Türkei Gericht schließt Öffentlichkeit vom Journalisten-Prozess aus

In Istanbul beginnt der Prozess gegen zwei kritische Journalisten unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es geht unter anderem um Berichte über Waffenlieferungen und angebliche Spionage. Ihnen droht lebenslange Haft.

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Der kritische Journalist steht in Istanbul unter anderem wegen Spionage vor Gericht. Ihm droht lebenslange Haft. Quelle: dpa

Istanbul Der Chefredakteur der kritischen türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, und der Hauptstadt-Büroleiter der Zeitung, Erdem Gül, stehen seit Freitag unter anderem wegen Spionage und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht. Ihnen droht lebenslange Haft. Der Prozess in Istanbul begann unter großem öffentlichen Interesse – mittlerweile wird er unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgeführt. Das habe das Gericht in Istanbul am ersten Verhandlungstag am Freitag entschieden, berichteten Prozessbeobachter. Der Geschäftsführer von Reporter Ohne Grenzen, Christian Mihr, nannte die Entscheidung auf Twitter „feige und unwürdig“.

Hintergrund der Anklage ist ein Bericht der „Cumhuriyet“ über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien aus dem vergangenen Jahr. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Anzeige gegen Dündar und Gül gestellt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA wurden der Präsident und der türkische Geheimdienst MIT als Nebenkläger zugelassen.

Die Türkei-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb, kritisierte das Verfahren. Über Waffenlieferungen zu berichten, sei eine Angelegenheit des „öffentlichen Interesses“, hieß es in einer am Freitag verbreiteten Erklärung. Reporter ohne Grenzen (ROG) hatte die türkische Justiz vor Prozessbeginn dazu aufgefordert, das Verfahren gegen Dündar und Gül sofort einzustellen. „Dass es überhaupt zu diesem Prozess kommen konnte, ist ein Skandal“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Für Dündar hat der Druck auf die Presse in der Türkei in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. „Die Türkei war noch nie ein Paradies für Journalisten. Aber ehrlich gesagt haben wir nicht einmal in militärischen Putschzeiten einen derart intensiven Druck erlebt“, sagte Dündar der Deutschen Presse-Agentur in einem Interview in Istanbul. Er erklärte außerdem, der Präsident habe sich sein eigenes Medienimperium aufgebaut. „Er hat sympathisierende Geschäftsleute dazu gebracht, Zeitungen zu kaufen. Deshalb ist der größte Medienboss der Türkei heute Erdogan“, sagte Dündar.

Beide Journalisten verbrachten drei Monate in Untersuchungshaft, bevor das Verfassungsgericht Ende Februar die Freilassung anordnete. Erdogan hatte den Gerichtsbeschluss mit den Worten kommentiert: „Ich sage es offen und klar, ich akzeptiere das nicht und füge mich der Entscheidung nicht, ich respektiere sie auch nicht.“

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