Noch vor einer Woche war die Außenpolitik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ein Scherbenhaufen. Die Beziehungen zur EU sind zerrüttet. Schuld ist nicht zuletzt das polternde Auftreten Erdogans. Der scheidende britische Premier David Cameron tönte während des Brexit-Wahlkampfes, "die Türkei werde frühestens im Jahr 3000 EU-Mitglied" - und das, obwohl Großbritannien lange als Fürsprecher der Türkei galt.
Auch jenseits der Europäischen Union sind die Karten der Türkei schlecht. Mit dem Bürgerkrieg in Syrien und dem Aufstieg des IS im Irak brachen zwei der wichtigsten türkischen Export-Märkte weg. Der Islamische Staat hat der Türkei den Krieg erklärt. Ankara fürchtet zudem einen kurdischen Staat.
Mit Israel, einem langjährigen Partner und Verbündeten der Türkei, fror Erdoğan infolge des Gaza-Kriegs 2010 die Beziehungen ein, nachdem israelische Soldaten ein mit Hilfsgütern für Gaza beladenes Schiff gestürmt hatten.
Einst pflegte Erdoğan enge Beziehungen mit der Muslim-Bruderschaft in Ägypten - als die 2013 gestürzt wurden, blieb vom "Neo-Osmanismus" nicht mehr viel übrig.
Der größte Schaden für die Türkei aber entstand durch den Abschuss eines russischen Kampfjets, der bei einem Kampfeinsatz in Syrien den türkischen Luftraum verletzt hatte. Russlands Präsident Wladimir Putin reagierte mit harschen Sanktionen. Auch ein Embargo gegen türkische Lebensmittel wurde verhängt. Ein harter Schlag für den Außenhandel, denn Ausfuhren nach Russland machten fast ein halbes Prozent des türkischen BIP aus.
Vor allem aber fehlen dem türkischen Tourismus bisher knapp vier Millionen russische Gäste. Charter-Flüge wurden komplett eingestellt. 92 Prozent weniger russische Touristen als im Vorjahr besuchten die Türkei. Die ließen insgesamt bisher knapp vier Milliarden US-Dollar im Land.
Anschläge geben türkischer Wirtschaft den Rest
Die Terror-Anschläge, allein vier dieses Jahr schon in Istanbul, geben der angeschlagenen Reise-Industrie den Rest. Insgesamt gingen im Mai die Buchungen im Vergleich zum Vorjahr um 34 Prozent zurück. Und das war noch vor den Anschlägen vom Dienstag.
Erdoğans außenpolitische Offensive kommt da einem Befreiungsschlag gleich. Am Montag hieß es, Erdoğan habe sich mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu auf eine Normalisierung der Beziehungen geeignet. Die Touristen aus Israel könnten das Loch zumindest zum Teil auffüllen: Langfristig rechnet man mit bis zu einer Million Gästen pro Jahr.
Zwei Tage später folgte der "Kniefall" vor Putin. Der hatte monatelang darauf gewartet, dass Ankara öffentlich um Entschuldigung für den Abschuss des Piloten bitte. Schließlich bekam er sie.
Erdogans Entschuldigung ist eine Erleichterung für die Wirtschaft
Für die türkische Wirtschaft ist die Aussöhnung besonders wichtig: Nicht nur die Tourismus-Industrie, auch die für die Türkei so wichtige Bau-Industrie und die Landwirtschaft litten unter den Sanktionen.
Der Anschlag am Istanbuler Atatürk-Flughafen vom Dienstag, bei dem 41 Menschen starben und 239 verletzt wurden, droht, die außenpolitische Charme-Offensive zu stören.
Leisten kann sich das Land das auf Dauer nicht. Die Zeiten, in denen die türkische Wirtschaft um sieben, acht Prozent wuchs, sind lange vorbei.