Türkei Erdogans Alptraum vom Kurdenstaat

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Erdogan suchte eine friedliche Lösung

Dabei war es Erdogan, der Ende der 2000er Jahre als Regierungschef einen Anlauf zur friedlichen Lösung des Konflikts genommen hatte. Es schien keine Tabus zu geben: Die Regierung führte sogar Geheimverhandlungen mit dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan. Er galt damals zwar als Staatsfeind Nummer 1, wird aber von Millionen Kurden als Nationalheld verehrt und ist deshalb eine Schlüsselfigur für eine Beilegung des Konflikts. Im Frühjahr 2013 rief Öcalan die PKK zu einem Waffenstillstand auf, der erstmals auch von Regierungsseite eingehalten wurde.

Der Friedensprozess stieß aber schnell an seine Grenzen – vor allem, weil die Regierung nie ein klares Konzept für die Lösung der Kurdenfrage vorlegte. Die kurdischen Sprachverbote wurden zwar nach und nach gelockert. Über eine Einführung der kurdischen Sprache an den staatlichen Schulen ließ die Regierung aber ebenso wenig mit sich reden wie über Formen einer regionalen Selbstverwaltung.

Wie wirkt der Ausnahmezustand in der Türkei über die Grenzen hinaus?

Kritiker sagen, Erdogan sei es nicht wirklich um mehr Selbstbestimmung und kulturelle sowie politische Rechte für die Kurden gegangen, sondern um die Stimmen kurdischer Wähler für seine islamisch-konservative Regierungspartei AKP und die Unterstützung der Minderheit für die Einführung eines Präsidialsystems, das ihm eine noch größere Machtfülle sichern soll. Doch dieses Kalkül zerschlug sich mit dem Einzug der Kurdenpartei HDP ins türkische Parlament im Sommer 2015. Dadurch verlor Erdogans AKP ihre absolute Mehrheit.

Kurdenpolitiker werfen Erdogan vor, dass er seither den Konflikt schürt, um ihn politisch für sich zu instrumentalisieren: Nachdem er die Stimmen der Kurden nicht gewinnen konnte, suche er nun neue Anhänger im Lager der türkischen Ultra-Nationalisten.

Inzwischen tobt der Kurdenkrieg mit noch größerer Schärfe als auf seinem bisherigen Höhepunkt in den 1990er-Jahren. Die Streitkräfte fliegen Luftangriffe auf Stellungen der PKK, die ihrerseits Polizeistationen angreift, Sprengfallen legt und Selbstmordattentäter losschickt, um in türkischen Städten Massaker anzurichten. Mit einem Anschlag mitten im Regierungsviertel von Ankara, bei dem 28 Menschen starben, demonstrierten die kurdischen Terroristen im Februar ihre Stärke und ihre brutale Entschlossenheit.

Hatte die PKK die Forderung nach einem eigenen Kurdenstaat in den 2000er-Jahren fallengelassen und stattdessen auf mehr politische und kulturelle Rechte für die 15 Millionen Kurden innerhalb der Türkei hingearbeitet, bekommt mit der Eskalation des Konflikts die Vision der staatlichen Unabhängigkeit jetzt wieder mehr Anhänger.

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