US-Wahlen Das Zweckbündnis

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Weniger Ruhm, mehr Macht

Michael Dukakis hat ein feines Gespür für die Arithmetiken der Macht innerhalb der Demokraten. Er war Gouverneur in Massachusetts, Warrens Heimatstaat, er trat 1988 für die Demokraten gegen George Bush den Älteren bei der Präsidentenwahl an.
Heute zählt er zu den grauen Eminenzen der Partei, die im Hintergrund Strategien und Taktiken ergrübeln. Er glaubt: Warren wird sehr einflussreich werden, auch wenn sie zunächst kein größeres Amt erhalten wird. Clinton habe etwa gut daran getan, Tim Kaine in dieser Woche zum Vizepräsidentschaftskandidaten zu ernennen und nicht Warren, wie spekuliert worden war. Warren sei für die Demokraten viel zu wichtig, um sie in einem zwar repräsentativen, aber irgendwie doch machtlosen Amt zu verräumen.

„Warren ist eine tolle Senatorin und geht in ihrer Rolle voll auf“, sagt er. Der Job im Senat sei genau der richtige für sie. Während nämlich die offizielle Nummer zwei im Staat hauptsächlich repräsentative Aufgaben übernimmt, braucht ein US-Präsident für alle Gesetzesvorhaben die Zustimmung vom Kongress. Dort ist Warren hoch angesehen. Will Clinton nach der Wahl etwas bewegen, braucht sie eine Mehrheit im Senat. Warren ist der Schlüssel dazu.

Die Frau stammt aus einfachen Verhältnissen, geboren als Tochter eines Hausmeisters und als Urururenkelin von Cherokee-Indianern aus dem Südosten der USA. Heute dagegen ist ihr Leben ein Aushängeschild des American Dream, mit einem schmucken, viktorianischen Haus in Cambridges’ bester Wohngegend und einem zügig wachsenden Vermögen. Warren und ihr Gatte brachten es mit kleineren Immobiliengeschäften, ihren Posten als Harvard-Professoren (jeweils mehr als 300 000 Dollar Jahresgehalt) und Sachbuch-Bestsellern auf ein geschätztes Vermögen von knapp neun Millionen Dollar. Damit gehört Warren zum reichsten Fünftel der US-Senatoren.

Mehr Chancengleichheit, höhere Löhne, gegen die wachsende Ungleichheit

Doch es sind die prekären Verhältnisse ihres früheren Lebens, die Warren als Politikerin und als Professorin umtreiben. Und so kämpft die Senatorin primär für mehr Chancengleichheit, höhere Löhne und gegen die wachsende Ungleichheit – mit erstaunlichem Erfolg. Wie beliebt Warren bei der Basis ist, zeigt sich an einem Samstagvormittag in Cambridge, der Harvard-Stadt im Nordosten der USA.

Im Beauty Spa, einem kleinen Schönheitssalon an der Massachusetts Avenue, herrscht Hochbetrieb. Ein halbes Dutzend Kundinnen sitzt auf hohen, knallroten Sesseln und lässt Nägel und Augenbrauen in Form bringen. Eine von ihnen ist Warren, mit rosa Bluse, Bermudashorts, Birkenstocksandalen und – nach Abschluss des Schönheitsprogramms – tiefblauem Glitzernagellack an den Füßen. Als sie aufsteht, um zur Kasse zu gehen, gibt es kein Halten mehr: Kundinnen wie Kosmetikerinnen überschütten „Ms. Senator“ mit Dank und aufmunternden Worten für ihre Arbeit in Washington.

Kompromisslos

Die begann weit vor ihrer Zeit als Senatorin. Warrens politisches Gesellenstück sollte der Aufbau des Consumer Financial Protection Bureau werden, einer Verbraucherschutzbehörde für Finanzen. Warren hatte schon 2007 eine solche Behörde gefordert, doch die Zeit dafür schien erst ein Jahr später gekommen, als die Banken die Weltwirtschaft in die Krise stürzten. Auf Geheiß des Präsidenten entwarf sie die Strukturen der Behörde, stellte 500 Mitarbeiter ein – und musste dann erleben, wie Washington tickt: Barack Obama setzte einen Behördenmitarbeiter, den Warren zuvor selbst eingestellt hatte, auf den Chefsessel. Obama fürchtete, dass Warren als streitlustige Behördenchefin die politische Spaltung des Landes verschlimmert hätte. Warren ist „äußerst gescheit“, „umtriebig“ und „prinzipientreu“, lobt Exgouverneur Dukakis. Kompromissbereit aber ist sie nicht.

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