Ukraine Das ewige Sorgenkind Europas weckt neue Zweifel

Das nachlassende Reformtempo der Ukraine sorgt zunehmend für Besorgnis. Auch anhaltende Korruption und Mängel in der Justiz des Landes tragen dazu bei. Die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung könnte bald ein Ende haben.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Das Vertrauen bei Investoren im Ausland ist noch nicht zurückgekehrt und dürfte das angesichts wachsender neuer Zweifel wohl kaum tun. Quelle: Reuters

Berlin Nimmt man die bloßen Zahlen, dann geht es in der Ukraine nach einem dramatischen wirtschaftlichen Einbruch wieder aufwärts. Das Wachstum wird bei Experten auf rund zwei Prozent in diesem Jahr veranschlagt, vielleicht noch etwas mehr, und soll im nächsten Jahr auf dreieinhalb Prozent anziehen. Es wird deutlich mehr investiert, die Importe und Ausfuhren wachsen zweistellig, die Wirtschaftslage hat sich stabilisiert. „Die ukrainische Wirtschaft erholt sich weiter“, bilanziert die deutsche Handels- und Investitionsagentur GTAI. Doch bei vielen der rund 1200 Unternehmen mit deutscher Beteiligung in dem Land und bei langjährigen Beobachtern werden die Sorgenfalten seit einiger Zeit wieder tiefer. Von wachsender Reform-Unlust ist die Rede, von anhaltender Korruption und Mängeln in der Justiz.

Es ist ziemlich genau vier Jahren her, seit eine riesige Protestwelle von Hunderttausenden auf dem Maidan-Platz in Kiew das Signal für eine Zeitenwende in der Ukraine setzte – weg vom übermächtigen politischen und wirtschaftlichen Partner Russland hin in Richtung Europa. Die russische Annexion der Krim wenige Monate später markierte den Höhepunkt dieser Totalwende. Seitdem wird im industriell wichtigen Osten der Ukraine gegen Russland freundliche Separatisten gekämpft. In der Folge erlebte das Land einen tiefen ökonomischen Absturz, der nicht zuletzt mit Hilfe eines IWF-Milliardenprogramms gestoppt wurde.

Doch seit einiger Zeit wachsen sowohl bei im Lande tätigen deutschen Unternehmen als auch bei Kennern die Zweifel, ob die Aufwärtsentwicklung weitergeht. Der Befund von Ricardo Giucci, der eine vor Jahren vom deutschen Wirtschaftsministerium initiierte Beratungsgruppe für die ukrainische Regierung leitet, lautet: „Die Reformbilanz der Ukraine ist gemischt.“ Einerseits habe das Land im Banken- und Energiesektor erhebliche Erfolge erzielt, andererseits „ist es bisher nicht gelungen, die Justiz zu reformieren“. Diese Mängel in der Rechtsprechung sind eine besonders bittere Pille, beklagen Unternehmer. Denn die Justiz ist entscheidend bei Reformen und deren Umsetzung. Ohne eine funktionierende unabhängige Justiz ist eine Umgestaltung kaum zu machen.

Das gilt auch für das Mega-Problem Korruption in dem osteuropäischen Land mit seinen rund 45 Millionen Einwohnern, auf das auch die GTAI verweist. Zwar seien Erfolge erzielt worden, doch das Übel wuchere weiter. „Es gibt hier keine großen Fortschritte“, sagt ein Firmenvertreter. Ein anderer Kenner lenkt den Blick auf die Staatsunternehmen in der Ukraine. „Die dreckigen Sachen laufen meist über Staatsfirmen“, sagt er. Hinzu komme, dass viele in der Politik, ganz besonders im Parlament, ungeschminkt materielle Einzelinteressen verfolgten. Da werde von Abgeordneten auch schon mal unverhohlen eingefordert, dass sie von der Regierung „bedient“ werden müssten. Hinzu komme die Macht von einigen Oligarchen, etwa im Energiesektor.


Nur begrenzte Spielräume für Besserungen

Die Ukraine hat neben dem Krieg auch wirtschaftlich schlimme Zeiten durchlebt. Noch 2015 war die Wirtschaftsleistung binnen eines Jahres um zehn Prozent abgesackt, ein Jahr zuvor waren es auch schon fast sieben Prozent Minus. Dabei halbierten sich die Exporte zwischen 2013 und 2016 auf 36 Milliarden Euro. Der Außenhandel mit Russland, dem bis dato dominierenden Handelspartner, brach von ehemals fast 50 Milliarden Dollar auf knapp neun Milliarden Dollar ein und konnte auch durch eher langsame Steigerungen mit den EU-Ländern nicht wettgemacht werden. Ein Drittel der Banken musste nach 2014 geschlossen werden. Die Inflation lag zeitweise bei 60 Prozent.

Inzwischen sieht es wieder besser aus. Das gilt auch ganz besonders für den Handel zwischen Deutschland und der Ukraine. In den ersten neun Monaten dieses Jahres stiegen die deutschen Exporte in das Land mit 23,4 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro, und auch die Lieferungen aus der Ukraine kletterten um 17 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro. Allerdings: Von früheren Rekordhöhen – wie Ausfuhren von 5,8 Milliarden Euro im Jahre 2012 – ist man noch weit entfernt. Die deutschen Investitionen in der Ukraine verharren trotz der Fortschritte bei gerade 75 Millionen Euro im Jahr 2016.

Das Vertrauen bei Investoren im Ausland ist jedenfalls noch nicht zurückgekehrt und dürfte das angesichts wachsender neuer Zweifel wohl kaum tun. „Die Auslandsinvestitionen befinden sich nach wie vor auf einem niedrigen Niveau – dies macht deutlich, wie wichtig weitere Reformen sind“, sagt Gucci. Und der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses, Michael Harms, bemängelt: „Das Reformtempo ist erlahmt und zu niedrig.“

Solange sich daran nichts ändert, dürfte der Raum für weitere Verbesserungen begrenzt bleiben. Und auch die Perspektiven der Ukraine in Europa bleiben begrenzt. Beim letzten Osteuropa-Gipfel der EU Ende November war der Tenor jedenfalls eindeutig: die EU öffnet der Ukraine vorerst nicht die Tür für einen EU-Beitritt. Grundlage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bleibt vorerst ein Assoziierungsabkommen, das im November 2013 ein wesentlicher Auslöser für die politischen Umwälzungen in dem Land war.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%