Türkei Wie die AKP auf Erdogan zugeschnitten wird

Staatschef Erdogan hat wieder den Vorsitz der türkischen Regierungspartei übernommen. Jetzt könnten bis zu acht Minister der Regierung in Ankara ausgetauscht werden. Die Abhängigkeit der Partei von Erdogan würde steigen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Türkischen Medien zufolge steht das Kabinett des türkischen Präsidenten vor einer Umbildung. Quelle: AP

Istanbul Der Schock saß tief. Als am 16. April die Hochrechnungen zum Verfassungsreferendum in der Türkei veröffentlicht wurden, verschlug es manchem Politiker der Regierungspartei AKP den Atem: Von der errechneten Mehrheit von rund 60 Prozent war man weit entfernt, in nahezu allen Großstädten stimmten sogar mehr Menschen mit „Nein“ als mit „Ja“.

Auch wenn die umstrittene Volksabstimmung über weitreichende Verfassungsänderungen letztlich mit einer äußerst knappen Mehrheit von 51,4 Prozent gewonnen wurde, war in der Partei schnell klar, dass der Wahlkampf nicht rund lief. Die Regierung hatte die Bürger nicht überzeugen können, für ihre Pläne zu stimmen. Jetzt könnte es erste Konsequenzen geben.

Türkischen Medien zufolge steht das türkische Kabinett vor einer Umbildung. In den Berichten ist die Rede davon, dass bis zu acht Ministerien neue Chefs bekommen könnten. Darunter seien demnach neben dem Wirtschaftsministerium, das derzeit von Nihat Zeybekci geleitet wird, sowie das Außenministerium unter dem derzeitigen Chef-Diplomaten Mevlut Cavusoglu. Darüber hinaus sollen das Parteimanagement sowie die regionalen AKP-Posten in den Provinzen neu besetzt werden. „Wir wollen unsere Organisation verjüngen“, erklärte Erdogan auf einem außerordentlichen Parteikongress am Wochenende. „Diejenigen, die zwischen 18 und 20 Jahren alt sind, sollen in unseren Provinzorganisationen aktiv werden.“

Beim Parteikongress am Sonntag war zunächst das höchste Entscheidungsgremium der AKP, der zentrale Entscheidungs- und Leitungsrat (MKYK), teilweise neu besetzt worden. Die Zeitung Hürriyet schreibt, dass bald auch im Verteidigungsministerium sowie in den Ministerien für Landwirtschaft, Umwelt sowie im Forst- und Wasserministerium Wechsel an der Spitze bevorstehen könnten. Außerdem sollen einige stellvertretende Ministerpräsidenten, die ohne eigenes Ressort in der Regierung sitzen, ihre Posten räumen. Das Handelsblatt hat aus Kreisen erfahren, dass man im Premierministerium in Ankara davon ausgeht, dass es zu einer Umbildung kommen wird. Bis zu acht Ministerien könnten von der Rochade betroffen sein.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan war am Sonntag wieder zum Parteichef der AKP ernannt worden. Durch die erfolgreiche Volksabstimmung ist die Parteiunabhängigkeit des Staatsoberhauptes aufgehoben. Jetzt ist es in der Türkei wieder möglich, dass das Staatsoberhaupt einer Partei angehören darf. Zuletzt galt diese Regelung in dem Land bis 1960. Seit seiner Wahl zum Staatspräsidenten im Juli 2014 war Erdogan offiziell parteilos, weil es das Gesetz verlangte.


Warum Erdogan den Umbruch will

Viele hatten erwartet, dass Erdogan in der Partei, die er vor knapp zwei Jahrzehnten mitgegründet hatte, nun Änderungen anstreben werde. Zuletzt lief es alles andere als glatt: Neben dem verkorksten Wahlkampf für das Verfassungsreferendum hatte die Regierungsmannschaft es nicht geschafft, wichtige Reformen anzupacken. So stimmte in Großstädten wie Istanbul und Ankara, wo seit Jahren AKP-Bürgermeister regieren, eine Mehrheit gegen das von der Partei angestrebte Referendum über weitreichende Verfassungsänderungen. Gleichzeitig erreichte die Inflation im März mit 11,87 Prozent einen Rekordwert. Türken beklagen seit Jahren, dass ständig alles teurer werde, während Löhne und Gehälter kaum anstiegen.

Offenbar glaubt Erdogan, nur er selbst könne die Türkei aus der Stagnation herausbefördern. „Erdogan will mit einer neuen Generation zusammenarbeiten, die in seiner Partei und unter seiner Ägide großgeworden ist und die vor der Ära Erdogan keine politische Erfahrung gesammelt hat“, erklärt Murat Yetkin von der türkischen Tageszeitung Hürriyet. Erdogan wolle demnach ein Team formen, in dem keine potenziellen Abweichler mehr vorhanden seien, „sondern das seine Entscheidungen umsetzt, ohne sie zu hinterfragen“.

Einer davon könnte Ibrahim Kalin sein. Der bisherige Sprecher Erdogans gilt als einer der engsten Vertrauten des Präsidenten. Jetzt fällt sein Name immer häufiger im Zusammenhang mit dem Posten des Außenministers. Amtsinhaber Mevlut Cavusoglu konnte hier in den vergangenen Monaten nicht glänzen. Sämtliche außenpolitische Fortschritte in der Türkei, etwa die Versöhnung mit Russland oder das militärische Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg, fielen nicht unter sein Ressort – es war Chefsache Erdogans. In der Debatte um eine Bewaffnung kurdischer Rebellen in Syrien durch die USA konnte Cavusoglu nicht viel ausrichten: Die USA beschlossen Anfang Mai, die Kurden dort mit Waffen auszurüsten und gemeinsam mit ihnen gegen die Terrormiliz IS vorzugehen. Ein Schritt, auf den die Türkei nur noch mit äußerstem Protest reagieren.

Nun soll also alles auf Erdogan zugeschnitten werden. Dabei feierte die AKP ihre größten Erfolge vor rund zehn Jahren, in einer Zeit, in der mehrere intellektuelle Vordenker die Politik der Partei prägten. So erreichten die Außenbeziehungen ihre Blütezeit um das Jahr 2008, als Ali Babacan Außenminister des Landes war. Er war außerdem zum Chefunterhändler für den Aufnahmeprozess in die Europäische Union ernannt worden und galt als „Wirtschaftskapitän“ im Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan. Damals prägten abermals Funktionäre wie Bülent Arinc, der ehemalige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und Ex-Staatschef Abdullah Gül das programmatische Bild der AKP.

Der türkische Kolumnist Abdülkadir Selvi, der in Regierungsangelegenheiten als sehr gut informiert gilt, hält eine Kabinettsumbildung noch in dieser Woche für möglich. Auch Journalisten der als regierungsnah geltenden türkischen Tageszeitung Sabah glauben, dass Erdogan eine Rochade in der AKP anstrebt. Demnach sollen bis in die Dorfverwaltungen hinein Änderungen anstehen. Informierten Kreisen zufolge sollen bis kommenden Freitag erste Namen bekanntgegeben werden, kurz vor Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%