Ukraine-Krise Irrfahrt ins Unglück

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Vier Monate ohne Lohn

Oder schafft es die „Volksrepublik“ am Ende doch, die Region zu neuem Wachstum zu führen? Immerhin ist mit Bergbauelektriker Alexander Sachartschenko seit Kurzem ein Ministerpräsident im Amt. Einer, der zwar wie viele seiner Mitarbeiter am liebsten Tarnkleidung trägt, aber immerhin ein Finanz- und Wirtschaftsministerium eingerichtet hat. Die Pressefrau seufzt, als man sie nach dem Experten fragt, der den Plan für die ökonomische Entwicklung hat. „Da muss ich mal nachdenken.“ Zwei Tage und rund 30 unbeantwortete Telefonate später sagt dann der Assistent eines Ministers für Steuern und Einnahmen, „der Herr Minister“ hetze „ständig von Meeting zu Meeting“ und werde absehbar keine Zeit für ein Gespräch mit der Presse finden.

Schon eher hängt die Sprachlosigkeit damit zusammen, dass es keinen Plan gibt für den Wiederaufbau des früher einmal so reichen Donbass. Das liegt nicht nur im Unvermögen der neuen Herren begründet: Lieferketten sind unterbrochen, weil rund um Donezk und Lugansk viele Straßen und Schienen zerstört sind.

Krisenländer von Russland bis Nordafrika

Vorprodukte wie Sprengstoff für den Bergbau oder Alteisen für die Metallfabriken bezieht der Donbass traditionell günstig aus der Ukraine, nur liefern die Händler kaum mehr. Seit der Osten zum Kriegsgebiet wurde, bestellen sogar die den Separatisten gewogenen russischen Abnehmer aus Furcht vor Lieferausfällen keine Maschinen mehr. Es wird Jahre dauern, bis allein die Kriegsschäden beseitigt sind, die der ukrainische Industrieverband vorsichtig auf acht Milliarden Dollar schätzt.

Hoffen auf die neue Regierung

„Ich habe vier Monate keinen Lohn bekommen“, beklagt sich eine ältere Dame in grüner Arbeitsmontur, die im Stadtpark unweit des Regierungssitzes das Laub zusammenrecht. Ihren Job will sie nicht aufgeben. „Irgendeiner muss ja hier für Ordnung sorgen.“ Außerdem kehre bald Stabilität zurück, die „DNR“ habe ja nun eine richtige Regierung.

Das glaubt auch Rentnerin Marina Andrejewna, die als Witwe eines russischen Soldaten zu den Privilegierten zählt, denen die chronisch klamme „Volksrepublik“ bisher pünktlich eine Rente von knapp 50 Euro auszahlt. „Ich erwarte, dass wir in der ,DNR’ eine Zukunft haben“, sagt die alte Dame, und ihre Goldzähne blitzen zuversichtlich auf, „Russland wird uns dabei helfen.“ So leidensfähig und zuversichtlich die Leute im Donbass sein mögen – die Separatisten stehen in der Pflicht, ihnen eine ökonomische Zukunft zu bescheren.

Die Industrie ist fast zum Stillstand gekommen

Wer Donezk ein wenig kennt, kann den wahrhaftigen Stillstand am Himmel sehen. Kein halbes Jahr ist es her, dass die Schwerindustrie ihren giftigen Qualm in die Wolken blies – jetzt wirken deren rot-weiße Schlote wie Industriedenkmäler im Ruhrpott. Nur ein paar Heizkraftwerke laufen, Gott weiß, wo sie den Brennstoff auftreiben. Bei Donezkstal, einem von Russen geführten Metallkonzern im Stadtzentrum, halten an diesem Nachmittag nur die Empfangsdame und ein Wachmann die Stellung. Das Management, heißt es, verlasse momentan mittags das Büro, die Fabrik stehe ja sowieso zum größten Teil still, die Arbeiter seien im „unbezahlten Urlaub“. Kaum mehr geschäftig wirken Betriebe des Oligarchen Rinat Achmetow, der früher als „König des Donbass“ die Politik vor Ort wie in Kiew beherrschte – nur seine Koksfabrik beliefert noch das Stahlwerk des Oligarchen im von Kiew kontrollierten Mariupol.

Achmetow spielt ein doppeltes Spiel, der Verlust der Aktiva im Donbass ist der Einsatz. Einerseits sagt man ihm nach, er habe die Separatisten anfangs finanziell unterstützt, um Druck auf die Regierung in Kiew auszuüben, die sich im Februar an die Macht geputscht hatte. Als die Rebellen zu mächtig wurden und den Anschluss an Russland vorantrieben, hat er dann seine Arbeiter in Mariupol als Bürgerwehr gegen diese auf die Straße geschickt. Für den Ukrainer wäre eine Zukunft in Russland ein Graus, denn er würde die EU-Märkte verlieren und müsste sich mit vom Kreml bemutterten russischen Oligarchen messen.

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