US-Gesundheitsreform Amerikas historische Stunde

Das Scheitern der Republikanischen Partei beim Thema „Obamacare“ hat tiefgreifende Bedeutung für die Frage, wie sich die Vereinigten Staaten von Amerika definieren. Ein Kommentar.

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Der US-Präsident bekam die Überarbeitung von „Obamacare“ gar nicht erst zur Abstimmung. Quelle: dpa

New York Donald Trump, der neue US-Präsident, will Amerika wieder „großartig“ machen. Er spielt damit eine politische Karte aus, die US-Politiker in der Geschichte immer wieder gezogen haben. Als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ sind die USA seit langem bekannt. Amerikaner betonen die „Einzigartigkeit“ ihres Landes.

Aber hinter diesen Mythen, die alle ein Stück ein Wahrheit enthalten, verbergen sich auch tiefe Abgründe. Von Anfang an war Amerika auch ein Land der Ungleichheit. Die Freiheit galt im „Land der Freien“ nicht für jedermann. Zum bis heute zu Recht bewunderten Selbstverständnis vieler Amerikaner, selbst für ihr Schicksal verantwortlich zu sein statt ständig Leistungen vom Staat zu fordern, gehört auch, dass Bürger im Stich gelassen werden, die sich nicht helfen können.

Trumps Vorgänger Barack Obama hat mit der Gesundheitsreform, die als Obamacare bekannt wurde, einen gewaltigen Schritt gemacht, diese Abgründe zu überbrücken. Es handelt sich nicht nur um ein politisches Projekt. Es geht dabei um die moralischen Grundlagen der amerikanischen Gesellschaft. In keinem anderen Land der Welt ist es eine offene Frage, ob auch arme Mitbürger Anspruch auf eine angemessene Versorgung im Krankheitsfall haben.

Offen und extrem komplex ist überall die Frage, wie das organisiert werden kann. Arme Staaten sind dazu oft nicht in der Lage. Aber nur in den USA gibt es eine große Anzahl von Personen, die es in Ordnung finden, dass arme Leute eher sterben, weil sie nicht zum Arzt gehen können.

Obamacare hat hier ein Zeichen gesetzt. Amerika sollte damit „normaler“ werden, ähnlicher den europäischen Staaten, einen negativen Teil seiner „Einzigartigkeit“ abstreifen, sich letztlich auf die Werte anderer westlicher Staaten wie zum Beispiel auch Kanada verpflichten. Das Projekt war von Anfang an kompliziert. Vor allem aus ideologischen Gründen kam nur ein System infrage, dass allein von privaten Anbietern getragen wird. Das machte die Aufgabe einer umfassenden Versorgung besonders schwierig.

Die Republikaner haben alles in ihrer Macht stehende getan, um das Projekt zum Scheitern zu bringen. Möglicherweise werden sie jetzt versuchen, es finanziell auszutrocknen und damit doch noch zu kippen. Aber die Chancen sind gut, dass das nicht funktioniert.

Jeder hat jetzt begriffen, dass die Amerikaner nicht auf einen möglichst breiten Versicherungsschutz für den Krankheitsfall verzichten wollen. Der Versuch, das System auf indirektem Weg zum Einsturz zu bringen, dürfte so lange dauern, dass die daraus folgende Katastrophe von Trump und seinen Verbündeten im Parlament zu verantworten wäre.

Es besteht daher die Hoffnung, dass das Chaos vom Freitag die historische Stunde war, in der sich zeigte, dass die von Obama eingeschlagene Richtungsänderung mehr als ein zeitlich begrenztes politisches Projekt war.

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