Umwelt Geplanter Irrsinn beim Natur- und Artenschutz im Straßenbau

Strenger Naturschutz verteuert den Straßenbau um Milliarden. Hessens Wirtschaftsminister Dieter Posch sieht Sparpotenzial in Krisenzeiten.

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Großprojekt Autobahnbrücke Quelle: dpa

Eigentlich haben beide nichts gegeneinander, und doch sind Triturus cristatus und Dieter Posch erbitterte Gegner. Der Kammmolch steht unter Artenschutz, der hessische Wirtschaftsminister unter Druck. Weil der Lurch just immer da siedelt, wo wichtige Verkehrsadern geplant sind, sieht der Liberale den Wirtschaftsstandort in Gefahr.

Der Bau der Autobahn 44 zwischen Helsa Ost und Hessisch Lichtenau verzögert sich bereits seit sechs Jahren, um die Auflagen des Artenschutzes und der EU-Naturschutzrichtlinie für Flora und Fauna zu erfüllen, von Fachleuten kurz FFH genannt. Statt ursprünglich zweier kürzerer Tunnel entsteht nun eine durchgehende Röhre, um den Lebensraum der 5000 Kammmolche nicht zu durchtrennen. 50 Millionen Euro kostet sie, 10.000 Euro also pro Lurch. Für Standortschützer Posch ist das "geplanter Irrsinn".

440 Millionen Euro Mehrkosten für den Zusatzaufwand

Immer wieder stoppen seltene Tiere den Bau von Bahntrassen, Schnellstraßen oder Industrieanlagen. So lernte der Bundesbürger die possierliche Kleine Hufeisennase kennen; die Fledermausart bremste lange den Bau der Dresdner Waldschlösschenbrücke. Wegen der vom Aussterben bedrohten Großtrappen baute die Deutsche Bahn in Brandenburg einen 5,6 Millionen Euro teuren Schutzwall. Besonders skurril: Mehr als zwei Jahre lang musste Hessen beim Ausbau des Frankfurter Flughafens den Fledermaus-Bestand in zwölf Gutachten erfassen und kartieren lassen. Das unbefriedigende Ergebnis: Gerade mal ein Männchen spürten die Experten auf, das aber "sexuell inaktiv" gewesen sei (wobei offenblieb, wie das bei jenem Single festgestellt wurde). Kosten: drei Millionen Euro.

Wirtschafts- und Verkehrsminister Posch hat nun erstmals anhand etlicher Projekte den Zusatzaufwand durch die strengen Ökorichtlinien ermittelt und auf die geplanten Autobahnen und Bundesstraßen hochgerechnet. Das Ergebnis: Allein bei Projekten des "vordringlichen Bedarfs" im Bundesverkehrswegeplan 2004/2014 schlägt der höhere Planungsaufwand mit 440 Millionen Euro zu Buche. Um durchschnittlich fast vier Jahre verzögerten sich die Projekte in Hessen.

Geld ließe sich problemlos sparen

Grafik: Kostenentwicklung bei Straßenbauprojekten in Hessen

Viel ärger sieht es aus, wenn Bagger und Planierraupen anrollen: Die Baukosten steigen durch späteren Start, Schutzmaßnahmen und veränderte Trassenführung um satte 6,3 Milliarden Euro – jeweils gerechnet über den Zehn-Jahres-Plan. Macht einschließlich Planung Mehrkosten von rund 6,7 Milliarden Euro – also 670 Millionen Euro pro Jahr.

Geld, das sich problemlos sparen ließe, sagt Posch. "Wir wollen die Kosten für Infrastrukturvorhaben senken und den Natur- und Umweltschutz auf ein volkswirtschaftlich akzeptables Niveau bringen", gibt der 65-jährige Hesse als Parole aus. "Ich will keinen Populismus und auch den Artenschutz nicht abschaffen." Ein 15-seitiges Papier mit seinen Berechnungen, Beispielen und Besserungsvorschlägen hat er den Bundesministern Peter Ramsauer (Verkehr, CSU) und Rainer Brüderle (Wirtschaft, FDP) für die Klausur des Bundeskabinetts zugeschickt.

Seine Argumente: Etliches Viehzeug stehe deshalb auf der Europa-Liste der Todeskandidaten, weil es in manchen Regionen vom Aussterben bedroht ist; hierzulande sei es ungefährdet. So lungert der Lurch nicht nur an der A 44, sondern auch an der A 49 herum. Zudem vernichte nicht der Verkehrsbau die Lebensräume bedrohter Arten, sondern viel häufiger die intensive Landwirtschaft. Und drittens müsste gerade der ländliche Raum mit Straßen und Schienen versorgt werden, damit dort Arbeitsplätze entstünden.

Hessens Wirtschaftsminister Dieter Posch Quelle: dpa

Die Folgen der strengen Vorschriften sind fatal. Früher musste die Verwaltung nur Schäden möglichst vermeiden und notfalls ausgleichen, beispielsweise durch Ersatzpflanzungen. Mit dem europäisch verschärften Artenschutz und der FFH-Richtlinie bekam aber der Naturschutz generell Vorfahrt. Ausnahmen sind nur möglich, wenn zumutbare Alternativen fehlen und beispielsweise zusammenhängende Lebensräume nicht zerschnitten werden. Für die Planer bedeutet dies: Mit großem Aufwand entweder neue Routen suchen oder nachweisen, dass es keinen akzeptablen Umweg gibt. Die nötigen Untersuchungen kosten Geld und Zeit.

So muss das Land zum Schutz der seltenen Feldlerche, die gleichwohl von rund 20 Straßenprojekten betroffen ist, erst mal wissenschaftliche Untersuchungen starten, wie der gefährdete Vogel wohl auf Lärm reagiert. Das weiß heute nämlich niemand. Die Gutachtergilde freut sich.

Absoluter Schutz für Fledermäuse

Dafür leiden die Bürger. So hatten die Verkehrsplaner in den Neunzigerjahren die A 44 so konzipiert, dass sie den Ort Kaufungen in möglichst großer Entfernung passiert, um die Anwohner vor Lärm zu schützen. 1998 wurde das Raumordnungsverfahren abgeschlossen. 2006 stellt sich heraus, dass die projektierte Trasse ein "Quartierzentrum von Bechsteinfledermäusen" zerschneidet. Die Naturschutzregeln erzwingen die Suche nach einer neuen Linienführung. Die findet sich auch: am Ortsrand von Kaufungen. "Die Menschen haben den Eindruck, ihr Schutz sei weniger wert" als jener von Flora und Fauna, meint Posch. "Zum Schutz von vier Quartierbäumen der Bechsteinfledermaus müssten wir die Trasse der A 44 unmittelbar an das Gemeindegebiet heranrücken", empört sich der FDP-Mann. "Absoluten Mieterschutz haben nur Fledermäuse. Wäre an gleicher Stelle ein landwirtschaftlicher Betrieb durch den Autobahnbau gefährdet, würde der zwangsweise aufgekauft und umgesiedelt." Nun sollen 6,5 Meter hohe Lärmschutzwände beruhigen. Zusätzlich bräuchte es ein neues Raumordnungsverfahren – der Verwaltungsweg begänne von vorn.

Hessens Wirtschaftsminister will Vorschriften aussetzen

Posch ist es nun leid. Er plädiert dafür, die strengen Vorschriften zumindest für die Zeit der Etatkrise einfach auszusetzen. "Wenn im Bund ein Haushaltsstrukturgesetz in Leistungsgesetze eingreift, dann kann man auch diese Vorschriften suspendieren." Alternativ sollten die Parlamente entscheiden. Denn der Bundesverkehrswegeplan sei genau so ein Gesetz wie die Ökovorschriften. "Die Entscheidung, ob öffentliches Interesse oder Artenschutz vorgeht, muss politisch getroffen werden." Bundes- oder Landtag sollten die Prioritäten setzen.

Mit einer Ablösezahlung ließen sich nicht nur Planung und Bau beschleunigen, sondern auch größere Effekte erzielen. Der Liberale schlägt dazu "Ersatzgeld als Kompensationsmaßnahme" vor. Bei der bisherigen Politik sei "der Gewinn für den Naturschutz oft klein, aber die Kosten sind groß. Wir könnten also mit weniger Aufwand mehr für die Umwelt erreichen." Da die umstrittenen Bauten oft im ländlichen Raum stattfänden, könnte das Ersatzgeld in Ballungsräumen mehr bewirken.

Aber selbst ein Ökoausgleich führt bisweilen zu kafkaesken Aktionen. So mussten bei der Erweiterung des Frankfurter Flughafens tote Holzstämme standsicher drei Meter tief eingegraben werden, um wegfallende Nistplätze zu ersetzen. Handwerker frästen künstliche Spechthöhlen ins Gebälk. Kosten: 520.000 Euro für das tote Holz, 600.000 Euro fürs Drapieren der Baumleichen.

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