Unternehmertum Auf der Suche nach der Mittelschicht in Afrika

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Olola Oneko, Arzt in Moshi, Tansania

Buchautorin Bettina Gaus Quelle: Götz Schleser für WirtschaftsWoche

Grau ist er geworden, aber das ist ja nicht erstaunlich bei einem Mann von 60 Jahren. Ich sehe auch nicht mehr so aus wie 1984, als wir uns in Köln kennengelernt haben. Oberarzt in der gynäkologischen Abteilung eines Krankenhauses in Leverkusen wurde Olola Oneko kurz darauf. Seine deutsche Ehefrau Tina, ebenfalls Medizinerin, spezialisierte sich als Kinderärztin. Nun steht Olola also am Busbahnhof, um mich abzuholen. Allerdings allein. Tina konnte nicht kommen. Seit über einem Jahr wohnt sie nicht mehr in Moshi, sondern in Kisumu, der größten kenianischen Stadt am Ufer des Victoriasees. Die liegt unweit der Gegend, aus der ihr Mann stammt. Olola gehört zum Volk der Luo, einer der größten von mehr als 40 Ethnien in Kenia. Bei den Luo ist es üblich, im mittleren Lebensalter ein Haus in der Heimat zu bauen, in dem man das Alter verbringen wird.

Deshalb fährt Olola jetzt alleine mit mir durch Moshi, eine Kleinstadt, die jedem Klischee widerspricht, das über Afrika in Umlauf ist. Moshi gilt als sauberste Stadt in Ostafrika. Die Straßen haben keine Schlaglöcher, auf den Grünflächen innerhalb der Kreisverkehre liegt kein Abfall, die Hecken vor öffentlichen Gebäuden sind millimetergenau auf die gleiche Höhe geschnitten. Wenn man überhaupt irgendwo in Afrika eine Mittelschicht vermutet, dann wohl hier. In mancherlei Hinsicht erinnert das Bild an Kleinstädte in den USA. Dazu passt, dass der US-Konzern Coca-Cola vor einigen Jahren die Straßenschilder gesponsert hat, natürlich mit eigenem Logo.

Nach weniger als zehn Minuten erreichen wir das geräumige, komfortable Haus inmitten eines großen Grundstücks mit tropischen Bäumen, das Tina und Olola vor einigen Jahren für sich und ihre Töchter gekauft haben. Es wirkt seltsam unbewohnt. Der hölzerne Sofatisch vor der Polstermöbelgarnitur ist glänzend gewienert – und leer. Als ich ins Freie treten will, braucht Olola minutenlang, um die Schlüssel zu finden. "Das Haus ist für mich viel zu groß," sagt er. "Vier Schlafzimmer, zwei Bäder – was soll ich damit?" Die Töchter sind aus dem Haus und studieren, die Frau ist auch aus dem Haus und bereitet den Ruhestand vor. "Ich suche eine halbwegs komfortable Zwei-Zimmer-Wohnung. Aber so viele gibt es davon nicht in Moshi."

In den Kliniken fehlt es an allem Notwendigen

Was kennzeichnet die Angehörigen der Mittelschicht? "Die Mindestanforderung ist ein Schulabschluss", sagt Olola beim Abendessen, "und ein Einkommen, das es dir ermöglicht, deine Kinder zur Schule zu schicken, sie einzukleiden und im Notfall eine Krankenhausrechnung bezahlen zu können. Ich rede von einem richtigen Krankenhaus – nicht von einem Ort, wo sie dir allenfalls ein fiebersenkendes Mittel geben können." Er lacht auf. Nicht amüsiert, sondern bitter. Er hat genug Kliniken gesehen, in denen es an allem Notwendigen fehlt, um eine ernstere Erkrankung bekämpfen zu können.

Der Zugang zu Informationen und Netzwerken sei bedeutend wichtiger, sagen andere. Gerade auf einem Kontinent wie Afrika, wo Gehälter im Staatsdienst – dem Rückgrat der Mittelschicht – meist nur knapp zum Leben reichten. Bildung ermögliche den Zugang zu Netzwerken und verhelfe zu sozialem Ansehen, unabhängig von den Einkommensverhältnissen.

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