US-Visapolitik Wenn die Angst über den Campus schleicht

Die Angst geht um: Werden ausländische Wissenschaftler, Forscher und Programmierer zum nächsten Ziel von Trumps Einwanderungspolitik? Der Situation spitzt sich zu. Auch für eine völlig überraschende Gruppe.

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Studenten an der University of California San Diego demonstrieren gegen US-Präsident Donald Trump. Quelle: REUTERS

Sie haben sich weit aus dem Fenster gelehnt. Mit einem Brief an ein Berufungsgericht in San Francisco haben sich 100 Technologie-Firmen aus den USA gegen das jüngste Einreise-Verbot von US-Präsident Donald Trump ausgesprochen, das von mehreren US-Gerichten vorläufig gestoppt wurde.

Richter in San Francisco haben am Dienstag in einer mündlichen Anhörung die Argumente der klagenden Parteien angehört. Jetzt soll das Gericht entscheiden, ob die Aussetzung bis zur Klärung im Hauptverfahren wirksam bleiben wird. Das Urteil soll erst Ende der Woche fallen. Aber die Lage wird immer unüberschaubarer.

Egal, wer gewinnt, beide Parteien werden mit Sicherheit bis zum obersten Gerichtshof gehen, um ihre Sache durchzufechten. Das kann dauern. Trotzdem ist das Einwanderungsthema damit nicht erledigt. Im Gegenteil. Denn vor allem für Präsident Trump wäre eine endgültige Ablehnung eine persönliche Demütigung.

Trumps Amerika: Die Pläne des neuen US-Präsidenten

Und Demütigungen mag der neue US-Präsident gar nicht, was die vorlaute Tech-Industrie mit ihrer offenen Opposition schnell zu spüren bekommen könnte. Eines trifft die Branche besonders hart und wäre eine schallende Ohrfeige für die Aufsässigkeit ihrer Anführer: Es sind die 1990 eingeführten sogenannten „H1-B“-Visa für hochqualifizierte Arbeitskräfte oder Wissenschaftler aus dem Ausland. Sie gelten sechs Jahre, haben eine Verlängerungsoption und sind an einen Arbeitsplatz gebunden, zum Beispiel in einer Universität oder in einem Unternehmen.

Die expandierende Silicon-Valley-Industrie deckt so einen guten Teil ihrer Neuanstellungen. Ohne hochqualifizierte Zuwanderung aus Ländern wie China oder Indien könnte die US-Industrie spürbar zurückfallen, so ein Sprecher der Silicon Valley Leadership Group, die 400 Mitgliedsfirmen vertritt. 120.000 High-Tech-Spezialisten würden pro Jahr benötigt, aber nur gut 25.000 verließen pro Jahr die amerikanischen Universitäten.

Beim ersten Treffen mit dem Präsidenten hatten hochrangige Vertreter der Industrie noch betont, wie wichtig das Thema sei und Trump hatte Hilfe versprochen. Einwanderer gehören zur wichtigsten Gruppe von Unternehmensgründern und schaffen Arbeitsplätze, siehe Einwanderersohn Steve Jobs oder Google-Mitgründer Sergey Brin, der höchstpersönlich bei den Demonstrationen auf dem Flughafen von San Francisco erschien.

Doch nur drei Tage nach dem Erlass der chaotischen Einreiseverordnung, legte Trumps Sprecher Sean Spicer die Daumenschrauben an. Beim Presse-Briefing im Weißen Haus erklärte er, der Präsident werde weiter auch über die H1-B-Visa beraten und das Thema über „eine Executive Order angehen und eine Zusammenarbeit mit dem Kongress“. Und eine Ausweitung der H1-B-Visas steht ganz offenbar nicht auf dem Programm.

Kritik am H1-B-Visa-Programm



Eine langfristige Einwanderungsreform, ja, aber beim Begriff „Executive Order“, also Maßnahmen die praktisch über Nacht in Kraft treten können, läuft es Tech-Managern und ausländischen Fachkräften eiskalt den Rücken runter, seit sie die Auswirkungen der jüngsten Einreise-Verordnung gesehen haben. Rund 1,5 Millionen H1-B-Berechtigte, Ärzte, Lehrer, Dozenten, Wissenschaftler und Computer-Spezialisten aus aller Welt arbeiten seit 1990 in den USA. Jede negative Änderung könnte zu gravierenden Verwerfungen in Forschung und Industrie führen. CNN-Money will bereits einen Entwurf der Order zugespielt bekommen haben, allerdings fehlten Details, heißt es.

Die H1-B-Visa, gesponsert und bezahlt von US-Arbeitgebern, sind zudem ein erfolgreiches Mittel um Studenten im Land zu halten. Ausländische Top-Absolventen haben oft für hunderttausende Dollar Studiengebühren ihr Wissen an Privat-Universitäten wie Stanford erhalten und gehen dann ohne Visa zurück in ihre Heimat. Schon Barack Obama hatte sich 2011 vehement für eine Änderung der Visa-Regeln eingesetzt, allerdings für eine Lockerung. „Ich will nicht, dass diese Studenten das nächste Intel in China oder Frankreich gründen. Ich will sie hier haben“, sagte er bei einer Veranstaltung von Facebook.

Doch es gibt viele Kritiker am H1-B-Visa-Programm. Die Vorwürfe lauten von Lohndumping bis Pseudo-Sklaverei. Ein Visa-Inhaber muss nur mindestens 60.000 Dollar im Jahr verdienen. Im Silicon Valley ist dafür kaum eine Putzfrau zu bekommen, geschweige denn ein US-Softwareprofi. Das ist an strenge Auflagen gebunden. Wer seinen Arbeitsplatz verliert, der muss innerhalb weniger Wochen das Land verlassen. Das wirkt disziplinierend, wenn es darum geht, gegen zu geringe Bezahlung oder schlechte Arbeitsbedingungen zu protestieren, sagen Kritiker.

Lufthansa: Crew-Mitglieder von Änderung betroffen
Michel SapinDer französische Finanzminister hat US-Präsident Donald Trump als große Gefahr für die Weltwirtschaft bezeichnet. "Unser amerikanischer Partner scheint einseitige protektionistische Maßnahmen ergreifen zu wollen, die die gesamte Weltwirtschaft destabilisieren könnten", sagte Sapin am Dienstag vor Wirtschaftsexperten im Pariser Finanzministerium. Entscheidungen Trumps und seiner Regierung stellten eine große Gefahr für den Welthandel dar, warnte der sozialistische Politiker. Er forderte die anderen europäischen Staaten zum Handeln auf: "Weder Frankreich noch Europa können es sich erlauben, hilflos zuzusehen, wie unsere Wirtschaftsinstitutionen ausgehebelt werden", sagte Sapin. Quelle: AP
"Wir haben Crew-Mitglieder, die von der Änderung betroffen sind", sagte ein Lufthansa-Sprecher am Montag. Quelle: dpa
Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Quelle: dpa
Boris Johnson Quelle: REUTERS
Die EU-Kommission Quelle: dpa
Jasmin TabatabaiDie deutsch-iranische Schauspielerin Jasmin Tabatabai (49) kritisiert das US-Einreiseverbot für viele Muslime als unmenschlich und ungerecht. „Menschen auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu diskriminieren, ist ungeheuerlich und zutiefst unamerikanisch. Gruselig, sich auszumalen, was noch alles auf uns zukommen wird“, schrieb Tabatabai in einem Gast-Beitrag für die „Bild“-Zeitung (Montag).  Quelle: dpa
Angela MerkelBundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält das von der US-Regierung verhängte Einreiseverbot gegen Flüchtlinge und Bürger einiger mehrheitlich muslimischer Staaten für falsch. „Sie ist überzeugt, dass auch der notwendige entschlossene Kampf gegen den Terrorismus es nicht rechtfertigt, Menschen einer bestimmten Herkunft oder eines bestimmten Glaubens unter Generalverdacht zu stellen“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Sonntag in Berlin. Quelle: dpa

Daneben wird von angeblicher Ausbeutung durch Outsourcing-Firmen berichtet, die für ihre Klienten, zum Beispiel indische Spezialisten, Visa beantragen, diese dann an US-Firmen vermitteln und im Gegenzug einen Teil des monatlichen Gehalts abzweigen.

Ein Schlupfloch im Gesetz soll schon seit geraumer Zeit geschlossen werden. Das Gesetzesentwurf des „Protect and Grow American Jobs Act (HR 170)“ soll es deutlich erschweren, US-Angestellte durch Ausländer mit H1-B-Visa zu ersetzen. Ein weiterer Gesetzesvorschlag sieht vor, Firmen mit mehr als 50 Mitarbeitern höchstens 50 Prozent Visa-Mitarbeiter zu erlauben. Das trifft Giganten wie Facebook weniger, wo rund 15 Prozent der Angestellt mit einem H1-B arbeiten. Aber kleinere, hochspezialisierte Tech-Firmen können schnell an diese Schwelle stoßen.

Das schon alleine, weil sie das Elefantenrennen um einheimische Top-Talente mit Einstiegsgehältern um 150.000 bis 200.000 Dollar gar nicht mitmachen können. Visa-Inhaber sind bereit, die relativ geringen Mindestgehälter zu Beginn zu akzeptieren, um einen Fuß in das gelobte Land zwischen San Francisco und San Jose setzen zu können.

Das heutige System einer Computer-Lotterie wird in dem Vorschlag durch ein Bevorzugungs-Modell ersetzt werden. Es würde um Beispiel ausländische Absolventen von US-Universitäten gegenüber Bewerbern aus anderen Ländern ohne US-Ausbildung bevorzugen.

Abschaffung der „Greencard-Lotterie“?



Doch was wird Donald Trump unternehmen? Beobachter in Washington rechnen mit einer engen Verzahnung der Visa-Politik mit der Entwicklung der Handelsbeziehungen mit Indien und China. Besonders viele High-Tech-Experten werden heute an indischen Universitäten ausgebildet und drängen in die USA. Doch durch eine Quotenregelung, die die Vergabe an Bürger dieser Länder kontingentiert, ist ein riesiger Rückstau an Anträgen entstanden. Jedes Jahr werden 85.000 H1-B-Visa vergeben, vergangenes Jahr bewarben sich darauf über 250.000 Antragsteller.

Eine Ausweitung des Programms scheint ohnehin praktisch undenkbar. Schon 2015 hatten der texanische Senator Ted Cruz und Senator Jeff Sessions einen Entwurf eingebracht, der die H1-B-Regeln massiv verschärfen und die sogenannte „Greencard-Lotterie“ abschaffen soll. Jeff Sessions ist kurz davor Justizminister zu werden.

Vor dem Hintergrund der Trump-Initiative hat die demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses Zoe Lofgren vor wenigen Tagen einen eigenen Gegenvorschlag eingebracht. Arbeitgeber, die bereit sind mehr als das Doppelte des amerikanischen Durchschnittslohns einer Berufsgattung zu bezahlen, bekommen als erste Visa-Arbeiter zugeteilt. Die Rechnung dahinter: Wer auf diesem Niveau keinen US-Spezialisten finden kann, der hat wirklich ein echtes Personalproblem.

Die kalifornische Abgeordnete zeigt ein Herz für Startups mit weniger als 50 Mitarbeitern: Sie würden 20 Prozent aller Visa erhalten, ohne Gehälter wie bei Google oder Facebook zahlen zu müssen.

Bangen muss, jedenfalls theoretisch, auch eine andere Gruppe Hochqualifizierter: Seit einer überraschenden Erweiterung der Gesetzesgrundlage qualifizieren auch Fashion-Models für ein Hochqualifizierten-Visa. Und das, ohne wenigstens einen Hochschul-Besuch vorweisen zu müssen. Nach eine Untersuchung von Bloomberg aus dem Jahre 2013 sind relativ gesehen trotzdem die Chancen auf ein H1-B für junge Models aus aller Welt fast doppelt so gut wie für Computer-Tüftler.

Wenn es um Schönheit geht, ist „America first“ zumindest auf dem Visa-Gebiet und Fotostudios und Laufstegen noch nicht angekommen. Von daher weiß Donald Trump, wie wichtig H1-B-Visa für die Wirtschaft sind. Nach offiziellen Angaben war zumindest bis 2013 die Agentur Trump Model Management aus New York einer der fleißigsten Antragsteller der Visa für hochqualifizierte Mannequins. Bleibt abzuwarten, wie sich das in der Präsidialorder niederschlägt.

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