Unterschiedliche Interessen Die Fronten in der Krim-Krise

Der Konflikt in der Ukraine spitzt sich zu. Russland lässt seine Truppen aufmarschieren, die NATO warnt. Worum es geht und was die EU, die USA und Russland eigentlich wollen.

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Soldaten besetzen die Krim
Militärisches Personal, vermutlich russische Streitkräfte, außerhalb ukrainischen Territoriums Quelle: REUTERS
Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow hat von einer Invasion und Besetzung durch russische Soldaten gesprochen. 6000 russische Soldaten befinden sich mittlerweile in der Ukraine. Die Regierung in Moskau hat sich im jüngsten ukrainischen Machtkampf auf die Seite des inzwischen abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch gestellt, der sich gegenwärtig in Russland aufhält. Quelle: REUTERS
Doch stehen die Ukrainer nicht geschlossen gegen die russische Invasion. Auf der Krim gibt es eine bedeutsame pro-russische Bewegung. Das Parlament in Kiew hatte vor kurzen ein Sprachengesetz abgeschafft, das besonders die russische Minderheit - auch auf der Krim - geschützt habe, so Russlands Außenminister Tschurkin. Quelle: REUTERS
Die Ukraine hat die Streitkräfte auf der Halbinsel Krim in Alarmbereitschaft versetzt. Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk erklärte aber, sein Land werde sich nicht durch russische Provokationen in einen militärischen Konflikt ziehen lassen. Quelle: AP
Trotz der Militär-Invasion geht das Leben in der Krim aber weiter. Vor einer Lenin-Statue küsste sich heute ein frisch-vermähltes Paar. Quelle: REUTERS
Truppen in nicht gekennzeichneten Uniformen stehen vor einer Behörde in der Kleinstadt Balaklava vor den Toren Sevastopols. Lediglich ein Enblem auf einem der Fahrzeuge zeigt, dass es sich um Mitglieder des russischen Militärs handelt. Quelle: AP
Die Lage auf der Krim ist trotz diplomatischer Bemühungen auch am Sonntagmorgen weiter angespannt. Barack Obama hat in der Nacht eineinhalb Stunden mit Putin telefoniert und zum Truppenabzug aufgefordert. Doch der russische Präsident hält weiter Stellung auf der Krim. Quelle: AP

Russland lässt seine Muskeln spielen. Seit vergangener Woche hat die Putin-Regierung bereits etwa 16.000 Soldaten auf die Krim entsandt – eine ukrainische Halbinsel, auf der viele russische Staatsbürger leben. Diese wolle man schützen, so Moskau. Schließlich sei die Situation nach dem Sturz des ukrainischen Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch, der eine Annäherung an die Europäische Union ablehnte, unübersichtlich. Die neue pro-europäische Regierung in Kiew spricht von einer Invasion. Russland habe „ohne Grund einen Akt der Aggression auf unserem Staatsgebiet begangen“, sagte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk der "Bild"-Zeitung. Die Krim werde ukrainisches Territorium bleiben. Auch die Europäische Union und die USA mischen in dem unübersichtlichen Konflikt mit. Was die Akteure abseits der öffentlichen Statements antreibt und wer in der Krim-Krise als Sieger hervorgehen könnte.

Das ist der Status der Halbinsel Krim:

Die Schwarzmeer-Halbinsel Krim ist seit langem zwischen Russen und Ukrainern umstritten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte das 26.000 Quadratkilometer große Gebiet zunächst zu Russland. Kremlchef Nikita Chruschtschow machte es 1954 zu einem Teil seiner Heimatrepublik Ukraine innerhalb der Sowjetunion – ein historischer Fehler, wie Moskaus Staatsmedien aktuell wieder betonen. Heute, 23 Jahre nach Auflösung der Sowjetunion, ist die Krim ein autonom verwalteter Teil der unabhängigen Ukraine. Von den mehr als zwei Millionen Einwohnern sind etwa 25 Prozent Ukrainer und knapp 60 Prozent Russen.

Anfang der 1990er Jahre konnte die Ukraine ihre Herrschaft über die Krim nur mühsam durchsetzen. Mit Druck verhinderte Kiew bisher ein Referendum über die Unabhängigkeit, das prorussische Kräfte nun für den 30. März anstreben. Als Zugeständnis wurde 1992 eine Autonome Republik Krim eingerichtet. Die Hafenstadt Sewastopol mit mehr als 300.000 Einwohnern gehört nicht zum Autonomiegebiet, sondern wird direkt aus Kiew verwaltet. Bereits Ende des 18. Jahrhundert baute Russland dort eine Marinebasis, die bis heute Heimathafen der Schwarzmeerflotte ist.

Chronologie - Dramatische Tage auf der Krim

Im Budapester Memorandum haben die USA, Großbritannien und Russland die Unabhängigkeit und politische Integrität der Ukraine garantiert – im Gegenzug für Kiews Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag. Das Dokument wurde am 5. Dezember 1994 am Rande des KSZE-Gipfels in der ungarischen Hauptstadt unterzeichnet. Die Regierung in Kiew erhoffte sich von den Sicherheitsgarantien der Atommächte, die auch Weißrussland und Kasachstan erhielten, einen besseren Schutz vor möglichen Gebietsansprüchen.

Das will die Ukraine:

Ausgangspunkt des Konflikts ist die Absetzung des bisherigen ukrainischen Ministerpräsidenten Wiktor Janukowitsch. Auslöser für den Protest gegen Janukowitsch war dessen Entscheidung, ein unterschriftsreifes Partnerschaftsabkommen mit der Europäischen Union auszuschlagen und sich stattdessen Russland zuzuwenden. Viele Anhänger der Opposition streben eine Annäherung an Europa an – aber mehr noch fordern die Ukrainer von ihrer Elite eine verantwortungsvollere Art der Regierungsführung. Die wuchernde Korruption und die Selbstbereicherung der Machthaber sind viele Ukrainer im Westen wie im Osten des Landes leid. Die teilweise gewaltsamen Demonstrationen gegen Janukowitsch gingen vor allem im Westteil des Landes vonstatten, also in der Hauptstadt Kiew oder in Lwiw. Die Protestierenden warfen Molotow-Cocktails auf Polizisten; Scharfschützen richteten Demonstranten mit gezielten Schüssen hin. Die Rede ist von mehreren Hundert Toten.

Die Außenminister von Polen, Frankreich und Deutschland haben am 21. Februar mit Rückendeckung eines russischen Sondergesandten einen Kompromiss ausgehandelt. Demnach sollten die Präsidentschaftswahlen vorgezogen, die Verfassung geändert und die Opposition an der Regierung beteiligt werden. Die Straße akzeptierte die Einigung aber nicht, das Parlament stimmte für die Absetzung von Janukowitsch – und der flüchtete schließlich ins Exil nach Russland. Das ukrainische Parlament hat Arseni Jazenjuk als neuen Ministerpräsidenten bestätigt. Jazenjuk sagte, er wolle einer Abspaltung der Halbinsel Krim keinesfalls zustimmen. Die Krim „war und wird ein Teil der Ukraine bleiben“, sagte der 39-Jährige. Auch, weil sie ein beliebter Urlaubsort für Millionen Touristen und damit ein Geldbringer ist.

Geteilte Meinungen

Obama warnt Russland vor Intervention in der Ukraine

Die Zukunft der Ukraine liege in der Europäischen Union, so die neue Regierung in Kiew. Die Beziehungen zu Russland sollten freundschaftlicher Natur sein. Angesichts der drängenden Wirtschaftsprobleme der Ukraine dürfte Jazenjuk und seinem Kabinett zunächst die Aufgabe zukommen, finanzielle Hilfe von EU und Internationalem Währungsfonds sicherzustellen. Die Summe hat es in sich: Nach Angaben des amtierenden Finanzministers braucht das Land 35 Milliarden Dollar, um die kommenden zwei Jahre überstehen zu können.

Das will Russland:

Moskau sieht die Ukraine nicht nur als Geburtsstätte des russischen Staats und der russisch-orthodoxen Christenheit. Präsident Wladimir Putin hält das Land auch für einen wichtigen Wirtschaftspartner und möchte es in eine Allianz der früheren Sowjetrepubliken einbinden. Deshalb übte Russland auch gehörigen Einfluss aus, um die Partnerschaft mit der EU zu Fall zu bringen. Erst drohte es mit Handelssanktionen, dann lockte es mit einem Kredit von 15 Milliarden Dollar – Geld, das die wirtschaftlich angeschlagene Ukraine dringend benötigt. 

Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine

Putin hat den Zusammenbruch der Sowjetunion einmal als größte geopolitische Katastrophe der Geschichte bezeichnet. Die Ukraine betrachtet er als sein Einflussgebiet – zumal die Krim mit ihren mehrheitlich russischen Einwohnern. Gestützt auf die Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport und einen niedrigen Schuldenstand, fühlt sich der Kremlchef stark genug, um die Ukraine zumindest in Teilen in sein Reich zurückzuholen. Der Sturz des leicht zu beeinflussenden Präsidenten Janukowitsch muss er als Wortbruch des Westens aufgefasst haben, dessen Außenminister-Trio Neuwahlen ausverhandelt hatte. Darum griff er zum militärischen Hebel.

Das will die Europäische Union:

Die Europäische Union hat wie Russland ein Interesse an den Zugang zu den ukrainischen Märkten. Darüber hinaus geht es um den Ruf Brüssels. Wenn ein Land wie die Ukraine mit derart großem Willen nach Europa drängt, kann die EU gar nicht anders, als dem Land seine größtmögliche Unterstützung zuzusagen. Alles andere wäre ein Verrat an den eigenen Idealen.

Der politische Gedanke der EU-Integration bedeutet, dass der demokratisch-marktwirtschaftlich orientierte Werteraum Europa die Basis für den Frieden auf dem Kontinent ist – was den Export von Werten rechtfertigt. Würde Brüssel der Ukraine die kalte Schulter zeigen, wäre dies nach EU-Lesart ein Verrat an den eigenen Werten. Ob und wie die Ukraine an die Europäische Union herangeführt werden kann, ist jetzt bis auf weiteres aber nicht das erste Thema.  Die Ukraine braucht zunächst dringend Stabilität. Dazu gehört auch, dass der drohende Finanzkollaps abgewendet wird. Problematisch ist, dass die gewünschte Annäherung der Ukraine an die EU konträr zu den Plänen Russlands steht. Dabei ist das Land – selbst mit einem wild gewordenen Putin im Kreml – ebenfalls ein Teil Europas, die Menschen fühlen sich als Europäer. Auch wenn eine Mehrheit vorerst wenig Verständnis für westliche Werte aufbringt.

Das wollen die USA:

Die Vereinigten Staaten von Amerika wollen beweisen, dass sie in der Welt noch ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben. Die Zweifel wachsen. Und deshalb gerät US-Präsident Barack Obama zu Hause immer stärker unter Druck. Der Republikaner John McCain, Obamas Gegenkandidat von 2008, kritisierte am Montag die „sorglose Außenpolitik“ des Präsidenten. Weil Obama Schwäche zeige, sei Russland in die Ukraine eingefallen, denn „niemand glaubt mehr an amerikanische Stärke“.

Wenn man schon nicht den Krim-Konflikt beeinflussen können, wie wolle man da im Atomstreit Druck auf den Iran aufbauen?, fragen die Republikaner. Für die Obama-Regierung geht es also schlicht darum, in der Krim-Krise nicht als Verlierer dazustehen. Ein Anschluss der Krim an Russland wäre für Obama ein Desaster.

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