Schüsse, Angst und Kälte, der alltägliche Kampf ums Überleben. Anatolij Terlecki, der nahe dem zerstörten Flughafen von Donezk lebt, wird täglich Zeuge von Kämpfen in der Ostukraine. „Auf den Straßen wird geschossen, es ist bitterkalter Winter“, sagt der Vorsitzende der Gesellschaft der Polen in der Ostukraine der polnischen Nachrichtenagentur PAP. „Jeder Tag ist schwierig.“
Er hat Angst, seine Wohnung könne von Granaten getroffen werden, oder ein Querschläger könne tragische Folgen haben, wenn seine Frau auf dem Weg zum Lebensmitteleinkauf ist. Doch Terlecki hat eine Hoffnung: Die Evakuierung nach Polen. „Wir warten auf die Ausreise“, sagt er.
Der blutige Konflikt in der Ostukraine hat schon mehr als eine Million Menschen in die Flucht getrieben. Jene, die bisher ausgeharrt haben in Donezk, Lugansk und anderen Orten in der Krisenregion, sind oft zermürbt, wollen nur noch weg. Unter ihnen sind viele Angehörige der ethnischen Minderheiten, die auch auf die Hilfe der Länder hoffen, aus denen ihre Vorfahren stammen - zum Beispiel Polen oder auch Deutschland.
Fragen und Antworten zum Absturz von MH17
Nein. Der OSZE-Forderung, nichts an der Absturzstelle zu verändern, wurde nach Angaben einer Sprecherin zumindest nicht gänzlich nachgekommen. So seien Gepäckstücke von Flugzeuginsassen fein säuberlich aufgereiht worden. Ein anderer OSZE-Vertreter berichtete, am Samstag seien Leichen von Passagieren des Flugs MH17 von Unbekannten in Plastiksäcke gepackt und an den Straßenrand gebracht worden, ohne dass die OSZE-Experten Erklärungen dafür erhielten.
Nein. Sowohl die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als auch die ukrainische Regierung haben sich auch am zweiten Tag nach der Katastrophe beschwert, dass die prorussischen Separatisten die Arbeit der Experten massiv behindern, die bereits jetzt vor Ort sind. Die Ermittler können sich nach den Angaben nicht völlig frei bewegen und stehen unter Aufsicht schwer bewaffneter Rebellen. Inzwischen sollen die Aufständischen nach ukrainischen Angaben immerhin einer „Sicherheitszone“ rund um die Absturzstelle zugestimmt haben.
Das ukrainische Innenministerium hat in Charkow für Angehörige und Hinterbliebene der Opfer Hunderte Hotelzimmer reserviert. In der Großstadt stünden auch Übersetzer und Psychologen bereit. Noch ist es nach Angaben der Fluggesellschaft Malaysia Airlines nicht in allen Fällen möglich gewesen, Familienangehörige ausfindig zu machen.
Noch sind längst nicht alle 298 bei dem Absturz getöteten Insassen der malaysischen Passagiermaschine entdeckt worden. Zudem herrschen in dem Gebiet Temperaturen von um die 30 Grad. Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums wurden die sterblichen Überreste der Passagiere und Besatzungsmitglieder nach Charkow gebracht, weit weg von den Gefechten. In der etwa 300 Kilometer von der Absturzstelle entfernten Stadt werde ein Labor zur Identifizierung eingerichtet, hieß es. Separatisten wiederum kündigten an, die Leichen würden in Mariupol identifiziert.
Das ist noch immer nicht definitiv geklärt. Viele Länder, die Opfer zu beklagen haben, schicken eigene Experten in die Ukraine. Dort ist die Lage aber nach Angaben des Bundeskriminalamtes recht unübersichtlich. Sowohl der genaue Einsatzort als auch die Führung der Mission müssten noch geklärt werden, sagte ein Sprecher. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) schlug in einem Brief an die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) die Einsetzung einer aus mehreren Nationen besetzten Untersuchungskommission vor. Deutschland biete für einen Einsatz unter der Leitung der ICAO die Unterstützung der Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung an, sagte Dobrindt „Focus Online“.
Das Gebiet östlich von Donezk, in dem die Trümmer der abgestürzten Maschine liegen, ist riesig. Die Wrackteile sind nach Angaben des ukrainischen Rettungsdienstes über eine Fläche von etwa 25 Quadratkilometern verstreut. Das entspricht in etwa der Größe der ostfriesischen Insel Norderney. Wo die Flugschreiber sind, ist weiterhin nicht definitiv geklärt. Sie könnten in den Händen der Aufständischen sein. Separatistenanführer Alexander Borodaj sagte, die Black Boxes könnten dem Internationalen Roten Kreuz übergeben werden.
Der ukrainischen Volkszählung von 2001 zufolge leben etwa 33.000 ethnische Deutsche in der Ukraine, davon etwa 3000 auf der Krim. Der deutsche Regierungsbeauftragte Hartmut Koschyk berichtete nach einer Reise in die Ukraine von „großer Unruhe bei der deutschen und anderen Minderheiten“. Er warnte vor möglichen „Panikreaktionen in Form von Ausreiseanträgen“. Deutschland und die EU erwarteten von der ukrainischen Führung ein Bekenntnis, dass alle Minderheiten geschützt seien. Dies hatte die prowestliche Regierung in Kiew mehrfach betont.
Auf Ausreiseanträge will die polnische Regierung nicht warten. Zwar leben die Angehörigen der polnischen Minderheit vorwiegend in der Westukraine, die bis 1939 polnisch war. Doch das Warschauer Außenministerium schickte im Dezember einen Staatssekretär in die Ukraine, um mit dem Konsulat in Charkow eine Liste von Ausreisewilligen in der Ostukraine zu erstellen. Auch die nationalkonservative Opposition fordert, die Polen schnell aus dem Donbass zu bringen. Nach Schätzungen des Konsulats in Charkow leben etwa 400 Menschen polnischer Abstammung in der Ostukraine.
Den Vereinten Nationen zufolge starben bei dem Konflikt zwischen ukrainischen Regierungseinheiten und prorussischen Separatisten seit April bereits mehr als 4700 Menschen - darunter viele Kämpfer, aber auch viele Zivilisten.
„Wir warten auf gepackten Koffern“, zitieren polnische Medien Viktoria Charczenko aus Donezk. Wie viele polnischstämmige Einwohner hat sie ihre Habe verkauft und wartet auf einen Transport nach Polen, der möglicherweise in der kommenden Woche, nach dem orthodoxen Weihnachtsfest, beginnen könnte. Auf der Liste der Ausreisewilligen stehen nach Angaben des polnischen Außenministeriums 205 Menschen - Ukrainer mit polnischen Wurzeln und ihre Familien. 30 Kilogramm Gepäck pro Person dürfen sie mitnehmen aus ihrem alten Leben.
Doch die Zahl jener, die auf eine Zukunft in Polen hoffen, könnte noch höher sein, meint der Pfarrer Nikolai Pilecki, der in Donezk die polnischen Katholiken betreut. „Nicht alle können ihre polnischen Wurzeln nachweisen.“ Andere seien entschlossen, im Donbass das Ende des Konflikts abzuwarten. „Irgendwann muss der Krieg doch enden“, sagt Pilecki. „Wir haben die Hoffnung noch nicht verloren.“
Auf einen Transport in das Land ihrer Vorfahren vertrauen auch Hunderte Ukrainer mit tschechischen Wurzeln und wandten sich mit der dringenden Bitte um Rückführung an die Führung in Prag. Präsident Milos Zeman forderte die Regierung auf, die Anträge zu prüfen. Bereits in den 1990er Jahren hatte der damalige Staatschef Vaclav Havel ein spezielles Repatriierungsprogramm in Auftrag gegeben.
Rund 30.000 Tschechen hatten sich im 19. Jahrhundert vor allem in Wolhynien im Nordwesten der Ukraine angesiedelt und dort etwa Mühlen gegründet. Der Minderheit sollen noch rund 10.000 Menschen angehören.
Die Prager Regierung will den Menschen allerdings eher helfen, in der krisengeschüttelten Ex-Sowjetrepublik zu bleiben. „Wir wollen keinen Massenexodus“, betont Außenminister Lubomir Zaoralek.