Ukraine nach dem Friedensgipfel (K)ein bisschen Frieden

Die Ukrainer hoffen auf den Frieden, doch so richtig glauben sie nicht daran. Auch heute wird weiter gekämpft. Die Menschen hungern, Medikamente sind rar – und das Vertrauen in die Regierung schwindet.

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Immer weiter. Auch heute wurde im Dombass weiter gekämpft. Quelle: dpa

Kiew An einer Tankstelle am Rand der Innenstadt von Mariupol läuft ein Fernseher, Alexej steht an einem Bistrotisch und schaut auf die Bilder. Sie zeigen Szenen vom Verhandlungsmarathon in Minsk: Präsident Wladimir Putin ist zu sehen, dann schwenkt die Kamera zu Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich mit Präsident Francois Hollande unterhält. „Ich hoffe, Präsident Poroschenko hat gut für uns verhandelt“, sagt Alexej.

Seit Monaten organisiert Alexej Alexejew ehrenamtliche Helfer von „Oborona Mariupol“, eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich den Schutz der Hafenstadt am Asowschen Meer auf die Fahnen geschrieben hat.

„Als ich heute zur Tankstelle gekommen bin, gab es wieder schwere Kämpfe im Osten der Stadt“, sagt Alexej in einem Telefongespräch mit Handelsblatt Online. Wie in vielen anderen Städten und Dörfern im Donbass haben die Bewohner von Mariupol sehr schwere Monate hinter sich. „Im Sommer waren die Russen so weit, uns zu überrennen“, erinnert sich Alexej, der vor der Zeit des Krieges als Projektmanager gearbeitet hat. Eigentlich wollte seine Firma bereits im vergangenen Herbst mit einem großen Parkprojekt beginnen. „Doch das muss wohl noch länger warten“, sagt der gelernte Betriebswirt.

Zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern, 15 und fünf Jahre alt, lebte er bis zum 24. Januar im Ostteil Mariupols. Dort verläuft die Stadtgrenze und eine wichtige Nord-Süd-Verbindung, die Fernstraße E56. Vor fast drei Wochen wurden mehrere Wohnhäuser von schweren Raketen beschossen, 30 Menschen kamen ums Leben, mehr als 65 wurden verletzt, seitdem lebt die Familie in der engen Stadtwohnung von Alexejs Eltern. „Wir alle haben den Wunsch, dass der Frieden bald zurückkommt, doch wir spüren auch, dass wir vielleicht noch lange Geduld haben müssen“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler.

Auch Experten gehen davon aus, dass der Frieden nicht über Nacht zurück in den Donbass kommt. Politikprofessor Alexej Garan von der Kiewer Mohyla-Akademie, sagte der Onlineausgabe der Tageszeitung Segodna, das Wichtigste nach der Waffenruhe sei die Schaffung einer Pufferzone, nur damit lasse sich dauerhaft der Beschuss stoppen. Wenn es nicht gelinge, die Kämpfe einzustellen, führe das in den betroffenen Regionen nicht nur zu weiteren, massiven Zerstörungen, sondern auch zu einer „völligen Demoralisierung der dort verbliebenen Bevölkerung“.


Löhne und Renten werden nicht mehr gezahlt

Bereits jetzt sind etliche Dörfer und kleinere Städte von der Versorgung mit Lebensmitteln abgeschnitten. In den größeren Städten hätten größtenteils Privatleute die Versorgung der Menschen übernommen, unter anderem auch die Rinat-Achmetow-Stiftung – sie soll nach Schätzungen fast 400.000 Menschen im Donbass mit Lebensmitteln, Medikamenten und technischer Ausrüstung versorgen.

Die Koordinatorin dieser Hilfen, Rimma Fil, sagte vor Medien, was die Zivilbevölkerung besonders dringend braucht: „Neben den Grundnahrungsmitteln werden vor allem Medikamente für chronisch Kranke verteilt, aber wir betreiben auch Schwangerenberatung und unterstützen Eltern mit kleinen Kindern. Die dafür eigentlich zuständige Infrastruktur ist weitgehend zusammengebrochen.“ Diese verstärkte Hilfe werde von der Stiftung seit Jahresanfang geleistet, vorher habe der Fonds vor allem Lebensmittel verteilt.

Seit August versorgt die Stiftung des Oligarchen Rinat Achmetow die Zivilisten in den Regionen Donezk und Lugansk. Wie hoch der finanzielle Einsatz für die Maßnahmen ist, wurde nicht mitgeteilt. Die Kiewer Zentralregierung gerät mehr und mehr in die Kritik, weil sie die Zahlung von Löhnen und Renten bereits vor Monaten eingestellt hat. Hilfslieferungen kommen nicht durch, neben großen Stiftungen haben unzählige Privatinitiativen praktisch die Versorgung der Bevölkerung im Donbass übernommen. Auch die so genannten Regierungen der selbsternannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk kommen offenbar mit der Versorgung nicht hinterher.

Die Details zur Einigung in Minsk wurden gerade von ukrainischen Medien verbreitet, als der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Andrej Lysenko, in Kiew zu seinem täglichen Medienbriefing vor die Kameras trat. Er hatte beunruhigende Neuigkeiten: In der Region Iswaryne an der ukrainisch-russischen Grenze hätten in der Nacht 50 Panzer und 40 gepanzerte Fahrzeuge die Grenze überquert. „Wir haben Beweise dafür, dass die Fahrzeuge Grad- und Smertschraketen (BM-30) geladen hatten.

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