Ukraine-Krise Ukrainische Armee greift russischen Hilfskonvoi an

Erst schien die Situation zwischen Russland und der Ukraine wieder entspannter. Jetzt droht eine erneute Eskalation: Angeblich haben ukrainische Truppen einen russischen Hilfskonvoi angegriffen. Russland dementiert dies.

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Der Konflikt in der Ukraine verschärft sich. Quelle: dpa

Die ukrainische Armee hat nach Angaben von Präsident Petro Poroschenko russische Militärfahrzeuge auf ihrem Staatsgebiet zerstört. Über den nächtlichen Einsatz berichtete der Staatschef am Freitag auf seiner Internetseite.
Aus Russland gab es zunächst keine Reaktion. Das Außenministerium in Moskau teilte lediglich sein „tiefes Bedauern“ darüber mit, dass sich eine russische Hilfslieferung durch eine „Intensivierung militärischer Aktionen“ weiter verzögere. Später hat ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums die Berichte dementiert, wonach ukrainische Truppen mehrere russische Militärfahrzeuge zerstört hätten, die über die Grenze in die Ukraine gefahren seien. Kein russischer Militärkonvoi habe - wie von der ukrainischen Seite behauptet - die Grenze überquert, wurde Generalmajor Igor Konaschenkow am Freitag von russischen Medien zitiert. Neben der Ukraine hatte auch die Nato von einem russischen „Einfall“ in das Land berichtet.
Die prowestliche Führung in Kiew zeigte keine Bilder des angeblichen Kampfs. Der ukrainische Sicherheitsrat teilte mit, die Fahrzeuge hätten zu einem Militärkonvoi aus 23 Fahrzeugen gehört, der unerlaubt die Grenze überquert habe. Von dem Übertritt hatten zuerst britische Reporter berichtet. Moskau widersprach, dass Kriegsgerät in das Nachbarland eingedrungen sei.
Der für die Grenzsicherung zuständige russische Inlandsgeheimdienst FSB hatte mitgeteilt, dass es sich bei dem Konvoi um eine normale Patrouille gehandelt habe. „Mobile Einheiten“ würden die Region nahe des Übergangs Donezk/Iswarino kontrollieren, da es dort wiederholt zu Granatenbeschuss von ukrainischem Territorium gekommen sei. Kein Konvoi sei über die Grenze gefahren, sagte ein namentlich nicht genannter FSB-Mitarbeiter der Staatsagentur Ria Nowosti.

Im Ukraine-Konflikt warnen die EU-Außenminister Moskau mit scharfen Worten vor einem militärischen Eingreifen. „Jegliche einseitigen militärischen Handlungen (...) unter jeglichem - auch humanitärem - Vorwand, wird die Europäische Union als unverhohlene Verletzung internationalen Rechts werten“, heißt es in der Abschlusserklärung zur Ukraine, die die Minister am Freitag in Brüssel verabschiedeten. Zugleich versicherten sie die Regierung in Kiew ihrer Unterstützung und beharrten auf der Einheit des Landes.
„Die Europäische Union drängt die Russische Föderation, jede Form von Grenzfeindlichkeiten sofort zu beenden, besonders den Fluss von Waffen, Militärberatern und bewaffnetem Personal in die Konfliktregion.“ Moskau müsse seine Kräfte von der Grenze zur Ukraine zurückziehen.

Stattdessen aber hat das Verteidigungsministerium in Kiew den Abzug von mehr als 100 ukrainischen Soldaten aus Afghanistan befohlen. Sie würden nun im eigenen Land zum Einsatz gegen Aufständische gebraucht, sagte Militärsprecher Andrej Ordinowitsch am Freitag in Kiew.
Inmitten des Streits über russischen Nachschub für moskautreue Separatisten in der Ostukraine trafen sich zwei ranghohe Vertreter beider Länder zum Krisengespräch. Der Leiter der russischen Präsidialverwaltung, Sergej Iwanow, habe mit seinem Kollegen Boris Loschkin in Sotschi über den Konflikt in der Ukraine gesprochen, teilte der Kreml in Moskau mit. Beide hätten in der Schwarzmeerstadt betont, dass ein Treffen von vier Außenministern an diesem Sonntag in Berlin erheblich zur Vertrauensbildung beitragen werde.
In Starobelsk nördlich der Separatistenhochburg Lugansk übernahm das Rote Kreuz unterdessen mehrere Tonnen Lebensmittel für die notleidende Ostukraine. Die Ladung sei von einem Regierungsvertreter übergeben worden, teilte der nationale Sicherheitsrat in Kiew mit.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow und sein ukrainischer Kollege Pawlo Klimkin beraten am Sonntag in Berlin über die Krise in der Ostukraine. An dem Treffen würden auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und der französische Ressortchef Laurent Fabius teilnehmen, teilte Klimkin am Freitag per Kurznachrichtendienst Twitter mit. "Es kann ein eckiger Tisch oder ein runder Tisch sein", sagte Klimkin. "Aber wir müssen reden."


Nacht und Nebel Aktion


Russische Militärfahrzeuge sind offenbar von Journalisten beim Eindringen auf ukrainisches Territorium beobachtet worden. Wie die britischen Zeitungen „The Guardian“ und „The Telegraph“ berichteten, überquerte ein Konvoi aus 23 gepanzerten Mannschaftstransportwagen gemeinsam mit Tanklastwagen und anderen Versorgungsfahrzeugen am späten Donnerstagabend die Grenze zum Nachbarland. An allen Fahrzeugen seien Kennzeichen des russischen Militärs angebracht gewesen. Der Vorfall ereignete sich demnach in einem von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet in der Ostukraine.

Vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB, der für den Grenzschutz zuständig ist, wurden diese Berichte allerdings zurückgewiesen. „Die Grenzverwaltung für das Gebiet Rostow bestätigt diese Informationen nicht“, sagte Sprecher Nikolai Sinizyn am Freitag der Staatsagentur Ria Nowosti.

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat Medienberichte über eine Verletzung der ukrainischen Grenze durch Russland nun aber bestätigt. „In der vergangenen Nacht haben wir einen russischen Einfall erlebt, eine Überschreitung der ukrainischen Grenze“, sagte Rasmussen nach Nato-Angaben in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen vor Journalisten.
„Dies bestätigt nur die Tatsache, dass wir einen dauernden Fluss von Waffen und Kämpfern aus Russland in die Ostukraine sehen“, erklärte Rasmussen. „Und es ist eine deutliche Demonstration der anhaltenden russischen Beteiligung an der Destabilisierung der Ostukraine.“ Er rief Moskau auf, die Separatisten im Nachbarland nicht weiter zu unterstützen und in den Dialog mit der Regierung in Kiew zu treten.
Die prowestliche Führung in Kiew warf Moskau vor, mit 23 Armeefahrzeugen über die Grenze vorgedrungen zu sein. Auch die Bundesregierung fordert von Moskau dringend Aufklärung der zuerst von den britischen Zeitungen „Guardian“ und „Telegraph“ veröffentlichten Berichte über den Militärkonvoi.
Für die notleidenden Menschen in der umkämpften Region rückt derweil Hilfe näher. Erste ukrainische Regierungs-Lastwagen mit Medikamenten und Lebensmitteln trafen am Donnerstagabend an einem Sammelpunkt nördlich von Lugansk ein. Ob auch der seit drei Tagen anrollende russische Hilfskonvoi die Grenze passieren darf, blieb bisher aber unklar. Nun ist der Streit um Hilfslieferungen für das schwer umkämpfte Lugansk jedoch mehr oder weniger beigelegt. Nach Angaben aus Kiew haben Russland und die Ukraine eine Einigung erzielt. Dank der internationalen Unterstützung sei es gelungen, eine Eskalation zu vermeiden, teilte Präsident Petro Poroschenko am Freitag mit. Auch das finnische Staatsoberhaupt Sauli Niinistö bestätigte nach einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin, dass es eine Einigung zwischen Kiew, Moskau und dem Roten Kreuz gebe. „Wir haben gehört, dass sich der russische Hilfskonvoi bewegt“, sagte er in Sotschi. Die etwa 280 russischen Lastwagen waren an der Grenze wegen Unstimmigkeiten über die Abfertigung zum Stehen gekommen.
Der Hilfstransport ist umstritten, weil die proeuropäische Regierung in Kiew Russland als Aggressor ansieht. Moskau wies Vorwürfe zurück, der Konvoi könnte Waffen für die prorussischen Separatisten enthalten. Auch der Westen beschuldigt Russland seit längerem, die Separatisten im Osten der Ukraine zu unterstützen. Moskau bestreitet dies.

Wie der „Guardian“ weiter berichtete, wartete der Armeekonvoi auf russischer Seite den Einbruch der Dunkelheit ab, nutzte dann einen Feldweg und fuhr durch eine Lücke im Grenzzaun in ukrainisches Gebiet. Der Vorfall ereignete sich demnach nahe der russischen Stadt Donezk, die rund 200 Kilometer vom ukrainischen Donezk liegt. Die Separatistenhochburg Lugansk liegt lediglich Dutzende Kilometer entfernt.
Die Region Lugansk soll auch Ziel der Hilfskolonne der ukrainischen Regierung sein. Wie der Sicherheitsrat in Kiew mitteilte, erreichten 26 Fahrzeuge aus Charkow am Abend die Stadt Starobelsk. Mitarbeiter des Roten Kreuzes sichteten die Waren. Insgesamt hat Kiew 75 Lastwagen mit rund 800 Tonnen Hilfsgüter ins Krisengebiet geschickt.
Der russische Konvoi mit 2000 Tonnen Hilfsgütern hat Lugansk als Ziel. Die Fahrzeuge stehen aber wegen mangelnder Absprachen mit dem Roten Kreuz vor der ukrainischen Grenze. Das Rote Kreuz teilte mit, es habe Kontakt aufgenommen, viele Details müssten noch geklärt werden. In Lugansk mit mehr als 200 000 Einwohnern gibt es seit fast zwei Wochen weder Strom noch Wasser.

Separatisten-Chef Igor Strelkow tritt zurück

Die ukrainische Armee hat nach eigenen Angaben Lugansk von den Versorgungswegen der Aufständischen abgeschnitten. Die Kämpfe nahmen erneut an Härte zu. Beobachter sprachen von einem der verlustreichsten Tage seit Beginn der „Anti-Terror-Operation“ Mitte April. Die Regierungstruppen bombardierten die Großstadt Donezk, sagte Separatistenanführer Andrej Purgin. Regierungstruppen und Aufständische tauschten derweil je 26 Gefangene aus.
Separatisten-Chef Igor Strelkow zog sich aus der Führung der Aufständischen zurück. Der gebürtige Russe war „Verteidigungsminister“ der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“. Er gilt als Schlüsselfigur in den Kämpfen.
Eine der Folgen des Ukraine-Konflikts ist ein schwerer Handelsstreit zwischen dem Westen und Russland. Beide Seiten belegten sich gegenseitig mit Strafmaßnahmen.
Nach Angaben der EU-Kommission planen die Präsidenten Russlands und der Ukraine weitere Gespräche mit der Kommission. Dabei solle es unter anderem um Fragen um die Gasversorgung und eine Stabilisierung der politischen Situation gehen, teilte die Kommission nach einem Telefonat ihres Chefs José Manuel Barroso mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstagabend mit. Ein Datum nannte die EU-Kommission nicht.

Das ukrainische Parlament hatte zuvor ein Sanktionspaket gegen Russland in zweiter Lesung verabschiedet. Unklar war zunächst, ob davon auch die Durchleitung russischen Erdgases nach Westeuropa betroffen war.
Die Ukraine erließ zudem ein Überflugverbot gegen die russischen Gesellschaften Aeroflot und Transaero. Die Entscheidung Kiews ist eine Reaktion auf Sanktionen Moskaus. Der Schritt hat aber nichts zu tun mit den vom Parlament beschlossenen Strafmaßnahmen.
Russlands Präsident Putin forderte bei einem Treffen mit Ministern und Abgeordneten auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim ein Ende des Tötens in der Ostukraine. Die Lage in der Ukraine sei eine humanitäre Katastrophe. „Russland wird alles in seiner Macht stehende tun, um die Kämpfe so schnell wie möglich zu beenden“, betonte er. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Telefonat über den Konflikt.

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