Türkei Warum die Druckmittel wirkungslos sind

Die Bundesregierung verschärft in der Krise mit der Türkei den Ton. Außenminister Gabriel stellt Wirtschaftshilfen infrage und verschärft die offiziellen Reisehinweise. Die Maßnahmen beeindrucken Ankara wenig.

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Eine verschärfte Reisewarnung würde damit vor allem den Hoteliers im Süden der Türkei schaden – übrigens einer Region, die traditionell im oppositionellen säkularen Lager verortet ist. Quelle: dpa

Istanbul Wenn Bundesminister ihren Urlaub unterbrechen, dann geht es nicht um Kleinigkeiten. Als Sigmar Gabriel, Chef des Auswärtigen Amtes, am Mittwoch seinen Nordseeurlaub abblies, war klar, dass konkrete politische Schritte folgen würden. Es ging um die Türkei. In einem Statement kündigte Gabriel an, Reise- und Sicherheitshinweise für das Land anzupassen. Zudem müssten Investitionskredite und Wirtschaftshilfen wie Hermes-Bürgschaften ebenso überdacht werden wie Vorbereitungshilfen der EU für einen Beitritt. Man könne nicht so weitermachen wie bisher.

Spätestens seit dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 türmen sich die Probleme in der Türkei auf, doch bis zuletzt hielt sich Berlin mit lauter Kritik zurück. Weil sich die deutschen Parteien nun im Wahlkampfmodus befinden, fallen die Reaktionen jedoch umso heftiger aus. Die Oppositionsparteien fordern bereits, Wirtschafts- und Finanzhilfen für die Türkei ganz einzustellen. Doch welche Druckmittel stehen überhaupt zur Verfügung? Und nützen die angekündigten Drohungen etwas?

Druck auf das bilaterale Handelsgeschäft

Die Türkei gilt als Wachstumsmarkt deutscher Konzerne wie Metro oder Daimler, doch offenbar können auch sie ins Fadenkreuz der türkischen Säuberungswelle geraten. Die türkische Regierung soll Deutschland eine Liste mit Dutzenden Namen deutscher Unternehmen übersandt haben, denen sie Terrorunterstützung unterstellt. Das wurde dem Handelsblatt in Sicherheitskreisen bestätigt. Auf der Liste, die dem Bundeskriminalamt bereits vor einigen Wochen übergeben worden sein soll, stehen unter anderem Daimler, BASF und eine deutsche Dönerbude. „Seriös ist das kaum noch zu kommentieren“, sagte CDU-Innenexperte Armin Schuster dazu dem Handelsblatt.

Trotzdem: Die deutsche Wirtschaft dürfte kaum an einer weiteren Eskalation der bilateralen Beziehungen interessiert sein. Über 6800 deutsche Firmen sind in dem Land aktiv, investierten alleine seit 2013 über vier Milliarden Euro in die Türkei. Das jährliche Handelsvolumen liegt bei rund 37 Milliarden Euro. Auch wenn deutsche Konzerne einen Teilverlust kompensieren könnten, würden sie die Türkei als strategischen Standort verlieren: Viele Firmen nutzen das Land als Brücke in weitere Wachstumsmärkte in den Nahen Osten. Gabriel kündigte deswegen erst einmal nur eine „Überprüfung“ der Hermes-Bürgschaften für Türkei-Geschäfte an. Wirtschaftliche Sanktionen würden der Türkei schaden, aber der deutschen Wirtschaft sicher nicht nützen.

Der Abbruch des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei

Der Deal ist einfach: Die EU überweist der Türkei bis zu sechs Milliarden Euro, dafür werden dort rund drei Millionen Flüchtlinge mit dem Nötigsten versorgt. Die Bundesregierung lehnte bisher ein Ende dieser Hilfen ab, weil die Gelder direkt den Schutzsuchenden in der Türkei zugutekämen.

In der Tat: Die türkische Regierung sieht von dem Geld relativ wenig. Ein Großteil etwa wird in der Form einer Art Sozialhilfe direkt auf eine kreditkartenähnliche Karte geladen, die registrierte Flüchtlinge erhalten. Darüber hinaus bauen Hilfsorganisationen mit dem Geld Flüchtlingsheime, leisten Ersthilfe und bilden Hilfskräfte aus. An den Überweisungen verdienen somit auch westliche Hilfsorganisationen. Nur ein Teil geht an die türkische Regierung, die damit zusätzliche Lehrer sowie Mitarbeiter in den Sozialämtern ausbildet, die nun auch für Flüchtlinge zuständig sind.

Hinzu kommt: Die Zusammenarbeit klappt laut der Beteiligten hervorragend. Mehr noch, mit der Angelegenheit Betraute berichten dem Handelsblatt, dass sich über diese Kooperation der Gesprächsfaden zu Ankara aufrechterhält. Es würde daher auch der EU schaden, diesen Gesprächskanal abzubrechen.

Außerdem klingen sechs Milliarden Euro zwar viel. In Anbetracht der großen Zahl an Flüchtlingen, die damit versorgt werden sollen, relativiert sich die Summe jedoch. Bei drei Millionen Schutzsuchenden sind das 2000 Euro pro Flüchtling. Der Flüchtlingspakt ist für die EU-Staaten somit die deutlich günstigere Lösung, wenn man sie damit vergleicht, dass alle diese Flüchtlinge in der EU versorgt werden müssten. Ein Ende dieser Hilfen würde folglich niemandem nützen – am allerwenigsten den Flüchtlingen.

Ein Abbruch der EU-Beitrittshilfen für die Türkei

Von 2014 bis 2020 stellt die EU der Türkei insgesamt 4,45 Milliarden Euro zur Verfügung, um den Prozess der Angleichung, aber auch den Ausbau des Rechtsstaats zu unterstützen. Jedes Land, das sich im Beitrittsprozess befindet, erhält solche Gelder.

Ein Ende dieser Hilfen wäre ein deutliches Zeichen dafür, dass sie offenbar nichts genützt haben. Andererseits wäre es ein Tropfen auf dem heißen Stein: Bis Mai 2017 sind laut der Nachrichtenagentur Reuters nämlich erst 186 Millionen Euro an Ankara überwiesen worden.

Die EU-Kommission hat angekündigt, die Zahlungen in diesem Jahr zu überprüfen. Auch die Bundesregierung fordert, eine Neubewertung „im Lichte der jüngsten Ereignisse“ vorzunehmen, erklärte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert. Pikant: Ein Drittel der Beitrittshilfen ist für Demokratisierung und Zivilgesellschaft vorgesehen. Dabei bewege sich die Türkei gerade in diesen Bereichen von den europäischen Idealen weg, lautet der Vorwurf.

Doch ein Ende dieser Hilfen würden eben auch zivilgesellschaftliche Gruppen treffen, die einen Teil der Gelder erhalten. Auch der Grünen-Europapolitiker Manuel Sarrazin fordert daher, dass das Geld nur nicht mehr an staatliche türkische Stellen gehen soll. „Die Kommission ist der Meinung, dass unser Engagement in der Türkei gerade im Lichte der jüngsten Entwicklungen umso wichtiger ist“, sagte ein Kommissionssprecher am Mittwoch zu Reuters.


Ist ein Ende der Beitrittsverhandlungen die Lösung?

Ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen

Im Herbst 2004 beschloss die EU, den Beitrittsprozess mit der Türkei aufzunehmen. Seit 2005 werden die ersten von insgesamt über 30 Verhandlungskapiteln verhandelt. Ein Ende würde Ankara die Perspektive zu einem der attraktivsten Märkte der Welt nehmen.

Gleichzeitig würde es die Türkei noch weiter weg vom Kurs Richtung Westen abbringen. Hinzu kommt: Viele EU-Mitglieder betrachten die diplomatische Krise als bilaterales Problem zwischen Berlin und Ankara, höchstens kommen da noch die Niederlande und Österreich hinzu.

Das würde bedeuten, dass Beratungen zu einem möglichen Abbruch der Beitrittsverhandlungen zu Zoff innerhalb der EU führen könnten. Länder wie Ungarn würden sich womöglich gar auf die Seite Ankaras stellen. Staaten wie Frankreich und Italien, die erst vor kurzem einen großen Rüstungsdeal mit der Türkei abgeschlossen haben, könnten sich ebenfalls querstellen.

Eine Verschärfung der Reisewarnungen gegen die Türkei

Aktuell schreibt das Auswärtige Amt über Reisen in die Türkei unter anderem: „Es kann im Einzelfall auch zu Festnahmen von Personen kommen, gegen die türkische Behörden strafrechtlich vorgehen (etwa bei Verdacht auf Verbindungen zur sogenannten Gülen-Bewegung, der verbotenen „Kurdischen Arbeiterpartei“ PKK oder tatsächlichen oder vermeintlichen terroristischen Straftaten). 

Während eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens kann u.a. die Ausreise untersagt werden. Unter den während des Notstands geltenden Bestimmungen können Verdächtige auch bis zu 14 Tagen in Polizeigewahrsam genommen werden, bevor sie einem Haftrichter vorzuführen sind. Außerdem kann ihnen für 24 Stunden jeglicher Kontakt zur Außenwelt verwehrt werden. Von diesen Maßnahmen sowie von der Möglichkeit zur Verhängung von Untersuchungshaft (nach türkischem Recht bis zu fünf Jahren möglich) im Anschluss an den Polizeigewahrsam wird unter der Geltung des Notstands reger Gebrauch gemacht. Dabei genügen oft bereits geringe Verdachtsmomente.

In letzter Zeit waren auch Personen mit ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit von derartigen Maßnahmen betroffen. Personen, die nicht zu touristischen Zwecken in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten und empfohlen, sich auch bei kurzzeitigen Aufenthalten in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Botschaft einzutragen.“

Das heißt, es wird bereits grundsätzlich davor gewarnt, in die Türkei zu reisen. Die Bundesregierung hat nun auch noch hinzugefügt, dass auch für Touristen erhöhte Gefahr besteht. Doch die Auswirkungen sind wahrscheinlich eher begrenzt. Schon jetzt reisen immer weniger Deutsche in die Türkei. Die Frühbucherzahlen sind den Reisebüros zufolge bereits um fast zwei Drittel eingebrochen. „Für den Sommerurlaub 2017 ist die Türkei derzeit kaum gefragt“, stellt der Präsident des Deutschen Reiseverbands bereits fest.

Ein verschärfter Reisehinweis schadet so vor allem den Hoteliers im Süden der Türkei – übrigens einer Region, die traditionell im oppositionellen säkularen Lager verortet ist.

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