Vier Wochen nach der Wahl ist Alexander in London. Er hat einen Termin nach dem anderen. Über Nacht wurde er zu einem der gefragtesten Menschen in der Politszene. Er ist Chef von Cambridge Analytica. Jener Agentur, die für Trump Daten analysiert und interpretiert hat. Manche sagen, er habe damit Trump zum Sieg verholfen. Andere halten den Datenzauber für reinen Hokuspokus oder allenfalls für eine geschickte PR-Kampagne.
Doch was hat er eigentlich gemacht?
New York City, eine Woche vor der Wahl. An diesem Vormittag liegt Donald Trump in den Umfragen knapp zehn Prozent hinter Hillary Clinton. Das Rennen scheint gelaufen. Doch Nix ist entspannt. „Meinungsumfragen sind wie eine Suppe. Du kannst mit einem Teelöffel den Geschmack testen, doch du weißt nicht, welche Zutaten entscheidend sind. Das ist das, was Big Data kann“, sagt er.
Zur Person
Alexander Nix ist CEO von Cambridge Analytica. Das Unternehmen mit Sitz in New York nutzt Datenanalysen und Psychogramme, um Werbebotschaften in politischen Kampagnen zu generieren und anzupassen.
Seine Agentur sitzt an der New Yorker 5th Avenue. Wenn er dem Fenster schaut, kann er das Gewusel der beliebten Einkaufsmeile sehen. Doch er kann auch sehen, was die Menschen dort unten einkaufen - und was das über ihre Persönlichkeit aussagt, behauptet Nix. Daten sind in Amerika ein Produkt wie jedes andere. Große Datenanbieter sammeln und verkaufen jede Information, die es über Menschen zu erfahren gibt. Die Quellen sind überall: Banken, Behörden, Verlage, Social-Media-Plattformen, Wahlregister oder Cookies auf den Rechnern.
Cambridge Analytica kauft diese Daten im großen Stil. „Wir haben Daten über jeden Erwachsenen in Amerika“, sagt Nix. Damit weiß er, für welche Partei sich die Menschen bei der letzten Wahl registrierten, wo sie wohnen, welche Bücher sie lesen, ob sie Cornflakes oder Müsli kaufen und welche Facebook-Seiten sie liken. Durchschnittlich 4000 bis 5000 Daten haben sie pro Bürger, behauptet Nix.
Doch die Hauptarbeit von Cambridge Analytica beginnt erst dann: Sie verknüpfen die Daten miteinander, ziehen Rückschlüsse, treffen Prognosen. „Wenn jemand beispielsweise auf dem Land lebt, häufig in Outdoor-Shops einkauft, viel wandern geht und beim letzten Mal Republikaner gewählt hat, ist es wahrscheinlicher, dass das Recht auf Waffenbesitz verteidigt, als jemand, der in der Großstadt lebt“, sagt Nix.
Die Hälfte der 100 Mitarbeiter in Nix‘ Team sind Psychologen. Auf Grundlage der Daten erstellen sie Psychogramme. In fünf Dimensionen versuchen sie, den Charakter der Profile zu beschreiben: das sogenannte OCEAN-Modell macht Angaben zu Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen (openness), Gewissenhaftigkeit (conscientiousness), Extraversion (extraversion), Wettbewerbsorientierung (agreeableness), Neurotizismus (neuroticism).
Entsprechend differenzieren sie die Wähler. Trump-Fan ist nicht mehr nur Trump-Fan, sondern: der nostalgische Landbewohner, der neurotische Vater, die konservative Städterin. „Früher war es so: Alle, die sich für Waffen interessieren, bekommen die gleiche Pro-Waffenrecht-Werbung. Heute können wir nach Persönlichkeiten differenzieren“, sagt Nix. „Bei neurotischen Wählern brauchen wir mit rationalen Argumenten gar nicht erst anfangen, sie reagieren auf emotionale Stimuli“, erklärt er und öffnet auf seinem MacBook ein Foto.
Es ist ein Werbemotiv, das die neurotischen Wähler bei ihrem Facebookbesuch während des Wahlkampfs angezeigt bekamen. Darauf ist ein durchgeschlagenes Fenster, ein Lederhandschuh greift durch die kaputte Scheibe. Dazu der Ratschlag, Trump zu wählen – der werde mit seiner Politik vor Einbrechern schützen. „Ganz anders ist das mit jemandem, der auf dem Land lebt, sein Haus ohnehin nie abschließt und viel Wert auf Tradition legt. Bei ihm spielen wir die Botschaft: kulturelle Werte, die Wurzeln unseres Landes“, sagt Nix.
Big Data Analysen nützen unbeliebten Kandidaten nichts
Das Targeting ist im Standardrepertoire jeder Marketingabteilung: Werbung wird zielgruppenspezifisch ausgespielt. Und Alexander Nix und seine Firma sind nicht die Einzigen, die diese spezifische Kommunikation nutzen.
„Wir können davon ausgehen, dass wir auch in Europa zunehmend spezifischere Wähleransprache bekommen“, sagt Alexander Diehl. Er ist ist CEO von KKLD, einer Agentur mit 65 Mitarbeitern in Deutschland und den USA. 2014 machten Diehl die Kampagne für die europäischen Grünen. Vor zwei Jahren war Big Data noch kein Thema für die Parteien. „Doch nun erkennen viele, wie passgenau man im Internet Werbung aussteuern kann“, sagt er.
Gleichzeitig sei die Situation in Deutschland eine völlig andere. Die Agenturen können keine personenbezogenen Daten kaufen. Doch sie können Werbung gezielt bei bestimmten Zielgruppen platzieren. Sie wissen zwar nicht, wie die jeweiligen Personen heißen, und doch kennen sie ihr Surf- und Einkaufsverhalten und ihre soziodemografischen Daten. „Diese inhaltliche Differenzierung von Werbebotschaften erzielt natürlich bessere Ergebnisse“, sagt auch Diehl.
Darum hat Trump gewonnen
Clinton schnitt trotz Trumps frauenfeindlicher Äußerungen in der Wählergruppe deutlich schwächer ab als im Vorfeld erwartet. Zwar erhielt sie von Frauen zwischen 18 und 34 Jahren deutlich mehr Unterstützung als Trump, insgesamt aber betrug ihr Vorsprung bei Frauen mit 49 Prozent nur zwei Prozentpunkte. Zum Vergleich: Der scheidende Präsident Barack Obama schnitt 2012 bei Frauen sieben Prozentpunkte besser ab als sein damaliger Herausforderer.
Clinton kam Umfragen zufolge deutlich besser bei Amerikanern mit spanischen Wurzeln, Afroamerikanern, und Amerikanern mit asiatischen Wurzeln an. Allerdings erhielt sie nicht so viel Rückhalt wie Obama vor vier Jahren, der seine Wiederwahl besonders den Stimmen der Minderheiten verdankte.
Trump punktete besonders bei Wählern ohne College-Ausbildung. Insgesamt betrug sein Vorsprung auf Clinton in dieser Gruppe zwölf Prozentpunkte. Bei weißen Männern ohne höheren Bildungsabschluss schnitt er sogar um 31 Prozentpunkte besser ab, bei weißen Frauen ohne Abschluss waren es 27 Prozentpunkte.
Streng gläubige weiße Amerikaner haben Trump die Treue gehalten - trotz der sexuellen Missbrauchsvorwürfe, die gegen den Milliardär im Wahlkampf erhoben wurden. Etwa 76 Prozent der Evangelikalen gaben an, für Trump gestimmt zu haben.
Clinton tat sich in Ballungsräumen schwer, obwohl dort in der Regel viele Anhänger der Demokraten leben. Ihr Vorsprung auf Trump betrug dort gerade einmal sechs Prozentpunkte. In ländlichen Regionen schnitt Trump dagegen um 27 Prozentpunkte besser ab.
Auch Nix und sein Team veränderten die Werbung in Trump Wahlkampf inhaltlich. So erinnert Cambridge Analytica auf den ersten Blick an eine Werbeagentur. Großflächige bunte Bilder an den Wänden, zusammengeschobene Tische mit MacBooks, auf dem Konferenztisch eine Schale mit bunten Süßigkeiten. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar, dass sich Nix und sein Team oft im konservativen Milieu aufhalten. Im Konferenzraum steht eine deckenhohe Amerikaflagge. Besucher tragen Anzug mit Einstecktuch, der Chef der Agentur trägt Siegelring am kleinen Finger. Nix stammt eigentlich aus Großbritannien. Jahrelang war er Finanzanalyst. Doch 2003 wechselt er zu SCL, einer Datenanalyse-Firma. Gemeinsam mit SCL gründet er die Tochterfirma Cambridge Analytica. Seit sechs Jahren verkauft er seine Datenanalysen in Wahlkämpfen weltweit.
In Amerika arbeitete Nix zunächst für Ted Cruz. Dieser schied jedoch im Vorwahlkampf aus. Für viele ist das ein Beweis, dass Nix’ Methoden nicht funktionieren. Er selbst räumt ein, dass man selbst mit Big Data Analysen keinen derart unbeliebten Kandidaten zum Präsidenten machen könne.
Laut eigenen Angaben hat er bereits über 40 Kampagnen auf allen Kontinenten begleitet. Für wen genau seine 400 Mitarbeiter arbeiten, verrät er in der Regel nicht. Es sei denn, es wird zu einem solchen PR-Coup wie der Sieg von Trump. Denn im Herbst und der Auftrag, der Alexander Nix weltbekannt machen sollte: Donald Trump engagierte die Datenanalysten für den Wahlkampf-Endspurt. „Er ist ein Phänomen. Er weiß genau, was die Leute brauchen: Anti-Establishment. Er hat es geschafft, dass die Menschen nun anders mit Politik umgehen“, beschreibt Nix seinen Auftraggeber.
Am Morgen nach der Wahl gratuliert Nix dem gewählten Präsidenten. „Sein Sieg zeigt den großen Einfluss der Kombination aus Datenanalyse, Technologie und Kommunikation“, sagt er. Es klingt wie die Worte eines Präsidentenmachers. Doch dann fügt er an: Letztlich sei es auch der „Trump-Effekt“ gewesen, der genutzt wurde. Denn auch, wenn Nix von der Macht seiner Algorithmen überzeugt ist: Zur Wahl gehen letztlich Menschen, keine Maschinen.