Denn bei allen großen wirtschaftlichen Themen unserer Zeit – Globalisierung, Liberalisierung der Finanzmärkte, Digitalisierung, Steuer- und Sozialpolitik – überlappen sich die Positionen der traditionell konservativen und linken Parteien. Wenn der Inhalt dieses Konsenses aber Verlierer schafft, wenden die sich eben von den Konsensparteien ab und suchen Alternativen. Oder anders gesagt: Wenn der Wähler lauter Kandidaten der Vernunft zur Wahl hat, die seine Bedenken nicht aufnehmen, und einen Irren, der ihre Bedenken adressiert, werden sie den Irren wählen.
Trump ist so gesehen nicht Ausdruck des Wählerwillens sondern ein Kollateralschaden falsch verstandenen politischen Konsensstrebens der westlichen Linken.
Das ist die Grundlage des Phänomens, das mit der Wahl eines offensichtlich schwer vermittelbaren Kandidaten in das wohl mächtigste Amt der Welt nun seinen Höhepunkt fand. Aber nicht sein Ende. Denn der Aufstieg eher rechter, unkonventioneller Bewegungen folgt fast überall aus den genannten Gründen auf die Erosion traditioneller Sozialdemokraten und Linker.
Und dieser geht weiter: In Frankreich hat sich die PS nahezu komplett zerlegt, in Österreich und Deutschland liegen Sozialdemokraten bei Umfragen um die 20 Prozent, in Großbritannien schrumpft Labour ebenfalls, in Spanien schaffen es die Sozialdemokraten trotz eines offensichtlich korrupten Konservativen im Amt des Regierungschefs nicht, wenigstens stärkste Kraft zu werden und selbst in Italien ist die PD des einst strahlenden Regierungschefs Matteo Renzi im Abstiegskampf.
In all diesen Ländern freuen sich rechte Kräfte über steigende Zustimmungswerte. „Wir sind die neue Arbeiterpartei“, tönte Marine Le Pen nach den Regionalwahlen im Herbst des letzten Jahres, und zweifelsohne lag sie damit nicht ganz falsch. 43 Prozent der Arbeiter wählten bei den Regionalwahlen im Herbst 2015 die Rechtspopulisten. Auch in Österreich bildet die Arbeiterschaft mittlerweile die Kernklientel der FPÖ. Am Wahlsonntag erreichten die Freiheitlichen bei den Arbeitern rekordverdächtige 72 Prozent.
Joe Biden sah die Gefahr
Um das zu verstehen, lohnt es sich, in der Zeit etwas zurückzugehen. Etwa an den Beginn dieses Jahres. Da stand an einem Abend im Januar ausgerechnet der amerikanische Vize-Präsident, Joe Biden, ausgerechnet beim Weltwirtschafts-Eliten-Treffen in Davos an einem Pult und redete sich so richtig in Rage. Biden, das muss man wissen, wird unter seinen demokratischen Parteifreunden in Washington gerne als „Mittelschichts-Joe“ verspottet, weil er zu sehr auf den „kleinen Mann“ achte. An diesem Abend aber lief Mittelschichts-Joe zu großer Form auf. Biden forderte von der versammelten Elite, die „Aushöhlung der Mittelschicht“ zu bekämpfen.
„Wenn es der Mittelschicht gutgeht, geht es auch den Reichen gut – und die Armen haben eine Leiter nach oben.“ Die vierte industrielle Revolution, also die Digitalisierung aller Wertschöpfungsketten, habe aber das Potential, die Mittelschicht noch weiter zu bedrohen. Die Aufgabe der Politik sei es, darauf eine Antwort zu finden: Investitionen in Bildung und Ausbildung, bessere soziale Sicherungssysteme, die Modernisierung der Infrastruktur, gerechtere Steuersysteme – und einen besseren Zugang zu Kapital für Investitionen.
Denn, so Biden mahnend vor allem an seine Parteifreunde: „Ich glaube, dass die Grundfrage für die Politiker der Welt, für die Zivilgesellschaft, für die Wissenschaft, die Medien – für uns alle – die entscheidende Herausforderung unserer Zeit ist: Wie stellen wir den Menschen einen breiten Zugang zu einer Mittelschicht sicher, die im 21. Jahrhundert ausgehöhlt wird?“