US-Konjunktur Fed-Chefin Janet Yellen verschleppt die Zinswende

Die US-Notenbank-Chefin Janet Yellen macht sich Sorgen um die US-Wirtschaft. Dass die Zinsen schnell erhöht werden, ist nicht mehr in Sicht. Viele Unternehmer nervt das.

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Janet Yellen Quelle: AP

Es ist Feiertag in den USA. Am dritten Montag im Februar, dem Presidents’ Day, ehren die Amerikaner ihre bisherigen 44 Staatsoberhäupter. Schulen, Museen und Banken sind geschlossen. Bei einem kleinen Hightechunternehmen nahe Chicago jedoch läuft die Produktion auf Hochtouren. "Unsere Auftragsbücher sind voll; wir benötigen jeden Mitarbeiter um die Auftragsbücher abzuarbeiten“, sagt Peter Riehle, Chef des US-Ablegers von Wittenstein, einem Hersteller von Servomotoren und Getrieben aus dem baden-württembergischen Igersheim. Einige der 93 Mitarbeiter haben zwar frei, die meisten aber wuseln an den Maschinen und Werkbänken in der 1100 Quadratmeter großen Fabrikhalle in Bartlett, Illinois.

Zu ihnen gehört Todor Paunov, der als Maschinist und Schichtleiter über einen Touchscreen wischt. Kurze Zeit später setzt sich eine komplexe Doppelspindel-Drehmaschine in Bewegung. Die beiden Spindeln im Inneren rotieren, Kühlmittel spritzt gegen die Wände – und innerhalb weniger Minuten werden automatisch Getriebe gebohrt und gefräst. Paunov streicht mit Latexhandschuhen über die Kanten und nickt zufrieden. Noch am selben Tag wird das Teil auf den Weg zum Kunden gehen. Über 2200 Getriebe hat Wittenstein in den USA im Januar verkauft, mehr als je zuvor.

Ende des Aufschwungs in den USA befürchtet

Von einer Krise ist bei dem Familienunternehmen nichts zu spüren. Das passt zum starken Ruf von made in Germany in den USA. Im vergangenen Jahr lösten die Vereinigten Staaten erstmals seit 1961 Frankreich als wichtigsten Markt für deutsche Produkte ab. Insbesondere Maschinen waren zuletzt gefragt, schließlich entstanden quer durchs Land neue Fabriken und Produktionsstätten. Ökonomen sprachen schon von einer Reindustrialisierung der USA, die lange auf den Dienstleistungssektor setzten.

Stimmen zur Zinswende der Fed

Nur ist von solchen Erfolgsmeldungen derzeit so gut wie nichts zu lesen. Stattdessen häufen sich die Nachrichten über ein Ende des Wirtschaftsaufschwunges in den USA, noch bevor dieser so richtig begonnen hat. An den Aktienmärkten brechen die Kurse ein, seit Jahresbeginn hat der Dow Jones knapp zehn Prozent verloren. Die US-Notenbank Federal Reserve spekuliert öffentlich, ob die heimischen Konzerne stark genug seien , um die vielfältigen Probleme der Weltwirtschaft wegzustecken. „Die Turbulenzen in China und anderen Schwellenländern könnten das US-Wachstum dämpfen“, warnt Fed-Chefin Janet Yellen.

Ärger über Pessimismus

Ihre Worte ließen aufhorchen. Schließlich hatte die Federal Reserve im Dezember 2015 den Leitzins um 25 Basispunkte erhöht und damit die sieben Jahre währende Nullzinspolitik in den USA beendet. 2016 sollte es so weitergehen, vier weitere Minizinsschritte waren erwartet worden. Doch plötzlich scheint die US-Zentralbank neue Hemmungen zu bekommen. Amerikas Wirtschaft entwickele sich in einer Weise, die „nur schrittweise Zinserhöhungen“ zulasse, sagte Yellen – und bremste damit in den Augen vieler Beobachter die Zinswende aus, ehe sie richtig begonnen hat.

Vor allem Unternehmer ärgern sich über derart öffentliche Zweifel an der Wirtschaftskraft der USA. „So entsteht ein viel zu negatives Bild der US-Konjunktur“, sagt Caroll Neubauer, Vorstandsmitglied des Medizintechnikherstellers B. Braun Melsungen und Vorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer. Negative Einflüsse, die es zweifelsohne gäbe, würden in diesen Prognosen „zu stark gewichtet“, findet Neubauer. Der übertriebene Pessimismus der Notenbank trübe das Wirtschaftsklima.

Krisen im Ausland lassen US-Export zurückgehen

Wer hat nun recht, die pessimistischen Experten oder die optimistischen Unternehmer? Wahr ist: Das amerikanische Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Oktober bis Dezember, auf das Jahr hochgerechnet, nur um 0,7 Prozent zu. Vor allem die Exportwirtschaft trägt Schuld am mauen Wachstum. Im Ausland ist die Nachfrage nach US-Gütern deutlich zurückgegangen, weil die Wirtschaft in Abnehmerstaaten kriselt und der Dollar so stark geworden ist. Gegenüber allen wichtigen Währungen der Welt hat der Greenback massiv aufgewertet.

„Der Export ist schwieriger geworden“, sagt auch Vorstand Neubauer. Viele Auslandskunden hätten derzeit Schwierigkeiten, die hohen Preise für US-Güter zu bezahlen. Sie kauften günstiger in Europa oder Asien ein. Die Industrieproduktion in den USA sank im Januar um 0,7 Prozent.

Industrieproduktion in den USA

Besonders betroffen sind die Zulieferer der Ölindustrie, eine Branche, die in den vergangenen Jahren noch zu den großen Gewinnern gehörte. Der Fracking-Boom hatte für Jobs und Wachstum in den USA gesorgt. Doch die Goldgräberzeiten sind vorbei. US-Ölunternehmen können bei den aktuellen Minipreisen für ein Fass Öl nicht profitabel arbeiten; die Produktion ist größtenteils lahmgelegt.

Shoppinglust der Amerikaner ist ungebrochen

Ist also auch die Reindustrialisierung in den USA vorbei, bevor sie richtig begonnen hat? Riehle wiegelt ab. „Es gibt inzwischen viele kleine und mittelständische Unternehmen in den USA, die tolle Arbeit leisten und sich gegen den Trend stemmen“, sagt der Wittenstein-Geschäftsführer. Nach den enormen Zuwachsraten in den vergangenen Monaten sei es „im Strudel der Negativmeldungen“ einfach zu einer Korrektur gekommen. Außerdem sind die Auftragsbücher von Wittenstein allem Krisengerede zum Trotz bestens gefüllt. Das liegt an anderen Kunden, die gerade vom geringen Ölpreis profitieren: darunter der Konsumgüter-Konzerne etwa oder die Flugzeugindustrie.

Beide Branchenriesen spüren, dass die Shoppinglust der Amerikaner ungebrochen ist. Was diese aufgrund der niedrigen Energiepreise beim Heizen und an der Tankstelle sparen, geben sie für Kosmetik, Urlaub oder neue Autos aus. Die Einzelhandelsumsätze sind im Januar gegenüber dem Vergleichsmonat im Vorjahr um 3,4 Prozent gestiegen. „Der niedrige Ölpreis ist unter dem Strich für uns kein Problem. Zwar gehen Aufträge verloren, aber in anderen Branchen steigt die Nachfrage“, resümiert Riehle.

Deutsche Unternehmen in den USA erwarten Wachstum

Was im Kleinen gilt, lässt sich aufs große Ganze übertragen: Die Investmentbank JP Morgan prognostiziert, dass die niedrigen Rohstoffpreise der Wirtschaft nur minimal helfen. Größeren Schaden richten sie aber bislang auch nicht an. Zwar gingen allein im rohstoffreichen US-Bundesstaat Texas vergangenes Jahr rund 60.000 Jobs in der Öl- und Gasindustrie verloren, doch die amerikanische Arbeitslosenquote befindet sich mit derzeit 4,9 Prozent auf dem tiefsten Stand seit dem Beginn der Weltfinanzkrise im Jahr 2008.

Eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer ergab daher ein betont positives Fazit: „97 Prozent der deutschen Unternehmen in den USA gehen davon aus, auch 2016 zu wachsen.“ Demnach planen drei von vier Betrieben, neue Stellen zu schaffen. Mit derlei Optimismus befinden sich die Deutschen in guter Gesellschaft. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wachstumsprognose für die USA zwar um 0,2 Prozentpunkte gesenkt. Aber die Fondsleute gehen weiter davon aus, dass Amerikas Wirtschaft bis Ende des Jahres um solide 2,6 Prozent zulegen wird.

Politiker schüren Angst vor dem Abschwung

Eine Berufsgruppe hält dies freilich nicht davon ab, die Sorgen und Ängste der Bürger vor einem Abschwung zu schüren: US-Politiker. Demokraten und Republikaner stecken mitten im Wahlkampf. Sie überbieten sich mit wirtschaftlichen Horrorprognosen und zweifelhaften Rezepten, um die scheinbare Krise abzuwenden. So haben beide Parteien den Freihandel zum Feind ausgerufen. „Ich war von Beginn an gegen das transpazifische Freihandelsabkommen – und ich bin gegen das TTIP-Abkommen mit Europa“, sagt etwa Bernie Sanders, Linksaußen-Kandidat der Demokraten. Sein republikanischer Gegenspieler Donald Trump sieht den Welthandel gar als globales „Schlachtfeld“, auf dem Amerikaner stetig verlieren. Das will Trump ändern, indem er bei Handelsvereinbarungen in Zukunft streng einem Freund-Feind-Denken folge. Sogar Demokraten-Hoffnung Hillary Clinton will von Freihandel nur noch wenig wissen.

Das ist vor allem für Deutschland eine schlechte Nachricht. Kanzlerin Angela Merkel hat lange für TTIP geworben, das geplante Abkommen zwischen der EU und den USA für niedrigere Zölle und gemeinsame Standards. Die Christdemokratin weiß: Ihr Land würde von einem Abkommen mit den Vereinigten Staaten besonders profitieren. Deutsche Unternehmen könnten ihre starke Position auf dem amerikanischen Markt so weiter ausbauen.

Angst vor selbsterfüllenden Prophezeiungen

Doch TTIP hat in den USA nur noch wenige Fans. Und auch sonst wachsen die Zweifel an einer Koalition der ökonomischen Vernunft in den USA. „Wir müssen aufpassen, dass falsche Politikvorschläge und das Gerede von einer Krise nicht zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werden“, sagt Handelskammer-Präsident Caroll Neubauer. Immer neue Diskussionen über eine Anhebung des US-Mindestlohnes – Bernie Sanders will die Lohnuntergrenze auf bis zu 15 Dollar die Stunde hochsetzen – oder neue Spekulationen der Notenbank über ein Abflauen der Konjunktur könnten Bürger und Arbeitgeber von Investitionen abhalten und so erst recht eine Krise auslösen, sagt Neubauer.

Zumindest bei Getriebehersteller Wittenstein überwiegt aber weiterhin der Optimismus. Derzeit überlegt die Geschäftsführung, wie sie die Produktion in Bartlett, Illinois, weiter ausdehnen kann, eine zweite Produktionshalle soll her. Geschäftsführer Riehle würde auch gerne dieses Jahr bis zu zehn neue Mitarbeiter einstellen. Doch bislang hat er schlicht nicht genug qualifizierte Mitarbeiter gefunden, der Arbeitsmarkt scheint wie leer gefegt. „Wir versuchen selber auszubilden, wollen aber mit der deutschen Industrie- und Handelskammer auch eine Art duales System aufbauen“, sagt Riehle. Das aber braucht Zeit. Bis dahin müssen seine Stammangestellten im Werk in Illinois weiterhin die zahlreichen Aufträge abarbeiten, auch am Feiertag.

Ein besseres Beschäftigungsprogramm gegen den Krisen-Blues kann es kaum geben.

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