Übergelaufene Truppen Der „Anti-Terror-Einsatz“ in der Ukraine gerät ins Stocken

Ukrainische Regierungstruppen laufen zu den Separatisten im Osten über, Maskierte übernehmen den Stadtrat von Donezk: Die Lage gerät mehr und mehr außer Kontrolle. Hoffnungen richten sich auf ein Krisentreffen in Genf.

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Ukrainische Soldaten nahe Kramatorsk. Der Regierungschef klagt: „Außer Öl und Gas exportiert Russland auch Terror in die Ukraine.“ Quelle: Reuters

Donezk/Brüssel/Berlin Der „Anti-Terror-Einsatz“ der ukrainischen Regierung gegen prorussische Separatisten im Osten des Landes ist massiv ins Stocken geraten. In den Städten Kramatorsk und Slawjansk liefen Regierungseinheiten mit bis zu zehn gepanzerten Fahrzeugen zu den Aktivisten über. Örtliche Medien berichteten am Mittwoch, die Truppen seien mit den Fahrzeugen durch die beiden Städte rund 80 Kilometer nördlich der Gebietshauptstadt Donezk gefahren. Die Nato kündigte derweil eine stärkere militärische Präsenz in den östlichen Staaten des Bündnisses an.

Eigentlich waren die ukrainischen Einheiten zur Bekämpfung der moskautreuen Aktivisten in den Osten des Landes beordert worden. Das Verteidigungsministerium in Kiew wies die Berichte zurück. Es handele sich dabei um Fälschungen.

In der Gebietshauptstadt Donezk übernahmen am Mittwoch Maskierte gewaltlos den Stadtrat. In anderen Städten der Region bildeten sich Bürgerwehren. Sie wollten die Sicherheitskräfte der prowestlichen Führung in Kiew unterstützen und sich gegen die Separatisten verteidigen. Die Ausrufung eines Ausnahmezustandes im Osten lehnte Verteidigungsminister Michail Kowal ab.

In Slawjansk berichteten Bewohner, dass in der Bevölkerung Angst herrsche und sich kaum noch jemand auf die Straße traue. So war zum Beispiel die Universität geschlossen, wie Beschäftigte sagten.

Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk erhob erneut schwere Vorwürfe gegen Russland: „Außer Öl und Gas exportiert Russland auch Terror in die Ukraine.“ Er forderte die Führung in Moskau auf, das Vorgehen der Separatisten als „Terrorakte“ abzulehnen. Russland müsse dies öffentlich einräumen und dann seine „Spionage- und Sabotagegruppen“ zurückziehen.

Die Nato verstärkt angesichts der Ukraine-Krise ihre militärische Präsenz in den östlichen Staaten des Bündnisses. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte am Mittwoch in Brüssel, es würden mehr Flugzeuge und Schiffe eingesetzt und auch Soldaten geschickt. Das Bündnis reagiert damit auf Bitten der baltischen Mitglieder Litauen, Lettland und Estland – einstige Sowjetrepubliken – sowie Polens und Rumäniens.


Die Bundesregierung lobt das Vorgehen der ukrainischen Führung

Moskau hat bisher alle Anschuldigungen einer Einmischung in die Unruhen im Nachbarland strikt zurückgewiesen. Kremlchef Wladimir Putin warnte in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Eskalation des Konflikts habe das Land an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht.

Die Bundesregierung lobte dagegen ausdrücklich das Vorgehen der ukrainischen Führung gegen prorussische Kräfte im Osten des Landes. „Aus unserer Sicht hat sich die ukrainische Regierung in dieser Krise bisher sehr besonnen und zurückhaltend verhalten“, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin.

Kanzlerin Merkel hoffe durch den Ukraine-Vierergipfel an diesem Donnerstag in Genf auf Impulse für eine Lösung am Verhandlungstisch, sagte Streiter. An dem Treffen nehmen die Außenminister aus Russland, der Ukraine und den USA sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton teil.

Moskau warnte vor einem Scheitern der Verhandlungen in Genf. Wichtig sei eine umfassende Verfassungsreform, sagte Außenminister Sergej Lawrow bei einem Besuch in Vietnam. Anders sei die schwere Staatskrise nicht zu lösen.

Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, warf der Nato Versagen in der Ukraine-Krise vor. Das Bündnis habe vor der Krim-Krise „überhaupt keinen Beitrag zur Deeskalation“ geleistet, sagte der ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses im Sender Bayern2 (radioWelt am Morgen). „Die Nato hätte von Anfang an mit Russland verhandeln müssen, denn sie hat eine strategische Partnerschaft mit Russland“, sagte Kujat.

Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda, äußerte Verständnis für das militärische Vorgehen der ukrainischen Übergangsregierung. Die Führung in Kiew müsse Rücksicht nehmen auf die Bevölkerung der russisch geprägten Ostukraine, sagte Swoboda dem rbb-Inforadio. „Aber man kann doch nicht zulassen, dass einige Heißsporne oder Separatisten - durch wen immer auch unterstützt - freie Hand haben bei der Besetzung von offiziellen Gebäuden und Umsturzversuchen. Das ist nicht tolerierbar.“

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