Türkei Erdogans verrückte Pläne

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Recep Tayyip Erdogan Quelle: dapd

Ähnliche und noch schlimmere Vorwürfe waren in den langen Jahren der Vorherrschaft des Militärs gegen die damals tonangebenden Generäle und die ihnen ergebenen Richter und Spitzenbeamten des Landes zu hören. Jetzt scheint die Macht dieser weltlichen Elite gebrochen, die frommen AKP-Leute haben das Sagen. Dutzende aktive und ehemalige Offiziere sitzen wegen angeblicher Umsturzpläne in Untersuchungshaft. Jetzt ermittelt die Justiz sogar gegen die überlebenden Initiatoren des Generalsputsches von 1980.

Neue Städte

Erdogan selbst spricht von „verrückten Plänen“, wenn er den Wählern seine Visionen ausbreitet: Vor allem soll ein künstlicher „zweiter Bosporus“ entstehen, ein 45 Kilometer langer Kanal zur Entlastung der Wasserstraße zwischen Europa und Asien. Außerdem will der Premier bei Istanbul zwei Trabantenstädte für mehrere Millionen Einwohner aus dem Boden stampfen. Immer wieder fasst er in seinen Reden das Jahr 2023 ins Auge: Dann jährt sich zum 100. Mal die Gründung der türkischen Republik durch Kemal Atatürk, und der dann 69-Jährige würde vielleicht seine zweite Amtsperiode als Staatspräsident abschließen. Bis dahin will Erdogan die jährliche Wirtschaftsleistung der Türkei von 742 auf 2000 Milliarden Dollar steigern und das Pro-Kopf-Einkommen von 11 300 auf 25 000 Dollar.

Analysten sähen es allerdings lieber, wenn sich der Premier mehr auf die Gegenwart als auf Zukunftsvisionen konzentrieren würde. Denn hier und heute zeigt die Wirtschaft alle Anzeichen einer Überhitzung. Anlass zur Sorge gibt vor allem das Leistungsbilanzdefizit, das 2011 rund acht Prozent des BIPs erreichen dürfte. Noch finanziert die Türkei einen Großteil ihrer boomenden Importe und des Kreditwachstums mit dem Zufluss heißen Geldes. „Aber wenn die Zinsen im Euro- und Dollar-Raum steigen, wird das Spekulationskapital ganz rasch abfließen“, warnt der Analyst Yesilada. Dann könnte schnell die Blase platzen. Krisenzeichen gibt es jetzt schon: Die Ökonomen der Istanbuler Bahcesehir-Universität verzeichnen in den ersten Monaten dieses Jahres eine überraschend niedrige Importquote, die sie auf sinkende Investitionstätigkeit zurückführen. Trotzdem ist das Handelsdefizit deutlich gewachsen, weil die Exporte in arabische Länder eingebrochen sind. Auch in Europa ist die Nachfrage nach türkischen Waren gesunken.

Für die türkischen Unternehmer ist so etwas wichtiger als das magische Jahr 2023. Sie sind mit Erdogan zwar so gut gefahren, dass sie auf seine Wiederwahl setzen. Nur zu triumphal soll der Sieg nicht ausfallen, damit der „große Meister“ auf den Boden der Tatsachen zurückkehrt.

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