

Während der Großteil der „normalen“ Türken für Erdoğans Ansinnen stimmen dürfte, versetzt diese Aussicht die Welt der Reichen in Aufruhr. 6000 Millionäre haben die Türkei 2016 verlassen. Das belegen die Zahlen des Global Wealth Report. Zum Vergleich: 2010 waren es bloß 1000.

Was Sie zur geplanten Verfassungsreform wissen müssen
Recep Tayyip Erdogan Quelle: dpa
Recep Tayyip Erdogan Quelle: dpa
Türkisches Parlament 2015. Quelle: dpa
Symbolbild aus Deutschland zur Wahl in der Türkei 2014 Quelle: dpa
Recep Tayyip Erdogan Quelle: dpa
Justizminister Bekir Bozdağ Quelle: REUTERS

Die Türkei, noch vor wenigen Jahren eines der vielversprechendsten Schwellenländer der Welt, scheint zu einem Hochrisikostaat geworden zu sein. Wer es sich leisten kann, kauft sich Immobilien im europäischen Ausland und bekommt eine Aufenthaltsgenehmigung gleich mit dazu, legt Teile des Vermögens in Sachwerte in Europa an oder gründet in Süd- und Westeuropa Unternehmen. Und das weckt die Begierde unter Vermögensmanagern, Maklern für gehobene Immobilien und sonstigen Hütern und Umsorgern des großen Geldes.

Vor allem Südeuropa profitiert

Tolga Habali, Direktor von Henley & Partners Türkei in Istanbul, organisiert betuchten Türken den Schritt. Abhängig vom jeweiligen Land, erfordert das eine Mindestinvestition von 100 000 bis zu einer Million Dollar. „Portugal, Spanien und Griechenland sind die Topziele, da sie auch ein Reisen im gesamten Schengenraum ermöglichen“, sagt Habali. „Vielen geht es auch um eine gute Ausbildung für ihre Kinder.“ Während dieser Schritt für die Elite vieler afrikanischer und asiatischer Länder Standard ist, sei es in der Türkei ein neuer Trend.

Zahlen und Fakten zum Referendum in der Türkei

Zu besichtigen ist das zum Beispiel am Anfang dieser Woche in Lissabon. Dort schwärmt João Pestana Dias in einem Konferenzraum eines Luxushotels von seiner Heimat: „In Portugal gibt es keine ethnischen Probleme, keinen religiösen Fanatismus, keine gesellschaftlichen Konflikte“, sagt der Geschäftsmann, der die Interessengemeinschaft The Trade Connection Portuguese Turkish Network anführt. Den unausgesprochenen Zusatz „im Gegensatz zur Türkei“ verkneift sich Pestana Dias. Denn als er Investitionsprojekte türkischer Geldgeber in Höhe von fast 300 Millionen Euro in Portugal präsentiert, ist auch der türkische Botschafter unter den Zuhörern. „Sozialer Frieden ist die Anlagenrendite, nach der sie suchen“, sagt Pestana Dias deshalb, und jedem im Raum ist klar, was er meint.

Allein im Januar und Februar dieses Jahres haben 13 Türken in Portugal sogenannte goldene Visa für Hochvermögende beantragt. Das waren fast so viele wie im gesamten vorigen Jahr. Damit können sie einen Teil ihres Vermögens in Sicherheit bringen und sich mit Investitionsvorhaben im Land gleichzeitig eine Aufenthaltserlaubnis erkaufen, Bewegungsfreiheit im Schengenraum inklusive.

Auch in Deutschland ist die Flucht der Millionäre zu spüren

So hat gerade eine türkische Investorengruppe eine renovierungsbedürftige Immobilie im pittoresken, aber etwas heruntergekommenen Osten der Stadt gekauft, um sie in ein Luxushotel zu verwandeln. Gesamtvolumen der zugesagten Gelder: zwischen 15 und 20 Millionen Euro. Jedes der 20 luxuriösen Zimmer soll mit Kunstwerken im Wert von 60.000 bis 100.000 Euro ausgestattet werden. Weitere 80 bis 100 Millionen Euro türkisches Kapital fließen laut Pestana Dias in ein neues Hafenterminal der Industriestadt Barreiro. Nicht zu vergessen die 65 Millionen Euro, die 45 Privatinvestoren für den Kauf von Wohnimmobilien im Großraum Lissabon aufbringen.

Auch in Frankreich, an der Côte d’Azur, gehören gut situierte Türken neuerdings zu den Immobilienkäufern. Und in der spanischen Hauptstadt Madrid hat die türkische Dogus-Holding 180 Millionen für den Kauf des Nobelhotels Villa Magna ausgegeben. Der Schwerpunkt türkischer Geldflüchtlinge liegt auf Südeuropa. Allerdings profitieren auch klassische Anlaufstellen für krisengeplagte Vermögende aus aller Welt.

Julian Walker, Direktor bei der auf die Türkei spezialisierten Spot Blue International Property in London, sagt, er sehe vermehrtes Interesse türkischer Staatsbürger an britischen Immobilien. In den vergangenen 6 bis 18 Monaten gebe es deutlich mehr Anfragen als früher, zweistellig seien sie gestiegen. „London mögen die Türken, es gilt als sicherer Hafen“, sagt Walker.

Gesucht würden vor allem Immobilien im Wert von 0,5 Millionen bis 2,5 Millionen Pfund. Zwar hat die türkische Lira stark abgewertet, doch Walker sagt: „Viele Türken halten harte Währungen.“ Und für die Reichen, die über Dollar oder Euro verfügen, ist Großbritannien seit dem Brexit attraktiv, weil das Pfund so stark gefallen ist.

Auch James Beckham von der Immobilienberatung Cushman & Wakefield beobachtete, türkische Käufer hätten sich in den letzten zwei Jahren vermehrt für Londoner Objekte interessiert. So kaufte ein türkischer Investor im vergangenen September für 33 Millionen Pfund das Bürogebäude St. Paul’s House in der Nähe der gleichnamigen Kathedrale. „Von unseren Maklern kommen zwar anekdotische Hinweise, dass türkische Interessenten nun in Londoner Wohnimmobilien einsteigen wollen, aber Zahlen dazu haben wir nicht“, sagt Lucian Cook, Director of Residential Research bei der exklusiven Maklerfirma Savills. Dort wurden 2016 kommerzielle Objekte im Wert von 65,75 Millionen Pfund an einen türkischen Investor verkauft und 2015 sieben Immobilien für insgesamt 168,15 Millionen Pfund.

Einwandererkind, Häftling, Staatspräsident
Vom Häftling zum StaatspräsidentenRecep Tayyip Erdogan ist seit dem 28. August 2014 Staatspräsident der Türkei. Zuvor war er von 2003 bis 2014 Ministerpräsident. Seine politische Laufbahn begann im Jahr 1994, als er zum Oberbürgermeister von Istanbul gewählt wurde. Im Vorfeld bekleidete er bereits mehrere Parteiämter in der „Wohlfahrtspartei“. Im Jahr 1998 wurde er wegen „Missbrauchs der Grundrechte und -freiheiten“ zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, allerdings bereits nach vier Monaten wieder entlassen. Im Jahr 2001 gründete er die Gerechtigkeits- und Aufschwungpartei „AKP“, mit der er im Jahr 2002 überraschend den Wahlsieg holte. Quelle: REUTERS
Familie stammt aus GeorgienErdogan wurde am 26. Februar 1954 in Istanbul als Sohn eines Seemanns geboren. Die Familie stammt ursprünglich aus Georgien und war in die Türkei eingewandert. Er hat eine Schwester und drei Brüder. Mit seiner Frau Emine ist Recep Erdogan seit 1978 verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne und zwei Töchter. Das Bild zeigt Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak, seine Tochter Esra Albayrak sowie Ehefrau Emine (v. l.). Quelle: dpa
„Vater der Türken“In seiner Anfangszeit als Ministerpräsident war Erdogan noch ein Hoffnungsträger des Westens und galt als reformwilliger und moderner Politiker. Mehr und mehr zeichnete sich jedoch ein autokratischer Führungsstil ab. Erdogan inszeniert sich als eine Art „Vater der Türken“ und will das Bild eines mächtigen Staatslenkers vermitteln. Dabei macht er nicht Halt vor einem harten Durchgreifen gegen politische Gegner, freie Journalisten und Kritiker seiner Politik. Quelle: REUTERS
Zeichen der MachtDer neue Präsidentenpalast in Ankara unterstreicht die imperialistischen Züge der Politik Erdogans. Das Gebäude hat eine Grundfläche von etwa 40.000 Quadratmetern und verfügt über circa 1000 Zimmer. Die Baukosten beliefen sich auf mehr als 490 Millionen Euro. Offiziell handelt es sich bei dem Palast um einen Schwarzbau, da dieser in einem Naturschutzgebiet errichtet wurde. Mehrere Gerichte hoben die Baugenehmigung auf und ordneten einen Baustopp an. Auch das oberste Verwaltungsgericht der Türkei erklärte den Bau für rechtswidrig. Der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ignorierte diese Urteile und ließ den Palast weiterbauen. Quelle: dpa
Ziemlich beste Freunde?Das Verhältnis zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin ist seit dem Syrien-Konflikt angespannt. Zwischen Moskau und Ankara herrschte zwischenzeitlich diplomatische Eiszeit, mittlerweile haben sich die Beziehungen wieder etwas normalisiert. In Syrien verfolgen beide jedoch verschiedene Ziele: Putin gilt als Unterstützer des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, Erdogan will das Regime in Damaskus stürzen. Die Türkei galt lange als Stabilitätsanker in der unruhigen Region des Nahen Ostens, mittlerweile bekommt dieses Bild allerdings erste Risse – nicht zuletzt durch den Putschversuch im Juli. Quelle: AP
Dubioser FlüchtlingsdealAuch das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Staatschef ist mehr als mittlerweile angespannt. Im Frühjahr 2016 einigen sich die beiden auf einen umstrittenen Deal, um die Flüchtlingskrise zu lösen: Jeder Hilfesuchende, der auf den griechischen Inseln ankommt, muss damit rechnen, wieder in die Türkei zurückgebracht zu werden. Im Gegenzug verspricht Deutschland, für jeden Syrer, der sich unter den Bootsankömmlingen befindet, einen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei aufzunehmen. Angela Merkel ist sich sicher: So wird das Geschäftsmodell der Schlepper zerstört und das Flüchtlingsproblem in der EU gelöst. Gleichzeitig begibt sich die Bundeskanzlerin mit dem Abkommen weiter in Erdogans Abhängigkeit, der diese geschickt zu nutzen weiß: Bereits mehrfach drohte Erdogan damit, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, sollte es beispielsweise keine Fortschritte bei den Verhandlungen zur Visafreiheit geben. Zuletzt verschlechterte sich das Verhältnis durch die Inhaftierung zweier deutscher Journalisten sowie das Verbot von Bundestagsabgeordneten Bundeswehr-Soldaten in Incirlik zu besuchen. Quelle: dpa
Gescheiterter PutschversuchIm Juli 2016 eskalierte die Lage in der Türkei: Teile des türkischen Militärs versuchten am 15. und 16. Juli, die türkische Regierung mit Präsident Erdogan und seinem AKP-Kabinett zu stürzen. Der Versuch scheiterte jedoch, nach wenigen Stunden hatte die türkische Regierung wieder die Kontrolle über das Land. Die Bilanz des gescheiterten Putschversuchs: Beinahe 300 Menschen wurden getötet und mehr als 2000 weitere verletzt. Außerdem kam es zu Massenverhaftungen und Massenentlassungen von Tausenden Staatsbürgern – besonders Soldaten, Beamte und Akademiker sowie Journalisten waren betroffen von der „Säuberungsaktion“. Quelle: dpa

Auch in Deutschland ist die Flucht der Millionäre zu spüren. „Zu den bevorzugten Zielen der türkischen Millionäre zählt Deutschland, vor allem Berlin und Frankfurt“, sagt Thomas Zabel, Geschäftsführer der Zabel Property, das zum Immobilienunternehmen Jones Lang LaSalle gehört. So sind laut Zabel bereits etliche Wohnungen in Deutschlands größtem Wohnhaus, dem Grand Tower in Frankfurt, an gut betuchte Türken verkauft. „Es melden sich verstärkt türkische Unternehmer, denen es um den Vermögensschutz geht“, sagt auch der Vertriebsdirektor eines Schweizer Versicherers.

Folgt der Exodus von Investoren?

Während viele Reiche fliehen, ist die Lage bei Unternehmern und geschäftlichen Investoren noch diffus. Fadi Hakura, Assistant Fellow of Europe beim Thinktank Chatham House, meint, künftig werde Präsident Erdoğan mehr Macht über die Notenbank ausüben und auch die Finanzaufsicht an die kurze Leine nehmen. Das alles verunsichere auch Unternehmen. Türkische Firmen investierten schon seit ein paar Jahren im Ausland – etwa in Pakistan, Deutschland, der Schweiz – und kauften sich auch in britische und andere europäische Firmen ein. Das deutet natürlich zum einen auf Wachstum hin, zum anderen aber auch auf neue Standbeine neben der instabilen Türkei. So hat das türkische Unternehmen Ülker nicht nur den belgischen Schokoladenhersteller Godiva, sondern auch die britische Firma United Biscuits übernommen. Die türkische Koc-Gruppe erwägt, sich an der Londoner Börse listen zu lassen.

Auch in der Stuttgarter Dependance der Kanzlei Heussen-Law häufen sich die Anfragen. Dort berät Kaan Kalkan Unternehmer, die nach Standortalternativen suchen. „Seit mehr als einem Jahr wollen immer mehr von ihnen nach Deutschland kommen“, sagt er. „Das sind Menschen, die nicht alle Brücken zur Türkei abbrechen wollen, aber auch nicht tatenlos abwarten wollen.“ Stattdessen sondieren sie, ob und wie sie in Deutschland ein zusätzliches Geschäftsfeld aufbauen können.

Zwar sinken seit Monaten die Verbindlichkeiten türkischer Einrichtungen und Unternehmen bei ausländischen Kreditgebern, ein Indikator für abfließendes Kapital. Aber: „Ich würde nicht von einer Kapitalflucht sprechen – eher von einem schon länger feststellbaren konstanten Fluss“, sagt Hakura. Und Roger Kelly, Volkswirt bei der Osteuropabank, berichtet, türkische Investoren seien verängstigt. Doch um Kapitalflucht im großen Stil handle es sich noch nicht.

Das mag auch daran liegen, dass dies für Türken schwieriger geworden ist. Denn auch die Türkei nimmt am automatischen Informationsaustausch gemäß den Vorgaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) teil. Damit wird der türkische Staat künftig von rund 100 anderen Ländern Angaben zu Auslandskonten seiner Staatsangehörigen erhalten. Auswanderer und Exbanker Akyol hat das nicht abgeschreckt. Er hat sein Urteil gefällt: „Wir hoffen das Beste, aber erwarten das Schlimmste.“

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