Die Bierzelt-Rede der deutschen Bundeskanzlerin ist am Montagmorgen das große Thema der US-Nachrichtenseiten. Gerade die großen, liberalen Zeitungen sehen eine bedeutsame Wende. „Warum Merkels Kommentare wichtig sind“, titelt etwa die „Washington Post“ und zitiert dann zunächst zwei Absätze lang das, was Angela Merkel (CDU) am Sonntag sagte.
„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, hatte sie in München nach ihrer Rückkehr vom Nato- und vom G7-Gipfel ausgeführt. „Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Natürlich tue man dies in Freundschaft zu den USA und Großbritannien und in guter Nachbarschaft, „wo immer das geht, auch mit Russland, auch mit anderen Ländern“. Aber: „Wir müssen wissen, wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen, als Europäer, für unser Schicksal.“
Die „Post“ analysiert dazu: „Dies ist eine enorme Änderung der politischen Rhetorik.“ Es sei wahrscheinlich, dass Deutschland und Europa künftig eigenständigere Rollen in der Nato spielen werden, als es in den vergangenen 70 Jahren der Fall war. Merkel impliziere klar, dass das Schwächerwerden des transatlantischen Verhältnisses bedeutet, dass die EU gestärkt werde. Der Ausstieg der Briten mache es aus ihrer Sicht zudem möglich, dass sich die EU darauf konzentriert, ihre inneren Angelegenheiten in Ordnung zu bringen – angetrieben von einer gestärkten Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich.
Sieben Dinge, die man über die G7 wissen muss
Die Weltwirtschaftskrise brachte 1975 Bundeskanzler Helmut Schmidt und den französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing auf die Idee eines Gipfeltreffens der größten Industrienationen. Das Ziel: Die Erörterung der weltwirtschaftlichen Lage und die Suche nach Lösungsansätzen für globale Probleme.
Beim ersten Gipfeltreffen auf Schloss Rambouillet bei Paris trafen sich die Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Deutschland, der USA, Großbritannien, Japan und Italien. Ein Jahr später kam Kanada hinzu. Aus der „Gruppe der Sechs“ wurde die G7.
Russland erhielt 2002 die Vollmitgliedschaft, die G8 existierte aber nur bis 2013. Wegen der russischen Annexion der Krim platzte 2014 der Gipfel im russischen Sotschi am Schwarzen Meer. Die G7 tagte stattdessen ohne Russland in Brüssel. Eine Rückkehr zur G8 ist derzeit kein Thema.
Der G7 gehörten in der Anfangszeit die sieben führenden Industrienationen der Welt an. Heute ist das nicht mehr so: Aus den Top 7 fehlen mit China die Nummer 2 und mit Indien die Nummer 7.
In der Anfangszeit ging es bei den jährlichen Gipfeln vor allem um Wirtschaftsthemen. Die Treffen wurden deswegen auch Weltwirtschaftsgipfel genannt. Heute geht es neben den Wirtschaftsfragen um alle internationalen Krisen.
Die G7 trifft keine verbindlichen Beschlüsse. Das Abschlussdokument hat keinen verbindlichen Charakter. Es geht bei den Treffen vor allem um einen Gedankenaustausch über die wichtigsten Themen dieser Welt.
Der Vorsitz der Gruppe rotiert. Jedes Jahr finden die Gipfel in einem anderen Mitgliedsland statt. Dieses Jahr ist Italien an der Reihe. Die Staats- und Regierungschefs treffen sich in Taormina auf Sizilien.
„Merkels Temperament ist das genaue Gegenteil des Temperaments Trumps“, stellt die „Post“ fest. „Sie ist sehr vorsichtig. Die Rede ist kein impulsiver Zug. Merkel beginnt damit, eine neue EU zu formen, die stärker und selbstsicherer ist und weniger auf eine Führung durch die USA angewiesen ist.“ Wenn Merkel die Bundestagswahl gewinne und genug Unterstützung anderer EU-Staaten bekomme, könnte sie eine langfristige Veränderung der EU-US-Beziehungen einleiten.
Die „New York Times“ sieht es ähnlich: „Wenn die Vereinigten Staaten weniger gewillt sind, in Übersee einzugreifen, wird Deutschland in Partnerschaft mit Frankreich mehr und mehr zur dominierenden Kraft.“ Der ehemalige Nato-Gesandte der USA Ivo Daalder sagte der „Times“: „Dies scheint das Ende einer Ära zu sein, in der die Vereinigten Staaten führten und Europa folgte.“ Merkel erkenne mit ihren Äußerungen an, dass die USA und Europa in Kernfragen in genau entgegengesetzte Richtungen steuerten.
Bei „Fox-News“, dem Lieblingssender Donald Trumps, kam der ehemalige US-Gesandte bei den Vereinten Nationen, John Bolton zu Wort. Er verwies darauf, dass Merkel nicht unbedingt den Rückhalt anderer europäischer Länder habe. Schon bei „Alleingängen“ wie in der Flüchtlingsfrage habe sie nicht die Unterstützung Polens und Ungarns gehabt.
Ihre Äußerungen hätten viel mit der Bundestagwahl im Herbst zu tun. Der Sender blendete die Verteidigungsausgaben wichtiger Nato-Mitglieder ein, die deutlich hinter den Ausgaben der USA zurückbleiben: „Die Bedrohung der Nato-Solidarität kommt aus Europa, nicht aus den USA“, kommentierte Bolton.