Regierungschefs teilen ungern das Rampenlicht, das stimmt für Kanzlerin Angela Merkel, erst recht aber für US-Präsident Barack Obama. Deswegen ist der Text, den der scheidende Obama und die weiter amtierende deutsche Kanzlerin in der Freitag erscheinenden Ausgabe der WirtschaftsWoche exklusiv gemeinsam veröffentlichen, ein klares Signal.
Dass beide zusammen zur Feder greifen, um die globalisierte Welt zu deuten, die der designierte Obama-Nachfolger Donald Trump so durcheinander gewirbelt hat, ist ein letzter Ritterschlag aus Washington für Merkel, ein Hilfsangebot für ihr Ringen mit (und vielleicht gegen) Trump.
„Eine Rückkehr in eine Welt vor der Globalisierung wird es nicht geben“, schreiben Obama und Merkel. „Deutsche und Amerikaner müssen die Möglichkeit ergreifen, die Globalisierung nach unseren Werten und Vorstellungen zu gestalten. Wir sind unseren Unternehmen und unseren Bürgern – ja der gesamten Weltgemeinschaft – verpflichtet, unsere Zusammenarbeit zu verbreitern und zu vertiefen.“
Und diese gemeinsamen Zielen, auch das eine klare Botschaft des Duos an Trump, erreiche man nur in Anknüpfung an die bisher schon vereinbarten Themen. Dazu zählt das Duo Freihandel, gemeinsam Werte aber auch den Klimaschutz, den Trump offenbar aufkündigen will: „Die Partnerschaft zwischen den USA und Deutschland hat außerdem eine zentrale Rolle dabei gespielt, das Pariser Klimaschutzabkommen zu erreichen. Es gibt der Welt den Rahmen für den gemeinsamen Schutz unseres Planeten“, schreiben Obama und Merkel.
Das ist eine Art transatlantische Regierungserklärung, aber auch eine Kampfansage an jene Welt, die Trump im Wahlkampf entworfen hat – in der Grenzen im Zweifel zu- statt aufgehen sollen, in dem Freihandel schlecht ist und „America First“ gut, in dem im Zweifel Egoismus die neue Leitwährung der Weltwirtschaft ist. Dagegen stellen die beiden ein Manifest der globalen Marktwirtschaft nach menschlichem Antlitz.
Darum hat Trump gewonnen
Clinton schnitt trotz Trumps frauenfeindlicher Äußerungen in der Wählergruppe deutlich schwächer ab als im Vorfeld erwartet. Zwar erhielt sie von Frauen zwischen 18 und 34 Jahren deutlich mehr Unterstützung als Trump, insgesamt aber betrug ihr Vorsprung bei Frauen mit 49 Prozent nur zwei Prozentpunkte. Zum Vergleich: Der scheidende Präsident Barack Obama schnitt 2012 bei Frauen sieben Prozentpunkte besser ab als sein damaliger Herausforderer.
Clinton kam Umfragen zufolge deutlich besser bei Amerikanern mit spanischen Wurzeln, Afroamerikanern, und Amerikanern mit asiatischen Wurzeln an. Allerdings erhielt sie nicht so viel Rückhalt wie Obama vor vier Jahren, der seine Wiederwahl besonders den Stimmen der Minderheiten verdankte.
Trump punktete besonders bei Wählern ohne College-Ausbildung. Insgesamt betrug sein Vorsprung auf Clinton in dieser Gruppe zwölf Prozentpunkte. Bei weißen Männern ohne höheren Bildungsabschluss schnitt er sogar um 31 Prozentpunkte besser ab, bei weißen Frauen ohne Abschluss waren es 27 Prozentpunkte.
Streng gläubige weiße Amerikaner haben Trump die Treue gehalten - trotz der sexuellen Missbrauchsvorwürfe, die gegen den Milliardär im Wahlkampf erhoben wurden. Etwa 76 Prozent der Evangelikalen gaben an, für Trump gestimmt zu haben.
Clinton tat sich in Ballungsräumen schwer, obwohl dort in der Regel viele Anhänger der Demokraten leben. Ihr Vorsprung auf Trump betrug dort gerade einmal sechs Prozentpunkte. In ländlichen Regionen schnitt Trump dagegen um 27 Prozentpunkte besser ab.
„Wir sind stärker, wenn wir zusammenarbeiten“, schreiben Obama und Merkel. „Jetzt, da die Weltwirtschaft sich schneller denn je entwickelt und die globalen Herausforderungen so groß wie nie sind, ist diese Zusammenarbeit wichtiger als jemals zuvor.“
Merkel ist für die Amerikaner die ideale Co-Autorin, denn spätestens mit der Wahl von Trump aus amerikanischer Sicht endgültig zur Miss World avanciert. Die New York Times ernannte Merkel zur einzigen verbliebenen Verteidigerin der liberalen westlichen Welt. Deren konditionierte Gratulation an Trump, sie werde mit ihm arbeiten, wenn er etwa akzeptiere, dass Würde nicht von Geschlecht oder Religion abhänge, sorgte in den USA für Aufsehen. Endlich spreche mal jemand aus, so der Tenor, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auch im Trump Tower Hausordnung sein soll.
Gewiss ist in der Ära Trump nur eins: Ungewissheit
Gleichzeitig ist der gemeinsame Auftritt innenpolitisch das bislang deutlichste Zeichen, dass die Kanzlerin - über deren Willen zur vierten Kandidatur so viele rätseln - es noch einmal wissen will. Wer mit dem Präsidenten derart die Welt vermisst, der will auch weiter die Läufe der Welt bestimmen. Merkel dürfte ihre neuerliche Bewerbung fürs Kanzleramt sehr bald offiziell machen.
Dass zwischen ihr und Obama so eine Symbiose entstehen würde, war keineswegs abzusehen. Merkel, die sich Charisma im Amt erkämpfen musste, beobachtete den Aufstieg des charismatischen US-Naturtalents wie die Physikerin, die sie ist – als spannende Versuchsanordnung. Doch bald musste sie feststellen, dass Obama vor Hunderttausenden Zuhörern liebenswert wirkt, im kleinen Kreis aber oft kühler noch als Analytikerin Merkel. An Europa zeigte er lange kein gesteigertes Interesse, und dann kamen die Mühen der Ebene hinzu, der NSA-Skandal, Libyen, das Gewürge um TTIP.
Aber Merkel hat fast ihre gesamte Amtszeit mit diesem einen US-Präsidenten verbracht, darunter die schlimmen Nachwehen der Weltfinanzkrise, das verbindet. Und Obama begann Merkels Unaufgeregtheit so zu schätzen, dass er sie gar mit der US-Freiheitsmedaille behängte, der höchsten amerikanischen Ehre. Auf Arbeitsebene funktioniert das Verhältnis besser als je zuvor.
Vor allem aber muss Merkel, die im Amt verbleibt, nach Trumps Sieg die Frage nach dem „Und jetzt?“ ganz anders umtreiben als unter einer möglichen Nachfolgerin Hillary Clinton. Denn gewiss ist in der Ära Trump nur eins: Ungewissheit. „Es geht ja nicht darum, unser Netzwerk neu zu stricken“, sagt ein hoher Berliner Beamter. „Es geht darum, dass von seinen Leuten keiner in einem unserer Netzwerke ist.“ Constanze Stelzenmüller von der Brookings Institution in Washington erwartet „einen Kulturschock“. Der war schon im Wahlkampf zu spüren, als Trump Merkel Versagen in der Flüchtlingspolitik vorwarf und von Massenvergewaltigungen durch Flüchtlinge auf deutschen Straßen fabulierte. „In Trumps Lager herrscht Freund-Feind-Denken vor“, sagt Expertin Stelzenmüller.
In dieser neuen Welt des starken Mannes sind starke Nerven gefragt. Denkbar ist etwa, dass Trump, der Außenpolitik vor allem als Interessenpoker versteht, Russland gegen Europa genauso auszuspielen versucht wie Großbritannien gegen den Rest des Kontinents. Und Grenzen nicht nur daheim, sondern überall eher dicht machen will, aus Angst vor den Begleiterscheinungen der Globalisierung. Auch dagegen stemmen sich Obama und Merkel in ihrem gemeinsamen Text. „Aus der gemeinsamen Überzeugung, dass Handel und Investitionen Lebensstandards anheben, setzen wir uns für das wichtige Projekt der Gründung einer Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) ein“, schreiben beide.
Obama, 55, ist bald politischer Rentner, vielleicht wird er eine Stiftung aufbauen. So weit ist Angela Merkel, 62, noch (lange) nicht. Sie muss jeden Tag raus in die Trump-Welt. Aber vorher bekommt sie noch a little help from her friend, Barack.
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Außerdem in der neuen WirtschaftsWoche:
Trumponomics: Die Folgen der neuen Wirtschaftspolitik für Märkte, Kurse und Preise
Protektionismus: Warum Trump seine Pläne auch gegen politische Widerstände durchsetzen kann
Demoskopie: Interview mit dem einzigen Meinungsforscher, der den Wahlsieg Trumps vorhersagte
Deutsche Bank: Die Geschäftsbeziehungen zu Trump