Lesestoff Wie Amerika für Trump reif wurde

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Materielle und mentale Selbstverarmung

Und so fächert Packer Kapitel für Kapitel auf, warum die USA auf die schiefe Bahn gerieten und das Vertrauen ihrer Bürger verloren. Die astronomischen Managergehälter und die Ausweitung des Niedriglohnsektors etwa sind für ihn keine unveränderlichen Begleiterscheinungen des technischen Fortschritts und globalen Wettbewerbs, keine anonymen, zwangsläufigen Folgen von Produktivitätssteigerungen und international konkurrierenden Arbeitsmärkten. Sondern die Folge von höchst willentlich durchgesetzten Partikularinteressen (des Washington-Wall-Street-Komplexes) – und eines Elitendiskurses, der zu allem Überfluss auch noch so zynisch oder dumm war, gegen soziale Zerfallserscheinungen das Mentalitätsregime des empowerment in Stellung zu bringen.

Anders gesagt: „Der amerikanische Traum“ ist in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht von Zuwanderern, Antriebsarmen und Leistungsunwilligen zerstört worden, sondern von denen, die sich zur Durchsetzung ihrer macht- und geldkonzentrierenden Ziele besonders gern und lautstark auf ihn berufen haben. Niedrigsteuern für Reiche haben das gesellschaftliche Band zerrissen. Die Zurüstung eines Heeres von Geringverdienern hat der Arbeit ihren Wert geraubt – und den Arbeitern ihre Würde. Und die verlogene, daher von Republikanern und Tea-Party-Ideologen rhetorisch immer schärfer gestellte Doppelideologie des antisozialistischen Staatshasses und einer segensreichen trickle-down-economy haben die Grundlagen und die Institutionen einer funktionalen Markt-Wirtschaft zerstört.

Die Ertüchtigungsrhetorik des „amerikanischen Traumes“ aber ist im Schatten dieser Entwicklungen nicht nur zu einer erbärmlichen Regierungstechnik verarmt, sondern auch zur verinnerlichten Zwangsvorstellung der Verlierer: „Sie verachten ihre eigene Abhängigkeit“, schreibt George Packer. Im land of opportunity würden nicht Investmentbanker und Walmart-Milliardäre dafür verachtet, reich zu sein. Vielmehr würden die Armen beschuldigt, arm zu sein. Auch dagegen, so darf man schlussfolgern, sind die Amerikaner am Dienstag aufgestanden.

Kurzum: Der Trump-Triumph ist das bedrückende Ergebnis und (vorläufige) Ende einer materiellen und mentalen Selbstverarmung. Packer exemplifiziert sie an Sam Walton, dem 1992 verstorbenen Gründer und Leiter der Supermarktkette Walmart, dessen Erfolgsformel lautete: „Buy low, sell cheap, high volume, fast turn.“ Treffender lässt sich vielleicht nicht ausdrücken, was die Vereinigten Staaten in den vergangenen 35 Jahren erlebt haben: die Totalisierung einer lukrativen Geschäfts- zur billigen Gesellschaftsphilosophie. „Über die Jahre ist Amerika immer mehr wie Walmart geworden“, schreibt Packer: „Es ist billig geworden. Die Preise sanken, die Löhne auch. Die kleinen Städte wurden ärmer, und die Menschen mussten bei Walmart einkaufen – und vielleicht auch dort arbeiten.“

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