Die türkische Regierung gerät wegen ihres Vorgehens gegen mutmaßliche Unterstützer des Putschversuches zunehmend unter internationalen Druck. Bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel zeigten sich etliche Teilnehmer tief besorgt über die Entwicklungen in dem Land, das auch EU-Beitrittskandidat ist. Die EU-Kommission warf den Staatsführung um Präsident Recep Tayyip Erdogan sogar Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit vor.
Man habe sofort nach den Ereignissen die Erwartung geäußert, dass die Aufarbeitung nach internationalem Recht erfolge, sagte der für die EU-Beitrittskandidaten zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn am Montag in Brüssel vor einem Treffen der EU-Außenminister. „Nach dem, was wir sehen, ist das nicht wirklich der Fall.“
Hahn zeigte sich speziell über die Festnahme von Richtern beunruhigt. „Das ist genau das, was wir befürchtet haben“, sagte er. Zudem äußerte er die Vermutung, dass die türkische Regierung ein Vorgehen gegen Gegner bereits länger geplant hatte. „Dass Listen direkt nach den Vorkommnissen vorhanden waren, deutet darauf hin, dass sie vorbereitet waren und zu einem bestimmtem Moment genutzt werden sollten“, sagte er.
Das ist die Gülen-Bewegung
Der heute 75-jährige Prediger Fethullah Gülen hat sich ursprünglich als einflussreicher islamischer Prediger einen Namen gemacht. Bis in die Achtzigerjahre hinein wirkte er als Iman in verschiedenen türkischen Städten. Mit seinen Predigten und Büchern über den Islam, über Bildungs- und Wissenschaftsfragen soziale Gerechtigkeit und interreligiösen Dialog begeisterte Gülen viele Gläubige. Seit 1999 lebt der gesundheitlich angeschlagene Prediger im US-Staat Pennsylvania. Er war nach einer Anklage wegen staatsgefährdender Umtriebe emigriert.
Gülen steht hinter der Bewegung Hizmet („Dienst“). Hizmet sieht einen ihrer Schwerpunkte in der Verbesserung von Bildungschancen.
Für die meisten innenpolitischen Krisen macht Präsident Recep Tayyip Erdogan seit längerem die mächtige Bewegung Gülens mitverantwortlich. Erdogan wirft seinem einstigen Verbündeten vor, einen Staat im Staate errichten zu wollen und seinen Sturz zu betreiben. Die Regierung geht massiv gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vor, die sie vor allem bei der Polizei und in der Justiz vermutet. Die Gülen-Bewegung wurde zur Terrrororganisation erklärt, viele ihrer führende Köpfe stehen auf einer Liste der meistgesuchten Terroristen der Türkei.
Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte: „Wir müssen aufpassen, dass die türkischen Behörden kein System einrichten, das sich von der Demokratie abwendet.“ Die Türkei habe in den vergangenen Jahren viele Fortschritte gemacht und Reformen abgeschlossen, nun bestehe aber offensichtlich die Gefahr einer Kehrtwende.
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn kritisierte explizit das Vorgehen gegen Justizvertreter sofort nach dem Ende des Putschversuchs. „Es ist befremdlich, dass einige Stunden nach dem Versuch fast 3000 Richter abgesetzt werden“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“ In einem Rechtsstaat müsse die Gewaltenteilung respektiert werden. Statt mit Emotionen und starken Worten zu reagieren müsse sich die Türkei jetzt selbstkritisch fragen, wie es zu dem Umsturzversuch kommen konnte, forderte Asselborn.
Der neue britische Außenminister Boris Johnson kommentierte, alle Seiten sollten nun Zurückhaltung und Mäßigung zeigen.