Donald Trump ist nicht das Problem Das Problem ist eine falsche Konsens-Politik

Die etablierten Parteien vertreten identische Positionen – und ignorieren ihre Wähler. Vor allem Sozialdemokraten haben ihre Klientel zu Gunsten eines diffusen Narrativs der wirtschaftlichen Vernunft verraten. Figuren wie Trump sind die Konsequenz. Die Lösung? Eine Auseinandersetzung mit den Defiziten des Kapitalismus und politischer Wettbewerb.

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Trump-Unterstützer Quelle: AP

Wenige Stunden, nachdem der Sieg von Donald Trump bei den amerikanischen Präsidentenwahlen feststeht, spricht der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland und Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit Berliner Journalisten. Sigmar Gabriel, so viel darf man wohl unterstellen, ist mit einer unguten Mischung aus Entsetzen, Frust und Müdigkeit in das Gespräch gegangen. Und so liest sich auch, was er später aus dem Gespräch freigeben wird. „Trump ist auch eine Warnung an uns“, sagt Gabriel. Und weiter: „Trump ist der Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen“.

Es gehe um ein echtes Rollback in die alten schlechten Zeiten, in denen Frauen an den Herd oder ins Bett gehörten, Schwule in den Knast und Gewerkschaften höchstens an den Katzentisch. Und: „Wer das Maul nicht hält, wird öffentlich niedergemacht.“ Auf den ersten Blick reagiert Gabriel damit, wie man eben als westlicher Spitzenpolitiker reagiert, wenn mal wieder ein Außenseiter einen Wahlerfolg erzielt hat: Man signalisiert zunächst Verständnis für den demokratischen Prozess, die Enttäuschung der Wähler, die Warnung an sich selbst. Um im Folgenden auszuteilen: rückwärtsgewandt, rechts, populistisch.

Das aber erweist sich immer stärker als Verhängnis des so genannten etablierten Politikbetriebs, vor allem seines linken Flügels. Denn zwischen diesen Zeilen schwingt ein Lamento mit, das sich so zusammenfassen lässt: Der Wähler hat sich zwar für eine Position entschieden, die ist aber so unmöglich, dass sie sich ohnehin nicht umsetzen lässt. Deswegen ignoriert man sie am besten. Diese Taktik, das ist spätestens mit Trumps Wahlerfolg klar, wird das Phänomen der Anti-Establishment-Erfolge in westlichen Demokratien nicht eindämmen.

Das bedeutet gleichermaßen Verantwortung von Politikern und Gefahr für Politiker wie Sigmar Gabriel und seine sozialdemokratischen Kollegen in den westlichen Industriestaaten.

Um das nicht falsch zu verstehen: Es ist gut möglich, dass die Amerikaner mit Donald Trump einen psychopatischen Kandidaten ins Weiße Haus gewählt haben, und es ist sogar sehr sicher, dass er sich den Weg dorthin mit unerträglichen Einstellungen aus düsterster Vergangenheit geebnet hat. Trump aber ist nicht gefährlich, weil er möglicherweise völlig bekloppt ist und seltsame Ideen hat, Trump ist gefährlich, weil seine Wähler gute Gründe für ihre Entscheidung haben.

Der Großteil der Trump-Wähler hat mittlere Bildungsabschlüsse und erzielt mittlere bis leicht gehobene Einkommen. Und bei den so genannten Rechtspopulisten in fast allen westlichen Ländern ist es ähnlich: Auch der Front National, die FPÖ, die AfD oder die Lega Nord werden eben nicht in erster Linie von der Unterschicht getragen – sondern von der arbeitenden Mittelschicht.

Darum hat Trump gewonnen

Menschen, die Furcht haben, aus den oben genannten Gründen etwas zu verlieren; nicht solche, die schon verloren haben. Menschen, die in der Vergangenheit Sozialdemokraten oder Linke wählten und nun darunter leiden, dass diese fast überall in der westlichen Welt seit Mitte der 90er Jahre in die politische und vor allem wirtschaftspolitische Mitte gerückt sind.

Es ist fast eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Hillary Clinton nun gegen Donald Trump verlor  - leitete doch ihr Mann Bill zusammen mit Tony Blair und einem gewissen Gerhard Schröder Ende der 1990er Jahren diesen langen Marsch der westlichen Sozialdemokraten in den wirtschaftspolitischen Konsens ein, der sich nun als Falle entpuppt.

Der Irrsinn als letzte Alternative

Denn bei allen großen wirtschaftlichen Themen unserer Zeit – Globalisierung, Liberalisierung der Finanzmärkte, Digitalisierung, Steuer- und Sozialpolitik – überlappen sich die Positionen der traditionell konservativen und linken Parteien. Wenn der Inhalt dieses Konsenses aber Verlierer schafft, wenden die sich eben von den Konsensparteien ab und suchen Alternativen. Oder anders gesagt: Wenn der Wähler lauter Kandidaten der Vernunft zur Wahl hat, die seine Bedenken nicht aufnehmen, und einen Irren, der ihre Bedenken adressiert, werden sie den Irren wählen.

Trump ist so gesehen nicht Ausdruck des Wählerwillens sondern ein Kollateralschaden falsch verstandenen politischen Konsensstrebens der westlichen Linken.

Das ist die Grundlage des Phänomens, das mit der Wahl eines offensichtlich schwer vermittelbaren Kandidaten in das wohl mächtigste Amt der Welt nun seinen Höhepunkt fand. Aber nicht sein Ende. Denn der Aufstieg eher rechter, unkonventioneller Bewegungen folgt fast überall aus den genannten Gründen auf die Erosion traditioneller Sozialdemokraten und Linker.

Vatikan betet für Erleuchtung Trumps
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon „Nach einem hart umkämpften und oft spaltenden Wahlkampf lohnt es, daran zu erinnern und sich neu bewusst zu machen, dass die Einigkeit in Vielfalt in den Vereinigten Staaten eine der größten Stärken des Landes ist“, sagte Ban laut Mitteilung am Mittwoch in New York. „Ich rufe alle Amerikaner dazu auf, diesem Geist treu zu bleiben.“ Die Vereinten Nationen erwarteten von den USA, dass sie sich auch weiterhin an internationale Kooperationen halten und unter anderem den Kampf gegen den Klimawandel und die Stärkung der Menschenrechte vorantreiben. Ban bedankte sich auch bei der unterlegenen Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton. „Sie ist ein mächtiges Symbol für Gleichberechtigung von Frauen und ich habe keinen Zweifel, dass sie weiterhin zu unserer Arbeit weltweit beitragen wird.“ Quelle: REUTERS
Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto„Mexiko und die USA sind Freunde, Partner und Verbündete, die weiterhin zusammenarbeiten sollten für die Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung von Nordamerika“, schrieb Nieto am Mittwoch auf Twitter. „Ich vertraue darauf, dass Mexiko und die USA ihre Beziehungen in Kooperation und gegenseitigem Respekt weiter ausbauen.“ Quelle: REUTERS
Kanadas Premierminister Justin Trudeau Quelle: REUTERS
Chinas Präsident Xi Jinping Quelle: AP
Russlands Präsident Vladimir Putin Quelle: REUTERS
Bundespräsident Joachim Gauck Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU Quelle: REUTERS

Und dieser geht weiter: In Frankreich hat sich die PS nahezu komplett zerlegt, in Österreich und Deutschland liegen Sozialdemokraten bei Umfragen um die 20 Prozent, in Großbritannien schrumpft Labour ebenfalls, in Spanien schaffen es die Sozialdemokraten trotz eines offensichtlich korrupten Konservativen im Amt des Regierungschefs nicht, wenigstens stärkste Kraft zu werden und selbst in Italien ist die PD des einst strahlenden Regierungschefs Matteo Renzi im Abstiegskampf.

In all diesen Ländern freuen sich rechte Kräfte über steigende Zustimmungswerte. „Wir sind die neue Arbeiterpartei“, tönte Marine Le Pen nach den Regionalwahlen im Herbst des letzten Jahres, und zweifelsohne lag sie damit nicht ganz falsch. 43 Prozent der Arbeiter wählten bei den Regionalwahlen im Herbst 2015 die Rechtspopulisten. Auch in Österreich bildet die Arbeiterschaft mittlerweile die Kernklientel der FPÖ. Am Wahlsonntag erreichten die Freiheitlichen bei den Arbeitern rekordverdächtige 72 Prozent.

Joe Biden sah die Gefahr

Um das zu verstehen, lohnt es sich, in der Zeit etwas zurückzugehen. Etwa an den Beginn dieses Jahres. Da stand an einem Abend im Januar ausgerechnet der amerikanische Vize-Präsident, Joe Biden, ausgerechnet beim Weltwirtschafts-Eliten-Treffen in Davos an einem Pult und redete sich so richtig in Rage. Biden, das muss man wissen, wird unter seinen demokratischen Parteifreunden in Washington gerne als „Mittelschichts-Joe“ verspottet, weil er zu sehr auf den „kleinen Mann“ achte. An diesem Abend aber lief Mittelschichts-Joe zu großer Form auf. Biden forderte von der versammelten Elite, die „Aushöhlung der Mittelschicht“ zu bekämpfen.

„Wenn es der Mittelschicht gutgeht, geht es auch den Reichen gut – und die Armen haben eine Leiter nach oben.“ Die vierte industrielle Revolution, also die Digitalisierung aller Wertschöpfungsketten, habe aber das Potential, die Mittelschicht noch weiter zu bedrohen. Die Aufgabe der Politik sei es, darauf eine Antwort zu finden: Investitionen in Bildung und Ausbildung, bessere soziale Sicherungssysteme, die Modernisierung der Infrastruktur, gerechtere Steuersysteme – und einen besseren Zugang zu Kapital für Investitionen.

Denn, so Biden mahnend vor allem an seine Parteifreunde: „Ich glaube, dass die Grundfrage für die Politiker der Welt, für die Zivilgesellschaft, für die Wissenschaft, die Medien – für uns alle – die entscheidende Herausforderung unserer Zeit ist: Wie stellen wir den Menschen einen breiten Zugang zu einer Mittelschicht sicher, die im 21. Jahrhundert ausgehöhlt wird?“

Die Gründe des Frusts

Für die linken Parteien ist es eine bittere Erkenntnis: Ihre historische Zielgruppe fühlt sich als Verlierer der Verhältnisse, egal ob Sozialdemokraten regieren oder nicht. Sozialdemokratische Funktionäre mögen noch so oft erklären, dass der Ausstieg aus der Globalisierung kaum möglich sei und eine protektionistische Wirtschaftspolitik viele Arbeitsplätze kosten würde – die Realität vieler ihrer Wähler ist eine andere:

- Die Globalisierung war keine Öffnung der Grenzen für fairen Handel sondern ein Konjunkturprogramm für die Oberschicht.

- Die Digitalisierung ist keine Bewegung für eine bessere Welt sondern für eine Abkopplung der Elite.

- Der Entfesselung der Finanzmärkte war kein Geheimrezept für immerwährendes Wachstum sondern ein Instrument zur Entkopplung von Haftung und Risiko.

- Die Liberalisierung der Arbeitsmärkte hat nicht nur mehr Arbeitsplätze sondern für etwa die Hälfte der Bevölkerung mehr Unsicherheit gebracht.

- Die Wachstumsgewinne der jüngeren Vergangenheit haben vor allem noch mehr Wohlstand für Vermögende geschaffen und sind nicht in die unteren Vermögensschichten durchgesickert.

- Die Aufnahme eine Großzahl an Migranten ist eben nicht nur gelebte Nächstenliebe sondern auch verschärfter Wettbewerb um Ressourcen am unteren Ende der Wohlstandsskala.

Schon Ralf Dahrendorf mahnte in seinem Essay „Acht Anmerkungen zum Populismus“ davor, die Bezichtigung für den Beweis zu halten: „Der Populismus-Vorwurf kann selbst populistisch sein“, schrieb er. Nämlich dann, wenn er Gründe mit Rhetorik zu überdecken versucht.

Der französische PS-Abgeordnete Laurent Baumel schrieb dazu vor einiger Zeit schon erhellendes: „Die progressiven Kräfte Europas müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass der Erfolg der Populisten der politische Ausdruck einer enormen Verunsicherung der europäischen Gesellschaften ist. Diese Verunsicherung ist das Ergebnis von weitreichenden Veränderungen der Existenzbedingungen der Menschen und der Unzulänglichkeit der Antworten, die von der Politik bislang darauf gegeben werden.“ Überall beobachte man eine wachsende Kluft zwischen Gewinnern der Globalisierung und deren Verlierern.

Die erste Gruppe lebt in urbanen Räumen, verfügt über relativ stabile Arbeitsplätze und Zugang zu modernen Kommunikations- und Transportmitteln doch fürchtet sie zugleich, das Schicksal der zweiten Gruppe in Bälde zu teilen. Die zweite Gruppe ist von Arbeitslosigkeit bedroht oder geht einer schlecht bezahlten und prekären Beschäftigung nach. Sie gehört einfachen Milieus an oder zählt sich zur unteren Mittelschicht und fürchtet - für sich selbst wie für ihre Kinder - einen (weiteren) sozialen Abstieg.

Was er freilich nicht schrieb: Seine Partei stellt nun seit fast vier Jahren den Präsidenten und seit geraumer Zeit die Mehrheit im französischen Parlament. Eine Initiative, diese Gräben zu füllen, ist bisher allerdings nicht bekannt geworden.

Der Ausweg aus der Konsensfalle

Und dennoch gibt es aus dieser Konsensfalle Auswege: eine Debatte über Verteilungsfragen würde womöglich helfen. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen von Globalisierung und Digitalisierung – vor allem aber eine Ur-Tugend jeder politischen Kraft: die Lust zur klaren Positionierung. Wenn Parteien nicht nur unterschiedliche Köpfe sondern unterschiedliche Positionen anbieten, Politik wieder der Wettkampf um Ideen, nicht um Posten wird, wäre womöglich viel gewonnen.

Es ist deswegen an der Zeit, mit einem Mythos aufzuräumen, den man in westlichen Politiker-, Manager-, Wissenschaftler- und Medienkreisen gerne nährt: dass sich der Populismus unserer Zeit aus einer Lust am „Postfaktischen“ speist, dass die Wut der Menschen vor allem aus einem Erklärungsdefizit entstehe. Das alles ist womöglich in Teilen richtig, aber nicht die ganze Wahrheit. Die Wahl Trumps zeigt: Der Wähler verlangt bis weit in die Mittelschicht hinein vernünftige politische Alternativen, sonst wählt er den Wahnsinn.

Immerhin, nachdem Sigmar Gabriel seinen ersten Frust über die Trump-Wahl abgelassen hatte, sagt er noch etwas, was ein deutscher Sozialdemokrat im vergangenen Jahrzehnt kaum mehr gesagt hatte. „In Deutschland muss Schluss sein mit Merkels Forderung nach einer marktkonformen Demokratie.“ Es klang nicht wirklich durchdacht. Womöglich klang es auch ein wenig schief, vielleicht falsch. Aber es klang zumindest mal nach einer programmatischen Alternative. Vielleicht ein Anfang.

Donald Trumps erste Reden deuten Versöhnung statt Spaltung an – und zeigen, wie sehr er die Politik als Geschäftsmodell begreift.
von Miriam Meckel
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