Ukraine Mein Fernbus ins Kriegsgebiet

Kurz nach den umstrittenen Wahlen in der Ostukraine reist Chefreporter Florian Willershausen gemeinsam mit einem Fotografen von Dnjepropetrowsk in die umkämpfte Stadt Donezk. Sein Reisebericht.

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Der Kleinbus der ukrainischen Marke „Etalon“. Quelle: Nils Bröer für WirtschaftsWoche

Innen eng und von außen sichtbar altersschwach – der Kleinbus der ukrainischen Marke „Etalon“ ist beileibe nicht das, was ich mir unter einem modernen Verkehrsmittel vorstelle. Aber sei's drum. Wer schert sich schon um Beinfreiheit, wenn die Fahrt mitten ins Kriegsgebiet geht. Zwei Fernbusse fahren jeden Morgen von Dnjepropetrowsk in die umkämpfte Stadt Donezk in der Ost-Ukraine. WiWo-Fotograf Nils Bröer und ich haben ein Ticket ausgerechnet für jene Schrottkarre gekauft, die auf den Weg in die alte Industrieregion „Donbass“ in fünf Städten hält.

Sechs Stunden im klapprigen Überlandbus liegen vor uns. Dabei würde uns der Busfahrer mit Blick auf die klobige Kamera am liebsten rauswerfen, bevor wir überhaupt eingestiegen sind. „Sind eure Papiere in Ordnung?“ - „Klar, in Ordnung.“ - „Ich will keinen Ärger wegen euch Ausländern.“ Angenehm, der Service hier. Die übrigen Passagiere sind freilich freundlicher als der Ganztags-Morgenmuffel am Lenkrad. Wir finden heraus, dass fast alle in Donezk wohnen und während der schlimmsten Kämpfe zu Bekannten geflüchtet sind. Jetzt holen sie am Dnjepr vor allem Geld, denn im besetzten Gebiet sind die Bankautomaten nicht mehr munitioniert. Im Bus sitzt außerdem ein Mann mit verbundenem Auge, sowie eine Frau mit ihrem am Down-Syndrom leidenden Kind. In Donezk sind die meisten Krankenhaus außer Betrieb oder verletzten Söldnern vorbehalten.

Krisenländer von Russland bis Nordafrika

Bald nach der Abfahrt bietet uns die nette Buchhalterin auf der Rückbank Äpfel an. Rasch kommen wir mit allen Passagieren in der hinteren Bushälfte ins Gespräch. „Warum wollt ihr über die Wirtschaft in Donezk schreiben?“, fragt Igor vom Nebensitz. „Da gibt es doch keine Wirtschaft mehr.“ Igor muss es wissen. Er ist Gebrauchtwagenhändler, der keine Gebrauchtwagen mehr verkauft. „Die Leute haben kein Geld mehr für ein Auto.“ Im schlimmsten Fall klauen sie eines. Erstaunlich bequem sind die Polstersitze im alten „Etalon“. Das macht die Schlaglöcher erträglich, über die der griesgrämige Busfahrer mit Tempo achtzig heizt. Ständig blickt er in den Rückspiegel auf unseren Fotografen, wie er Fotos durchs Fenster macht. Einmal verzieht er das Gesicht, als er dabei den Blick nach vorne vergisst und prompt ein besonders tiefes Schlagloch übersieht.

"Wir fahren jetzt praktisch durch ein Kriegsgebiet"

Das hintere Fahrwerk bedankt sich mit einem schmerzhaftem Knarzen. Als wir das einst reiche Gebiet Donezk erreichen, werden die Straßen schlagartig besser. Doch schon nach wenigen Kilometern biegt der Bus nach rechts ab. Zwar hat die Ukraine weite Teile der Region von den pro-russischen Separatisten zurückerobert, doch teils sind die Straßen zerstört und die Fahrer müssen auf schlechte Nebenstraßen ausweichen. Triste Kioske am offenen Busbahnhof warten in Krasnoarmejsk auf uns, am Horizont ziehen dicke Schlechtwetterwolken auf. Unser böser Busfahrer nutzt die Wartezeit für eine weitere Ansprache. Dass er ja keine Kamera mehr sehe, schimpft er! Auch nicht auf der Strecke zwischen den Kontrollposten. „Wir fahren jetzt praktisch durch ein Kriegsgebiet! Überall sind Scharfschützen!“

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Im Bus ist die Stimmung angespannt. Eben hat sich ein dicker Mann mit einer älteren Frau gestritten. Er ist gegen die Separatisten, sie ist unterstützt sie. Ein andere Frau bringt Geschichten ein, die ihr Bekannte erzählt haben – worauf ein Mann meint, dies sei alles Propaganda aus dem Fernsehen. Mein Nachbar sagt, durch die meisten Familien gehe nun ein Riss: „Die einen fühlen sich als Ukrainer, die anderen unterstützen eben die Anderen.“ Nur den Krieg, sagt er, den seien sie allesamt leid. Auch in seiner Nachbarschaft habe es Einschläge gegeben. Wer geschossen habe, lasse sich nie seriös rekonstruieren. Auch wenn die Donezker meist von „den Bombardements“ sprechen – und damit die ukrainische Armee meinen.

Letztlich sind die Checkpoints halb so wild. Während draußen der erste Schnee fällt, steigt erst ein ukrainischer Soldat ein und lässt sich von allen Männern im kriegsfähigen Alter die Pässe zeigen. In der „DNR“, wie die selbst ernannte separatistische Volksrepublik genannt wird, müssen alle Männer unter 60 Jahren aussteigen. Nach einer kurzen Passkontrolle geht’s weiter. Ringsherum sind Panzer zu sehen und ein ausgebrannter Fernbus neben einem abgeknickten und verkohlten Strommast. An den Kontrollpunkten der „DNR“ liegt jede Menge Müll, wogegen die ukrainischen gut befestigt sind.

Nach einer halben Stunde erreichen wir Donezk über den Süden – die einzige sichere Einfahrt im Moment, denn im Norden wird gekämpft. Der mies gelaunte Busfahrer verabschiedet sich sogar und wünscht alles Gute. Ein kleines bisschen scheint sich seine Laune gebessert zu haben. Er hat ja keine Probleme bekommen. Und jetzt ist Feierabend im Fernbus. Endlich.

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