Sie haben sich weit aus dem Fenster gelehnt. Mit einem Brief an ein Berufungsgericht in San Francisco haben sich 100 Technologie-Firmen aus den USA gegen das jüngste Einreise-Verbot von US-Präsident Donald Trump ausgesprochen, das von mehreren US-Gerichten vorläufig gestoppt wurde.
Richter in San Francisco haben am Dienstag in einer mündlichen Anhörung die Argumente der klagenden Parteien angehört. Jetzt soll das Gericht entscheiden, ob die Aussetzung bis zur Klärung im Hauptverfahren wirksam bleiben wird. Das Urteil soll erst Ende der Woche fallen. Aber die Lage wird immer unüberschaubarer.
Egal, wer gewinnt, beide Parteien werden mit Sicherheit bis zum obersten Gerichtshof gehen, um ihre Sache durchzufechten. Das kann dauern. Trotzdem ist das Einwanderungsthema damit nicht erledigt. Im Gegenteil. Denn vor allem für Präsident Trump wäre eine endgültige Ablehnung eine persönliche Demütigung.
Trumps Amerika: Die Pläne des neuen US-Präsidenten
Trump will sich ganz von amerikanischen Interessen, vor allem den Sicherheitsinteressen leiten lassen. Höchste Priorität soll der Kampf gegen islamistische Terrororganisationen wie den Islamischen Staat (IS) haben. Russland wird in den Eckpunkten nicht direkt erwähnt, es gibt aber einen Satz, der als Botschaft an Russland verstanden werden kann. „Die Welt muss wissen, dass wir keine Feinde suchen, dass wir immer froh sind, wenn alte Feinde zu Freunde werden, und wenn alte Freunde zu Verbündeten werden.“ Internationale Bündnisse und Organisationen wie die Nato, die Europäische Union und die Vereinten Nationen kommen in den Eckpunkten nicht vor.
Trump setzt auf „harte und faire“ Handelsabkommen, die vorrangig der US-Wirtschaft nutzen sollen. Darauf will er seine „härtesten und klügsten“ Leute ansetzen. Erstes Ziel: „Rückzug aus der transpazifischen Partnerschaft.“ Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta der USA mit Kanada und Mexiko will er neu verhandeln und aufkündigen, wenn es keinen „fairen Deal“ gibt. Verstöße anderer Länder gegen Handelsabkommen will er „mit allen Mitteln“ bekämpfen.
Die Kürzungen bei den US-Streitkräften will Trump rückgängig machen. „Unsere militärische Dominanz darf nicht infrage gestellt werden.“ Kein Land dürfe die USA militärisch überholen. Trump kündigt ein Raketenabwehrsystem zum Schutz vor Angriffen des Iran und Nordkoreas an. Dem Cyber-Krieg soll Priorität eingeräumt werden. Dabei sollen sowohl die defensiven als auch die offensiven Fähigkeiten der Streitkräfte gestärkt werden.
„Die Trump-Regierung wird eine Law-and-Order-Regierung (Recht und Ordnung) sein“, heißt es in den Eckpunkten. Vor allem die Gewaltkriminalität will der neue US-Präsident durch effektivere Polizeiarbeit, konsequentere Anwendung von Strafgesetzen und mehr bürgerliches Engagement bekämpfen. Das Recht auf Waffenbesitz soll nicht angetastet werden, um es jedem US-Bürger zu ermöglichen, sich selbst zu verteidigen.
Ein Grenzwall nach Mexiko soll illegale Einwanderung stoppen. Außerdem will Trump Migranten, die straffällig geworden sind, abschieben.
In zehn Jahren will Trump 25 Millionen Arbeitsplätze schaffen und vier Prozent Wachstum pro Jahr erreichen. Er will die Steuern für Bürger und Unternehmen senken sowie das gesamte Steuersystem vereinfachen. Staatliche Regulierung will die neue US-Regierung so weit wie möglich zurückfahren.
Trump will Energie für die Bürger möglichst billig machen und unabhängig sein von ausländischem Öl. Dafür will er Gesetze zum Klima- und Wasserschutz zurücknehmen, die Obama durchgesetzt hat. Stattdessen setzt er auf Fracking, also die Förderung von Erdgas aus Gesteinsschichten. Die US-Kohleindustrie will er „wiederbeleben“. Die Umweltbehörde EPA soll sich auf den Luft- und Wasserschutz konzentrieren. Trump hat früher abgestritten, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt.
Und Demütigungen mag der neue US-Präsident gar nicht, was die vorlaute Tech-Industrie mit ihrer offenen Opposition schnell zu spüren bekommen könnte. Eines trifft die Branche besonders hart und wäre eine schallende Ohrfeige für die Aufsässigkeit ihrer Anführer: Es sind die 1990 eingeführten sogenannten „H1-B“-Visa für hochqualifizierte Arbeitskräfte oder Wissenschaftler aus dem Ausland. Sie gelten sechs Jahre, haben eine Verlängerungsoption und sind an einen Arbeitsplatz gebunden, zum Beispiel in einer Universität oder in einem Unternehmen.
Die expandierende Silicon-Valley-Industrie deckt so einen guten Teil ihrer Neuanstellungen. Ohne hochqualifizierte Zuwanderung aus Ländern wie China oder Indien könnte die US-Industrie spürbar zurückfallen, so ein Sprecher der Silicon Valley Leadership Group, die 400 Mitgliedsfirmen vertritt. 120.000 High-Tech-Spezialisten würden pro Jahr benötigt, aber nur gut 25.000 verließen pro Jahr die amerikanischen Universitäten.
Beim ersten Treffen mit dem Präsidenten hatten hochrangige Vertreter der Industrie noch betont, wie wichtig das Thema sei und Trump hatte Hilfe versprochen. Einwanderer gehören zur wichtigsten Gruppe von Unternehmensgründern und schaffen Arbeitsplätze, siehe Einwanderersohn Steve Jobs oder Google-Mitgründer Sergey Brin, der höchstpersönlich bei den Demonstrationen auf dem Flughafen von San Francisco erschien.
Doch nur drei Tage nach dem Erlass der chaotischen Einreiseverordnung, legte Trumps Sprecher Sean Spicer die Daumenschrauben an. Beim Presse-Briefing im Weißen Haus erklärte er, der Präsident werde weiter auch über die H1-B-Visa beraten und das Thema über „eine Executive Order angehen und eine Zusammenarbeit mit dem Kongress“. Und eine Ausweitung der H1-B-Visas steht ganz offenbar nicht auf dem Programm.