Die gute Nachricht zuerst: Beide leben noch. Das ist eine wichtige Feststellung, schließlich konnten einen durchaus Zweifel überkommen, ob Hillary Diane Rodham Clinton und Donald John Trump die Bühne in New York lebend verlassen würden. Angekündigt war von Amerikas Medien für den Montagabend schließlich ein Showdown von einer Brisanz, als habe jeder der Bewerber vorab bereits die Passwörter für das US-Atomwaffenarsenal erhalten.
Zweite gute Nachricht, zumindest für die Kandidaten: ihre Hoffnungen auf den Einzug in das Weiße Haus leben ebenfalls beide noch. Relativ einhelliger Tenor der US-Experten nach den 90 Minuten vom Dienstagabend war, dass die Hoffnungen von Clinton ein wenig mehr leben. Der Demokratin sei es gelungen, Trump in die Falle zu locken, urteilte etwa die einflussreiche Fachseite Politico – indem sie nicht allein durch Details und Vorbereitung überzeugt habe, sondern auch mit Haltung, gelegentlich gar mit Witz.
Tatsächlich gelang es Clinton, ihren lautstarken Rivalen vor allem am Ende der Debatte so in die Seile zu drängen, dass Trump sich etwa minutenlang rechtfertigen musste, warum er eine TV-Moderatorin einst ein fettes Schwein genannt hatte.
Also könnte das lang erwartete erste TV-Duell vor allem als eine verpasste Groß-Gelegenheit für Trump in die Geschichte eingehen. Die Erwartungen an den Baumogul waren so gering, wie die Bühne in New York - fast 100 Millionen Amerikaner schalteten wohl ein - riesig war. Seiner Bewerbung wäre wohl viel Rückendeckung sicher gewesen, hätte er auch nur ein Unentschieden gegen Clinton erreicht.
Trump gelang kein großer Punch
Doch das sahen viele Zuschauer offenbar anders, wie die "New York Times" den erfahrenen republikanischen Meinungsforscher Frank Luntz feststellen ließ. Luntz versammelte eine kleine Gruppe unentschiedener Wähler, von denen immerhin rund 70 Prozent Clinton vorne sahen. Ähnliches war aus einer CNN-Umfrage direkt nach der Debatte abzulesen, laut der Clinton bei 62 Prozent der Befragten vorne lag, Trump nur bei 27 Prozent.
Protokoll einer Achterbahnfahrt - Der Wahlkampf in den USA
Trump findet, der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Vietnam-Veteran John McCain sei kein Kriegsheld. „Trump ist nach Beleidigung erledigt“, titelt die „New York Post“ daraufhin.
Bernie Sanders, der für die Demokraten kandidieren will, nimmt seine Konkurrentin Clinton bei einer TV-Debatte in Schutz: „Das amerikanische Volk hat die Diskussion über ihre verdammten Emails satt.“
Clinton muss elf Stunden lang in einem Ausschuss Fragen zum Anschlag von Bengasi beantworten.
Nach einem Terrorangriff in San Bernardino fordert Trump ein komplettes Einreiseverbot für Muslime.
Beim Auftakt der Vorwahlen in Iowa gewinnt bei den Republikanern der texanische Senator Ted Cruz, Trump kommt nur auf den zweiten Platz. Clinton siegt sehr knapp vor Sanders.
Trump sagt, er wolle noch viel schlimmere Verhörmethoden als Waterboarding einsetzen.
Papst Franziskus sagt, Trump verhalte sich unchristlich. Trump sagt, Franziskus sei von Mexikos Regierung irregeleitet worden.
Trump und Clinton gehen als klare Sieger aus dem „Super Tuesday“ mit Vorwahlen in mehreren Bundesstaaten hervor.
Trump siegt in weiteren Staaten. Einige Republikaner reden über eine Kampfabstimmung auf dem Parteitag. Clinton gewinnt auch, hat aber weiter Probleme. Es ist Halbzeit.
Trump sagt, er wolle weniger für die Nato zahlen. Wenige Tage später meint, er es wäre für Japan oder Südkorea besser, wenn sie Atomwaffen besäßen. Dann sagt Trump, Frauen müssten für Abtreibungen bestraft werden.
Trump gewinnt die Vorwahl in Indiana. Cruz und Kasich steigen aus dem Rennen aus. Clinton verliert gegen Sanders.
Trump hat genügend Delegierte für die Präsidentschaftskandidatur zusammen.
Clinton erreicht die notwendige Zahl an Delegierten.
Am Tag nach dem Brexit-Schock preist Trump in Schottland den Ausgang des Referendums.
Das FBI empfiehlt, in der E-Mail-Affäre keine Anklage gegen Clinton zu erheben.
Sanders erklärt seine Unterstützung für Clinton.
Trump macht den Gouverneur Mike Pence zu seinem Vizepräsidentenkandidaten.
Trump ist offiziell Präsidentschaftskandidat.
Clinton macht den ehemaligen Gouverneur Tim Kaine zu ihrem Vizepräsidentenkandidaten.
Wikileaks veröffentlicht gehackte E-Mails der Demokraten. Einen Tag später tritt die Parteivorsitzende Debbie Wasserman Schultz zurück.
Clinton ist offiziell Präsidentschaftskandidatin.
Clinton verlässt eine Gedenkfeier frühzeitig. Sie hat eine Lungenentzündung und muss pausieren.
Trump erkennt erstmals an, dass Präsident Barack Obama in den USA geboren wurde - behauptet aber, Clintons Seite habe die Zweifel daran in die Welt gesetzt.
Und noch eins gelang dem Maulhelden Trump nicht: der große Punch, jener eine kesse Spruch, der am nächsten Morgen überall präsent gewesen wäre. Davor hatten Clintons Leute gezittert, die sich natürlich daran erinnerten, wie ein anderer großer Polit-Entertainer - Ronald Reagan – einst eine Wahl schon dadurch gewann, dass er Zweifel an seinem fortgeschrittenen Alter mit dem trockenen Spruch auslöschte, er wolle die Jugend und Unerfahrenheit seines Rivalen nicht zum Thema machen.
Die Umfragen legen also nahe, dass Clinton in den nächsten Tagen zulegen wird. Die Energie, die sie während der Diskussion zeigte, könnte ihr auch helfen, ihr wichtigstes Problem zu lösen: sie muss ja gar nicht in erster Linie Trump-Wähler zurück gewinnen, sondern erst einmal ihre eigenen Anhänger mobilisieren - jene Obama-Koalition aus jungen Frauen, aus Afro-Amerikanern, auch aus Latinos.
Viele von denen zeigten sich, trotz massiver Wahlkampfhilfe durch Präsident Barack Obama, bislang wenig begeistert von der Kandidatin Clinton, die für sie einen Teil der alten Elite verkörperte. Ihr energischer Auftritt könnte sie neu mobilisieren.
Ist Trump noch zu stoppen?
Und doch wirkt der Jubel im demokratischen Lager erstaunlich verhalten. Das führt zu der Eingangsfrage, ob es noch Hoffnung gibt für die normalen, vorhersehbaren Wahlkampfprozesse in den USA. Oder auch, ob Trump endgültig das Kunststück gelungen ist, dass Menschen Fakten zunehmend egal sind.
Vielleicht kann niemand das besser beurteilen als Entertainment-Stars. "Kurze Erinnerung", schrieb etwa die Bloggerin und Komödiantin Ashley Hesseltine: "Ihr denkt alle, Hillary hat es voll gebracht. Aber die idiotische Mehrheit in diesem Land denkt definitiv, der Donald habe sie kaltgemacht."
TV-Duelle in US-Präsidentschaftswahlkämpfen
Demokrat John F. Kennedy gegen Republikaner Richard Nixon - die erste Präsidentschaftsdebatte, die live im Fernsehen übertragen wurde. Kennedy bestach durch Charme und ein sonnengebräuntes Äußeres. Nixon, der zuvor im Krankenhaus lag, wirkte dagegen unrasiert und so unsympathisch, dass er seine Chancen verspielte. Kennedy konnte die Wähler für sich gewinnen. Bis 1976 wagte sich kein Kandidat mehr an ein öffentliches Duell.
Folgenreiches TV-Duell zwischen dem Demokraten Jimmy Carter und dem amtierenden Präsidenten Gerald Ford. Nach einer erfolgreichen ersten Debatte brachte sich Ford in eine unglücklich Lage. Er behauptete mitten in Zeiten des Kalten Krieges: „Es gibt keine Dominanz der Sowjetunion in Osteuropa, und unter einer Regierung Ford wird es auch keine geben.“ Ford verlor die Wahl.
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Jimmy Carter und dem Republikaner Ronald Reagan. Reagan, als erfahrener Schauspieler um einiges besser vor den Kameras, überzeugte die Zuschauer mit Witz und Charisma. Mit der Frage: „Geht es ihnen besser als vor vier Jahren?“, traf er vor allem mit Blick auf die Wirtschaftslage einen Nerv.
Präsident Reagan sticht wortgewandt den Demokraten Walter Mondale aus. Der damals 73-Jährige, im Duell auf sein hohes Alter angesprochen, sagt: „Ich werde Altersfragen in dieser Kampagne nicht thematisieren. Ich werde die Jugend und Unerfahrenheit meines Opponenten nicht politisch ausschlachten.“ Reagan wurde wiedergewählt. Rund 67 Millionen Zuschauer verfolgten das Duell.
Verhängnisvoll war eine Aussage des demokratischen Gouverneurs Michael Dukakis. Er sprach sich im TV-Duell gegen die Todesstrafe aus, selbst wenn seine Frau Opfer eines Gewaltverbrechens würde. Er verlor gegen den Republikaner George H. W. Bush.
Erstmals war neben George H. W. Bush und dem Demokraten Bill Clinton auch ein dritter Kandidat dabei, Ross Perot. Präsident Bush wurde für seinen Auftritt kritisiert, da er ständig auf die Uhr schaute, während die anderen Kandidaten sprachen.
Zwischen dem amtierenden Präsidenten Clinton und dem ehemaligen Senator aus Kansas, dem Republikaner Bob Dole, gab es zwei TV-Debatten. Clinton überzeugte in der Debatte souverän und behauptete sich als Präsident.
Der demokratische Vizepräsident Al Gore konnte in den Debatten die Zuschauer nur wenig überzeugen. Er schüttelte den Kopf oder stöhnte hörbar auf, wenn George W. Bush zu Wort kam. Einige Medien kritisierten Gore als selbstgefällig.
Für John Kerry wurde das TV-Duell zum Verhängnis. Das Thema Irak förderte bei Kerry größere Wissenslücken zu Tage. George W. Bush entschied die Wahl erneut für sich.
Zwischen dem Republikaner John McCain und dem Demokraten Barack Obama gab es drei TV-Debatten. Obama wirkte souverän und kompetent.
Präsident Barack Obama und der frühere Gouverneur aus Massachusetts, Mitt Romney, standen sich in drei hitzigen Debatten gegenüber. Mitt Romney zeigte jedoch Lücken, etwa seine Unkenntnis über die geografische Lage von Syrien, Irak und Iran. Obama präsentierte sich selbstbewusst.
Wie sehr Trump davon selbst überzeugt wirkt, zeigte sein Debattenauftritt - als er zum Beispiel auf Clintons Frage, ob er sie für alles Übel in der Welt verantwortlich machen wolle, schlicht antwortete: Warum nicht? Und gleich nach der Debatte twitterte Trump zur für ihn negativen CNN-Umfrage einfach, CNN gucke er sowieso nicht.
Trumps Ausfälle haben ihm meist genützt
Davon mal abgesehen: die Technik sei gegen ihn gewesen, das Mikro habe nicht richtig funktioniert. Wer will Clinton verdenken, dass sie Trump bescheinigte, "in seiner eigenen Welt zu leben".
So prägt eine seltsame Unsicherheit, eine postfaktische Ungewissheit, selbst die Einschätzung jener US-Experten, die es sich zum Beruf gemacht haben, Gewissheiten zu verkünden. Schließlich haben auch vorher Ausfälle Trumps, die in normalen Wahlkämpfen Kandidaten beerdigt hätten, ihm eher genützt. Und Trump kann durchaus auf Lichtblicke in der Debatte zurück blicken, etwa wenn es um die vermeintlich schlechten Seiten von Freihandelsabkommen ging.
Selbst Nate Silver, jener legendäre Meinungsforscher, der Obama-Wahlsiege punktegenau vorhersagen konnte, ist sich seiner Sache offenbar nicht mehr sicher. In den Vorwahlen ist Silver oft genug am Phänomen Trump verzweifelt, das sich in Zahlen so schwer messen ließ.
Also schrieb Silver am Montagabend seltsam unentschlossen: "Gute Nachricht für die Demokraten: Wirklich schwer zu sehen, wie diese Debatte Trump geholfen haben kann. Schlechte Nachricht: wenn sie irgendwie Trump geholfen hat – ist er dann vielleicht nicht mehr zu stoppen?"