US-Reaktionen auf Merkel-Rede „Das Ende einer Ära amerikanischer Führung“

Im bayrischen Bierzelt ruft Angela Merkel die Europäer zu mehr Eigenständigkeit auf. Ihre Aussagen werden auch in den USA ernstgenommen. „Merkel beginnt damit, eine neue EU zu formen“, heißt es. Die Reaktionen.

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Die Kanzlerin hat die Herausforderung angenommen. Quelle: dpa

Die Bierzelt-Rede der deutschen Bundeskanzlerin ist am Montagmorgen das große Thema der US-Nachrichtenseiten. Gerade die großen, liberalen Zeitungen sehen eine bedeutsame Wende. „Warum Merkels Kommentare wichtig sind“, titelt etwa die „Washington Post“ und zitiert dann zunächst zwei Absätze lang das, was Angela Merkel (CDU) am Sonntag sagte.

„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, hatte sie in München nach ihrer Rückkehr vom Nato- und vom G7-Gipfel ausgeführt. „Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Natürlich tue man dies in Freundschaft zu den USA und Großbritannien und in guter Nachbarschaft, „wo immer das geht, auch mit Russland, auch mit anderen Ländern“. Aber: „Wir müssen wissen, wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen, als Europäer, für unser Schicksal.“

Die „Post“ analysiert dazu: „Dies ist eine enorme Änderung der politischen Rhetorik.“ Es sei wahrscheinlich, dass Deutschland und Europa künftig eigenständigere Rollen in der Nato spielen werden, als es in den vergangenen 70 Jahren der Fall war. Merkel impliziere klar, dass das Schwächerwerden des transatlantischen Verhältnisses bedeutet, dass die EU gestärkt werde. Der Ausstieg der Briten mache es aus ihrer Sicht zudem möglich, dass sich die EU darauf konzentriert, ihre inneren Angelegenheiten in Ordnung zu bringen – angetrieben von einer gestärkten Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich.

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„Merkels Temperament ist das genaue Gegenteil des Temperaments Trumps“, stellt die „Post“ fest. „Sie ist sehr vorsichtig. Die Rede ist kein impulsiver Zug. Merkel beginnt damit, eine neue EU zu formen, die stärker und selbstsicherer ist und weniger auf eine Führung durch die USA angewiesen ist.“ Wenn Merkel die Bundestagswahl gewinne und genug Unterstützung anderer EU-Staaten bekomme, könnte sie eine langfristige Veränderung der EU-US-Beziehungen einleiten.

Die „New York Times“ sieht es ähnlich: „Wenn die Vereinigten Staaten weniger gewillt sind, in Übersee einzugreifen, wird Deutschland in Partnerschaft mit Frankreich mehr und mehr zur dominierenden Kraft.“ Der ehemalige Nato-Gesandte der USA Ivo Daalder sagte der „Times“: „Dies scheint das Ende einer Ära zu sein, in der die Vereinigten Staaten führten und Europa folgte.“ Merkel erkenne mit ihren Äußerungen an, dass die USA und Europa in Kernfragen in genau entgegengesetzte Richtungen steuerten.

Bei „Fox-News“, dem Lieblingssender Donald Trumps, kam der ehemalige US-Gesandte bei den Vereinten Nationen, John Bolton zu Wort. Er verwies darauf, dass Merkel nicht unbedingt den Rückhalt anderer europäischer Länder habe. Schon bei „Alleingängen“ wie in der Flüchtlingsfrage habe sie nicht die Unterstützung Polens und Ungarns gehabt.

Ihre Äußerungen hätten viel mit der Bundestagwahl im Herbst zu tun. Der Sender blendete die Verteidigungsausgaben wichtiger Nato-Mitglieder ein, die deutlich hinter den Ausgaben der USA zurückbleiben: „Die Bedrohung der Nato-Solidarität kommt aus Europa, nicht aus den USA“, kommentierte Bolton.

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