Türkischer Präsident Erdogan wirft Deutschland „Nazi-Praktiken“ vor

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"Keiner von euch kann uns daran hindern"

Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu kündigte trotz der Kritik aus Deutschland und den Niederlanden an, Politiker seines Landes würden dort weiterhin auftreten. "Keiner von euch kann uns daran hindern", sagte er in der Südtürkei. "Wir können überall hingehen, wo wir wollen, unsere Bürger treffen, unsere Treffen abhalten". Cavusoglu will noch in dieser Woche mit Gabriel über die Spannungen sprechen.

Der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi wollte am Sonntag bei zwei Veranstaltungen in Leverkusen und in Köln sprechen. Nach Angaben der Stadt Leverkusen handelte es sich dort um eine Kulturveranstaltung. In Köln wollte der türkische Politiker eine private Zusammenkunft besuchen.

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern plädierte in der "Welt am Sonntag" für ein EU-weites Verbot von Auftritten türkischer Politiker. Ein gemeinsames Vorgehen wäre sinnvoll, damit nicht einzelne Länder unter Druck der Türkei gerieten. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte will türkischen Politikern Auftritte in seinem Land verwehren. Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) äußerte sich ähnlich: "Ich lehne türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden entschieden ab." Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, zeigte ebenfalls Härte. "Wir wollen nicht, dass für das undemokratische und damit illegitime Referendum in der Türkei auf deutschem Boden Werbung gemacht wird", sagte er Reuters.

Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, warnte dagegen vor Verboten. Das liege zwar nahe, doch wenn man Meinungsfreiheit ernst nehme, dürfe man nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sagte er der "Welt am Sonntag". Nordrhein-Westfalens Regierungschefin Hannelore Kraft forderte zudem ebenso wie der Nürnberger Oberbürgermeister und Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Ulrich Maly (SPD), von der deutschen Regierung, eine klare Position zu diesem Thema zu beziehen. "Ich wünsche mir eine klare Ansage der deutschen Außenpolitik", sagte er. Kraft sieht die Bundeskanzlerin am Zuge, wie sie dem Deutschlandfunk sagte. Die Bundesregierung dürfe das Problem nicht auf die kommunalen Versammlungsbehörden abwälzen.

Im Fall des "Welt"-Journalisten Yücel, der maßgeblich für die jüngste Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen verantwortlich ist, zeichnen sich derweil keine Fortschritte ab. Yücel wird seit mehr als zwei Wochen von den türkischen Behörden festgehalten. Gabriel wie auch Österreichs Bundeskanzler Kern setzten sich für dessen Freilassung ein. Yücel selbst beklagte in einer Nachricht, die in der "Welt am Sonntag" abgedruckt wurde, die Inhaftierung in einer Einzelzelle und viele Beschränkungen als "sehr verstörend". "Aber in jedem Fall sind meine Gesundheit und meine seelische Verfassung gut", versicherte der Deutsch-Türke.

Österreichs Bundeskanzler Kern plädierte als Konsequenz aus undemokratischen Entwicklungen in der Türkei für ein Ende der EU-Beitrittsgespräche mit dem Land. Auch EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn sagte der "Bild am Sonntag", die Türkei bewege sich immer weiter von er EU weg. In einer Emnid-Umfrage beklagten 81 Prozent der Deutschen, die Bundesregierung lasse sich von der Türkei zu viel gefallen. Knapp die Hälfte wünscht eine Kündigung des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei.

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