Uno-Menschenrechtsexpertin EU nimmt mehr Tote im Mittelmeer in Kauf

Harte Vorwürfe gegen Libyen, Italien und die EU – sie würden Todesfälle im Mittelmeer in Kauf nehmen, um Migranten abzuschrecken. Bundestagsvizepräsident Roth sieht europäische Gründungswerte gefährdet.

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Flüchtlinge werden 34 Kilometer nördlich von Sabratha (Lybien) von Mitgliedern der spanischen Nichtregierungsorganisation „Proactiva Open Arms“ aus einem Schlauchboot gerettet. Quelle: dpa

Genf Eine Uno-Menschenrechtsexpertin hat den von der EU befürworteten Verhaltenskodex für private Seenotretter im Mittelmeer kritisiert. Die Vereinbarung, die Italien mit mehreren Hilfsorganisationen geschlossen hat, könne zu mehr Todesfällen führen, sagte die Uno-Berichterstatterin für außergerichtliche und willkürliche Hinrichtungen, Agnes Callamard, am Dienstag. Uno-Berichterstatter sind unabhängige Experten, die für die Vereinten Nationen Menschenrechtssituationen untersuchen.

Italien verstoße gegen seine Menschenrechtsverpflichtungen, wenn mit dem Kodex Rettungsaktionen verhindert und dadurch vorhersehbare und vermeidbare Todesfälle in Kauf genommen würden. „Der Kodex und der Aktionsplan legen nahe, dass Italien, die Kommission und die EU-Mitglieder das Risiko und die Realität von Todesfällen im Meer als einen Preis betrachten, den zu zahlen es wert ist, um Migranten und Flüchtlinge abzuschrecken“, so Callamard.

Auch die Unterstützung der Kommission für die libysche Küstenwache kritisierte die Französin. Flüchtlinge nach Libyen zurückzuschaffen setze diese weiterer Gewalt aus. Es gebe Berichte, wonach die Küstenwache selbst auf Migrantenboote geschossen habe.

Der Verhaltenskodex sieht unter anderem vor, dass Hilfsschiffe libysche Territorialgewässer meiden. Am Wochenende hatten Hilfsorganisationen wie Sea Eye, Ärzte ohne Grenzen und Save the Children angekündigt, sich vorläufig von Rettungseinsätzen zurückzuziehen. Als Gründe nannten sie Drohungen sowie Ankündigungen aus Libyen, die eigene Such- und Rettungszone auf internationale Gewässer auszuweiten.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) erklärte, was die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ mit ihrem Schiff zur Abwehr von Flüchtlingshelfern nicht geschafft habe, vollziehe jetzt der „gescheiterte libysche Staat“ – einschließlich von Seerechtsverletzungen sowie dem Wegsperren von Flüchtlingen und Migranten in den Lagern grausamster Milizen. „Dass die Bundesregierung und ihre europäischen Partner diese Entwicklung hinnehmen, ist ein humanitäres Armutszeugnis“, so Roth am Dienstag.

Um Schleusern die Geschäftsgrundlage zu entziehen, muss es nach den Worten der Grünen-Politikerin sichere und legale Alternativen zur lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer geben. „Wir brauchen humanitäre Visa, die Wiederaufnahmen der Familienzusammenführung, die humanitäre Unterstützung von Herkunfts- und Transitländern“, so Roth.

Das Errichten von immer tödlicheren Mauern hingegen unterwandere die europäischen Gründungswerte und komme einem Konjunkturprogramm für die Schlepper gleich. „Der EU droht der endgültige Verlust ihrer einst so hoch geschätzten menschenrechtlichen Glaubwürdigkeit“, sagte Roth.

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