Türkei und Pressefreiheit Druck auf ausländische Medien in der Türkei steigt

Die Arbeit von kritischen Journalisten in der Türkei wird immer schwieriger. Das gilt auch für ausländische Korrespondenten. Der „Spiegel“ zieht jetzt seinen Reporter ab. Andere Medien haben dies bereits getan.

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Der Korrespondent des Nachrichtenmagazins hat die Türkei verlassen, weil es für ihn zu gefährlich wurde. Quelle: dpa

Istanbul „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim verließ die Türkei beinahe so, als wäre er zur Fahndung ausgeschrieben. Aus Sorge, dass die Sicherheitsbehörden die Ausreise verhindern könnten, begleitete ein deutscher Diplomat die Familie bis zur Passkontrolle am Istanbuler Atatürk-Flughafen. Sollte Kazim festgehalten werden, so lautete ein besorgter Ratschlag, sollten die Ehefrau und der kleine Sohn alleine fliegen. „Wir sind nun am Flughafen und durch alle Kontrollen“, schrieb der 41-Jährige, als die Familie ungehindert am Gate ankam, in einer E-Mail. „Eine große Anspannung fällt ab.“

Der „Spiegel“ hat seinen Korrespondenten nach zweieinhalb Jahren außer Landes gebracht. Kazim wird nun von Wien aus berichten. Die islamisch-konservative AKP-Regierung verweigert ihm seit mehr als drei Monaten den Presseausweis. „Das führt dazu, dass ich hier keine Arbeitsgrundlage und auch keine Aufenthaltsberechtigung habe“, sagte Kazim der Deutschen Presse-Agentur kurz vor seiner Ausreise.

Die Presseausweise laufen jeweils zum Jahresende ab - und ohne einen solchen Ausweis ist journalistisches Arbeiten in der immer angespannteren Atmosphäre in der Türkei kaum noch möglich. Selbst akkreditierten ausländischen Korrespondenten kann es inzwischen passieren, dass ihre Recherchen unfreiwillig auf der Polizeiwache enden. Abgelehnt hat die Regierung Kazims Antrag vom Dezember nie, offiziell wird er bearbeitet. Über die Wochen hinweg haben Kazim, der „Spiegel“ und auch die Bundesregierung aber alle Hoffnung aufgegeben.

Hinter den Kulissen bemühte sich dem Vernehmen nach Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst um Kazims Akkreditierung. In einem dpa-Interview im Januar sagte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu noch, alle Korrespondenten würden wieder akkreditiert werden. Verzögerungen hätten mit einer Neubesetzung im Presseamt zu tun, das Davutoglu selber untersteht. „Es wird kein Problem geben.“

Zwar erhielten die meisten deutschen Korrespondenten am 8. Februar den erlösenden Anruf aus dem Presseamt, dass ihr Ausweis bereitläge. Kein Zufall dürfte sein, dass Merkel just an diesem Tag nach Ankara kam. Bei Kazim allerdings klingelte das Handy nicht. „Ich habe den Eindruck, die Regierung hätte mir den Presseausweis gegeben“, sagt er. „Aber das Präsidialamt war dagegen.“

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist der „Spiegel“ generell und Kazim im Besonderen ein Dorn im Auge. AKP-Anhänger werfen dem Magazin vor, einseitig zu berichten. Kazim gehört zu den schärfsten Kritikern Erdogans und der AKP - und hat deswegen auch schon Morddrohungen erhalten. „Unsere Haltung kann man kritisieren, aber das rechtfertigt nicht diesen Umgang“, sagt Kazim.


Schwere Vorwürfe und harte Strafen

Verglichen mit ausländischen Korrespondenten haben es kritische einheimische Journalisten allerdings deutlich schwerer. Oppositionelle Zeitungen werden auf Regierungskurs gezwungen, Redakteure verlieren ihre Jobs. Der Ausstrahlung des unabhängigen TV-Senders IMC wurde drastisch eingeschränkt. Dem Chefredakteur der kritischen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, und seinem Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül droht lebenslange Haft unter anderem wegen „Spionage“, der Prozess soll kommende Woche beginnen.

Erdogan hat diese Woche gefordert, die Terrorismusdefinition im Strafrecht auszuweiten. „Zwischen Terroristen, die Waffen und Bomben tragen, und jenen, die ihre Position, ihren Stift oder ihren Titel den Terroristen zur Verfügung stellen, besteht kein Unterschied“, sagt Erdogan. „Nur weil jemand einen Titel wie Abgeordneter, Akademiker, Autor, Journalist oder Leiter einer Nichtregierungsorganisation trägt, ändert das nichts an der Tatsache, dass diese Person eigentlich ein Terrorist ist.“

Den gefährlichen Vorwurf, Sympathisant der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein, erhebt die AKP-Presse auch gegen den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel. Hintergrund war eine kritische Frage Yücels bei der Pressekonferenz von Merkel und Davutoglu am 8. Februar in Ankara. Yücel - der ebenfalls keinen Presseausweis bekommen hat - besitzt einen deutschen und einen türkischen Pass. Er ist damit aus Sicht der Regierung in Ankara kein Ausländer.

Auch Kazim befürchtete, dass er möglicherweise angeklagt würde, sollte er das Land nicht verlassen. Ihm wurde nach seinen Angaben aus deutschen und türkischen Sicherheitsbehörden zugetragen, „dass die türkische Seite die Angelegenheit eskalieren und mir unter einem konstruierten Vorwand den Prozess machen könnte, beispielsweise wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation“.

Der Antrag der Korrespondentin der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ auf einen Presseausweis wurde nach Darstellung des Blattes ohne Angabe von Gründen abgelehnt, Silje Rønning Kampesæter verließ im vergangenen Monat das Land. Die Zeitung vermutet, dass die kurdischen Wurzeln von Kampesæters Verlobtem der Grund gewesen sein könnten. „Wir sind ohne größere Probleme permanent in Russland und China stationiert, aber uns wird nicht erlaubt, im Nato-Mitglied Türkei zu bleiben“, kritisierte Chefredakteur Espen Egil Hansen.

Wegen der Lage in der Türkei zog der Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Michael Martens, im vergangenen Jahr nach Athen. Auch andere internationale Korrespondenten erwägen einen Umzug in die EU. Kazim sagt: „Es sieht so aus, als würden in der Türkei zunehmend ausländische Korrespondenten ins Visier geraten.“

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