Lorin Sodell ist Unternehmer, er will Geschäfte machen, keine Politik. Also lässt er sich keinen Satz zu den US-Präsidentschaftskandidaten entlocken. Gerade über Donald Trump will Sodell nicht reden. Aber dann führt der Geschäftsführer einer Rolls-Royce-Produktionsstätte im US-Bundesstaat Virginia durch seine klinisch sauberen Hallen – und sagt im Vorübergehen eigentlich alles über Trumps Maxime, made in America sei das einzige Rezept für die wirtschaftliche Wiedergeburt der Vereinigten Staaten. „Die Zeiten sind vorbei, in denen wir ein Produkt an ein- und demselben Ort herstellen“, so Sodell.
Rolls-Royce stellt hier Turbinen für Passagierflugzeuge her. Das Rohmaterial und die Maschinen kommen aus Asien. Mit Software von Siemens in Deutschland werden die fertigen Produkte ausgemessen und der Qualitätsprüfung unterzogen. Und das Aggregat kauft oft der europäische Konzern Airbus. Weltumspannend und weltoffen sind Sodells Produktionsstätten – und müssen es sein, denn sein Geschäftsmodell basiert auf einem historischen Prozess und wirtschaftspolitischen Kern: auf der Globalisierung.
Clinton und Trump sind gegen Globalisierung
Von made in USA in Reinkultur zu träumen sei „nicht mehr zeitgemäß“, sagt Sodell, „die Übergänge sind doch längst fließend“. In einer globalisierten Welt gäbe es zunehmend „internationale Produkte“. Und so gefällt es dem Manager gar nicht, dazu lässt sich Sodell dann schließlich doch hinreißen, welche Tonlage derzeit den Wahlkampf in den USA bestimmt: Abschottung statt offener Grenzen. „Freie Märkte“, sagt Sodell, „sind für uns essenziell.“
Aber sehen das auch genügend Amerikaner noch so? Diese Frage könnte weit brisanter und folgenreicher sein als all der aktuelle US-Wahlkampfkrawall, der um Steuererklärungen und Spendenbetrug kreist. Die Demokratin Hillary Clinton und den Republikaner Trump trennt nämlich vieles, aber sie eint auch eines: Skepsis gegenüber der Globalisierung.
Trumps wirtschaftspolitische Pläne
Trump will für mehr Wachstum in der US-Wirtschaft sorgen. „Bessere Jobs und höhere Löhne“, lautet eines seiner Kernziele. Der Immobilien-Unternehmer will die Staatsschuldenlast der USA von fast 19 Billionen Dollar abbauen. Er bezeichnet die Schuldenlast als unfair gegenüber der jungen Generation und verspricht: „Wir werden Euch nicht damit alleine lassen“. Defiziten im Staatshaushalt will er ein Ende bereiten.
Trump hat umfangreiche Steuersenkungen sowohl für die Konzerne als auch für Familien und Normalverdiener angekündigt. Er spricht von der größten „Steuer-Revolution“ seit der Reform von Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren. Wer weniger als 25.000 Dollar im Jahr verdient, soll dank eines Freibetrages künftig gar keine Einkommensteuer mehr zahlen. Den Höchstsatz in der Einkommensteuer will er von momentan 39,6 Prozent auf 33 Prozent kappen. Ursprünglich hatte er eine Absenkung auf 25 Prozent in Aussicht gestellt. Die steuerliche Belastung für Unternehmen will Trump auf 15 Prozent von bislang 35 Prozent vermindern. Das soll US-Firmen im internationalen Wettbewerb stärken. Firmen, die profitable Aktivitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückholen, sollen darauf eine Steuerermäßigung erhalten. Die Erbschaftsteuer will der Republikaner ganz abschaffen. Eltern sollen in größerem Umfang Kinderbetreuungs-Ausgaben steuerlich absetzen können.
Trump verspricht, der „größte Job-produzierende Präsident“ der USA zu werden, „den Gott jemals geschaffen hat“. Bereits als Unternehmer habe er Zehntausende neue Stellen geschaffen.
Um amerikanische Arbeitsplätze zu sichern, will Trump die Zölle auf im Ausland hergestellte Produkte anheben und die US-Wirtschaft insgesamt stärker gegen Konkurrenz aus dem Ausland schützen. China, aber auch Mexiko, Japan, Vietnam und Indien wirft Trump beispielsweise vor, die Amerikaner „auszubeuten“, indem sie ihre Währungen zum Schaden von US-Exporten abwerten und manipulieren.
Das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) lehnt Trump ab. Für ihn schadet ein freierer Zugang der Europäer zum US-Markt – vor allem zum staatlichen Beschaffungsmarkt – den amerikanischen Firmen. Das geltende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will er neu verhandeln, die TPP-Handelsvereinbarung mit asiatischen Staaten aufkündigen. Trump setzt generell anstatt auf multilaterale Handelsabkommen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation, auf bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen.
Die Handelsbeziehungen zu China, der nach den USA zweitgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, will Trump grundlegend überarbeiten. Er wirft der Volksrepublik vor, ihre Währung künstlich zu drücken, um im Handel Vorteile zu erlangen. Er will das Land daher in Verhandlungen zwingen, damit Schluss zu machen. Auch „illegale“ Exportsubventionen soll die Volksrepublik nicht mehr zahlen dürfen. Verstöße gegen internationale Standards in China sollen der Vergangenheit angehören. Mit all diesen Maßnahmen hofft er, Millionen von Arbeitsplätzen in der US-Industrie zurückzugewinnen.
In der Energie- und Klimapolitik hat Trump eine Kehrtwende angekündigt. Er will die USA von den ehrgeizigen Klimaschutzvereinbarungen von Paris abkoppeln, die Umwelt- und Emissionsvorschriften lockern und eine Rückbesinnung auf fossile Energieträger einläuten: „Wir werden die Kohle retten.“ Die umstrittene Fracking-Energiegewinnung sieht Trump positiv.
Trump verspricht der Wirtschaft eine umfassende Vereinfachung bei den staatlichen Vorschriften. Er werde ein Moratorium für jede weitere Regulierung durch die Behörden verhängen, kündigte er an. Trump will Milliarden in die Hand nehmen, um Straßen, Brücken, Flughäfen und Häfen zu bauen und zu modernisieren. Finanzieren will er das unter anderem dadurch, dass die US-Verbündeten einen größeren Teil an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung in der Welt übernehmen sollen.
Trump artikuliert sie lauter. Er wettert gegen Länder wie Mexiko und China, die den USA Arbeitsplätze „geklaut“ hätten, und will einen Zaun gegen Migranten bauen. Freihandel würde sein Land „killen“, schimpft der Republikaner auch gerne. Er will Amerika stark machen, indem er die Welt kleiner macht. Das heißt: Freihandelsverträge neu verhandeln oder gar aufkündigen, Importzölle hochschrauben, womöglich empfindliche Milliardenstrafen gegen ausländische Konzerne für echte oder auch vermeintliche Regelverstöße verhängen.
Der "angry white man" ist Trumps Freund
Bei Millionen Amerikanern, die ihre Jobs verloren haben oder seit Jahren auf Lohnerhöhungen warten, kommen diese Parolen an. In Ohio, einem der besonders umkämpften Bundesstaaten, führt Trump in Umfragen, in ehemaligen Industriehochburgen wie Pennsylvania oder Michigan rückt er seiner Konkurrentin Clinton bedrohlich nah. Der „angry white man“, der frustrierte weiße Arbeiter, ist Trumps Freund. Dessen Zorn ist sein politischer Kraftstoff.
Amerikaner sind vom Wahlkampf gestresst
Das Entsetzen darüber findet sich mittlerweile überall auf der Welt. Das deutsche Wirtschaftsministerium hat jüngst eine Studie erstellen lassen, mit wie viel mehr Arbeitslosigkeit zu rechnen sei, sollte Trump ins Weiße Haus einziehen und sein Wirtschaftsprogramm umsetzen können.
Aber auch Demokratin Clinton äußert sich längst offen skeptisch zu Freihandelsabkommen. Und wie kompliziert die Debatte über diese Abkommen geworden ist, zeigt ein Besuch bei Joseph Stiglitz. Der Gegensatz zwischen ihm und Trump könnte größer kaum sein.
Er hat einen Nobelpreis in Ökonomie, gilt als Ikone der amerikanischen Linken, kämpfte als Chefvolkswirt der Weltbank für unterentwickelte Staaten in Afrika. Doch um zu erklären, was in diesem Jahr bei den Wahlen auf dem Spiel steht, muss Stiglitz den Gesprächstermin mit der WirtschaftsWoche überziehen.
Amerikas Mittelschicht ist enttäuscht
Zu viele Gründe gilt es schließlich zu nennen, weshalb der Wissenschaftler Stiglitz modernen Freihandel ähnlich kritisch sieht wie Populist Trump. „In erster Linie profitieren die Konzerne“, sagt er. Das Versprechen, dass durch den freien Warenverkehr mehr Jobs und mehr Wohlstand für alle entstünden, habe sich schlicht nicht erfüllt. Konzerne hätten ihre Gewinne nicht an Angestellte und Konsumenten weitergegeben. Während die reichsten der Reichen immer wohlhabender würden, habe sich etwa das mittlere Haushaltseinkommen in den USA inflationsbereinigt seit 1989 um weniger als ein Prozent erhöht.
„Wir alle haben die Mittelschicht enttäuscht“, sagt Stiglitz. Aber er fügt hinzu, diese Analyse sei ein Aufruf, den Freihandel „besser zu managen“, statt ihn zu verdammen. Dass Trump für so ein besseres Management keine Vorschläge hat, daran lässt Stiglitz keinen Zweifel: „Dessen Forderungen nach niedrigeren Unternehmenssteuern und weniger Auflagen sind genau die falschen Konzepte.“
Die Wirtschaftsberater von Donald Trump
Der Hedgefondsmanager wettete 2007 gegen den überhitzten Immobilienmarkt und machte dadurch Milliarden Dollar Gewinn für sich und seine Investoren. Jüngst waren seine Einschätzungen zu Aktienentwicklungen und Konjunktur jedoch weniger akkurat. In den vergangenen fünf Jahren büßten seine Investments massiv an Wert ein.
Quelle: Reuters
Der Investmentmanager ist Chef der von ihm 1992 mitbegründeten Beteiligungsgesellschaft Cerberus Capital Management. Unter seiner Führung war das Unternehmen auch größter Anteilseigner von Chrysler, bis der Autobauer 2009 mit staatlicher Hilfe saniert wurde.
David Malpass war Vize-Staatssekretär im Finanzministerium unter Präsident Ronald Reagan und Vize-Staatssekretär im Außenministerium unter Präsident George Bush senior sowie Chefvolkswirt der Investmentbank Bear Stearns. Derzeit leitet er die Investmentberatungsfirma Encima Global. Er ist ein scharfer Kritiker der Geldpolitik der US-Notenbank, fordert mehr Investitionen in die Infrastruktur und Steuersenkungen.
Peter Navarro ist der einzige Vertreter auf Trumps Beraterliste, der in Wirtschaftswissenschaften promovierte. Derzeit lehrt er als Wirtschaftsprofessor an der University of California in Irvine. Drei seiner neun Bücher befassen sich kritisch mit Chinas Rolle in der Welt. Er fordert einen Importzoll in Höhe von 45 Prozent auf chinesische Waren. Die USA sollten seiner Meinung nach eine strengere Haltung zu Diebstahl geistigen Eigentums und in Handelsfragen einnehmen.
Howard Lorber ist Chef der Vector Group, die Zigaretten herstellt und im Immobiliengeschäft aktiv ist. Laut Trumps Wahlkampfstab ist Lorber einer der besten Freunde Trumps.
Der Investmentmanager konzentriert sich auf Finanzierungsvorhaben in der Unterhaltungsbranche. Der Ex-Goldman-Sachs-Partner ist Chef der Beteiligungsgesellschaft Dune Capital Management. Er hat in der Vergangenheit häufig Geld an die Demokraten gespendet, einschließlich deren Kandidatin Hillary Clinton. Mit Trump ist er nach eigenen Angaben seit mehr als 15 Jahren privat und beruflich verbunden.
Dan Dimicco ist Ex-Chef der Nucor Corp, einem der größten US-Stahlproduzenten. Er ist ein scharfer China-Kritiker und tritt ein für neue Handelsregeln zugunsten der US-Industrie.
Stephen Moore ist einer der führenden konservativen US-Wirtschaftsexperten, der für das "Wall Street Journal" arbeitete und derzeit der Denkfabrik Heritage Foundation angehört. Er gründete die Anti-Steuern-Lobbygruppe Club of Growth.
Der Immobilienfinancier und Hotelentwickler ist ein langjähriger Freund Trumps. Er ist Gründer und Chef der Beteiligungsgesellschaft Colony Capital.
Höhere Importzölle werden Amerika schaden
„Ökonomischen Unsinn“, so nennt auch Robert Lawrence, Professor für internationalen Handel an der Harvard University, die Wirtschaftspläne des Republikaners. Importzölle auf ausländische Güter, wie sie Trump vorschlägt, würden weder amerikanischen Unternehmern noch Arbeitern helfen, ganz im Gegenteil. Denn dann müssten US-Konsumenten für Kleidung, Elektroartikel oder Spielzeuge, die aus dem Ausland eingeführt werden, weit tiefer in die Tasche greifen. „Die Mittelschicht verliert 29 Prozent an Kaufkraft, wenn sich Amerika abschottet“, rechnet Lawrence vor. Angehörige der Unterschicht, die mehr für Konsum ausgeben, 62 Prozent.
Auch die gesamte heimische Wirtschaft wäre betroffen. „Ein signifikanter Anteil aller importierten Waren werden in den USA weiterverarbeitet“, sagt Lawrence. Importzölle bremsten den Wirtschaftskreislauf aus – zum Leidwesen heimischer Produktionsstätten wie der von Rolls-Royce in Virginia.
Unternehmen finden kaum passende Bewerber
Tatsächlich wurden US-weit seit 2010 mehr als eine Million neuer Jobs in der Industrie geschaffen, zumeist gut dotierte. Im Schnitt zahlen Exportunternehmen 18 Prozent höhere Löhne als Konkurrenten, die auf den Heimatmarkt fokussiert sind. Viele von ihnen tun sich aber schwer, freie Stellen zu besetzen. „Ich würde sofort zehn neue Mitarbeiter einstellen, finde aber keine passenden Bewerber“, sagt Rolls-Royce-Manager Sodell. Nun rächt sich, dass Industriepolitik in den servicefixierten USA lange als verpönt galt. Zudem haben weder Unternehmen noch Staat viel in die Weiterbildung von Arbeitern investiert. Eine weitere Folge: US-Amerikaner, die lange arbeitslos waren und nicht mehr auf dem neuesten Stand sind, haben Schwierigkeiten, je wieder einen neuen Job zu finden.
„Hier sollte die Politik ansetzen“, sagt Joseph Stiglitz. Sie müsse Unternehmen, die vom Freihandel profitieren, „konsequent besteuern“ und das Geld verwenden, um amerikanischen Arbeitskräften Weiterbildung zu ermöglichen. Trump hingegen setze auf „eine neoliberale Politik, die die heutige Situation erst herbeigeführt“ habe. Konzepte, wie arbeitssuchende US-Amerikaner fit für das 21. Jahrhundert gemacht werden können, hat der US-Milliardär bisher in der Tat nicht vorgelegt.
"Trump wäre ein Desaster für die Innovationskraft Amerikas"
So verwundert es nicht, dass große Teile der Wirtschaft gegen Trump mobil machen. Amerikas Technologiebranche etwa steht nahezu geschlossen gegen den Republikaner und dessen Pläne. In einem offenen Brief haben sich im Sommer Führungspersonen von Branchengrößen – wie Facebook, Google oder Apple – sowie Start-ups gegen den Präsidentschaftskandidaten Trump ausgesprochen.
Einer der Unterzeichner: Clayton Banks, Gründer von Silicon Harlem, einem Unternehmen, das den afroamerikanisch geprägten Stadtteil im Norden Manhattans zum Innovationszentrum umbauen will. „Trump wäre ein Desaster für die Innovationskraft Amerikas“, sagt Banks. Um auch in der Zukunft kreativ und wettbewerbsfähig zu sein, brauche Amerika Zuwanderung aus allen Kulturen, den freien Gedankenaustausch und einen ungehinderten Zugang zum Internet.
Clintons wirtschaftspolitische Pläne
Clinton will in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit das umfassendste Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg in Infrastruktur, Industrie, Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und Mittelstandförderung anstoßen. Sie will über fünf Jahre aus staatlichen und privaten Quellen 275 Milliarden Dollar mobilisieren, um die Verkehrs- und Netz-Infrastruktur zu verbessern. Damit und mit anderen Mitteln will sie über zehn Millionen neue Jobs schaffen. Die Industrie soll stärker werden. Gelingen soll das mit einer Partnerschaft von Wirtschaft, Arbeitnehmern, der Regierung und Verwaltungen sowie der Wissenschaft. Firmen sollen sich verpflichten, Jobs und Investitionen statt in Übersee in den USA zu halten. Dafür sollen sie finanzielle Vorteile genießen. Besonders gefördert werden sollen strukturschwache Regionen. Die Position der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften will Clinton stärken. Der Mindestlohn soll von 7,25 Dollar je Stunde auf zwölf, zuletzt war gar von 15 Dollar die Rede, erhöht werden.
Clinton verspricht ein gerechteres und einfacheres Steuersystem. Multi-Millionäre und Milliardäre sollen einen Steueraufschlag zahlen, Arbeitnehmerhaushalte und Familien entlastet werden. Steuerschlupflöcher für Firmen und Privatpersonen will Clinton schließen. Unternehmen, die ihre Gewinne in Steueroasen transferieren, sollen eine Extra-Steuer zahlen. Investitionen von Unternehmen in den USA selbst will sie begünstigen und dabei kleine Firmen besonders entlasten. Gleiches gilt für Familien, die Sonderlasten tragen, weil sie beispielsweise ältere und erkrankte Familienangehörige pflegen.
Die US-Finanzindustrie will Clinton enger an die Leine legen. Wall-Street-Riesen sollen einen Extra-Zuschlag zahlen, der sich nach ihrer Größe und ihrem Risikogewicht für die Branche richtet. Bestehende Möglichkeiten für Großbanken, Kundengelder in Hochrisikofeldern zu investieren, will sie beschneiden. Top-Banker sollen bei Verlusten ihrer Institute mit Bonus-Einbußen rechnen. Der Hochfrequenzhandel soll besteuert werden. Riesige und undurchschaubare Finanzriesen sollen stärker kontrolliert und im Zweifel aufgespalten werden. Clinton will Finanzmanager auch stärker in Mithaftung nehmen, wenn in ihren Instituten gegen geltendes Recht verstoßen wird.
Clinton verspricht, schärfer gegen Länder wie China vorzugehen, wenn diese internationale Freihandelsregeln verletzen und damit amerikanischen Arbeitsplätzen schaden. Sie will Nein sagen zu Handelsabkommen, wie der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP), die nicht den US-Standards genügen, etwa mit Blick auf die Bezahlung von Arbeitnehmern. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will sie neu verhandeln. Zum US-EU-Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit verhandelt wird, äußerte sie sich in jüngster Zeit zwar nicht direkt, doch war sie schon früher auch dazu auf Distanz gegangen und will in Freihandelsabkommen generell die amerikanischen Interessen besser zum Tragen kommen lassen. „Amerika fürchtet den Wettbewerb nicht“, gibt sie sich insgesamt kämpferisch.
In Umwelt- und Energiepolitik will Clinton Zeichen setzen. Sie will Amerika zur weltweiten „Supermacht“ des 21. Jahrhunderts in Sachen saubere Energie machen.
Clinton will Schluss damit machen damit, dass sich US-Bürger wegen einer College- oder Universitätsausbildung hoch verschulden. Sie will für eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie und gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgen. Bei Krankheit und im Alter soll es mehr soziale Sicherheit geben.
Doch wäre Demokratin Clinton aus Sicht der Wirtschaft die bessere Wahl? Martin Richenhagen ist sich da nicht so sicher. Der Deutsche, 64, amtiert als Chef von Agco, dem drittgrößten Landmaschinenhersteller der Welt, in Duluth in Georgia, eine halbe Autostunde von Atlanta entfernt. Richenhagen ist neben Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld einer von nur zwei deutschen Chefs eines der 500 größten US-Unternehmen.
Seit 2011 hat er einen amerikanischen Pass: Richenhagen wird wählen. Und er macht sich Sorgen. „Ich halte beide Kandidaten für vollkommen ungeeignet.“ Beide wollten die nationale Wirtschaft gegenüber Billigimporten abschotten. „Und beide sind gegen Freihandel. Das ist eine Katastrophe.“ Selbst das weit moderatere Programm von Clinton sei „wenig präzise“, so Richenhagen, und streckenweise einfach irritierend.
Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken
Dieser Meinung ist jeder zweite Amerikaner – aber nur jeder fünfte Deutsche.
Hier sind sich die Deutschen und die Amerikaner nahezu einige: Jeweils jeder Fünfte glaubt das.
Dieser Ansicht sind zwölf Prozent der befragten Amerikaner und 61 Prozent der Deutschen.
Auch Clinton will Abkommen nachverhandeln
Tatsächlich stemmt sich auch Clinton, im Vorwahlkampf ihrer Partei vom Rivalen Bernie Sanders nach links getrieben, immer offener gegen die Nebenwirkungen der Globalisierung. Einst hatte sie die transpazifische Handelspartnerschaft TPP als „Goldstandard“ bezeichnet, was ihr Trump in der ersten TV-Debatte vorhielt. Heute ist Clinton entschieden dagegen. Das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP hätte wohl auch unter ihrer Ägide erst einmal keine Chance. Selbst das bestehende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta, einen großen politischen Erfolg ihres Mannes Bill, will sie mittlerweile „nachverhandeln“.
Ob die politische Macht des US-Präsidenten ausreichte, um den Freihandel einzudämmen, darauf bietet die amerikanische Verfassung, wie auf so viele Fragen, keine glasklare Antwort. Immerhin existiert das merkwürdige Instrument der „Executive Orders“, mit denen US-Präsidenten weitgehend durchregieren dürfen – und ihre eigenen politischen Vorstellungen so gut wie ungefiltert durchsetzen können. So strich Ronald Reagan einst einfach Mittel für Abtreibungen, Obama setzte so Klimapolitik durch, gegen die sich Republikaner im Kongress lange sträubten. Und mit diesem Wundermittel könnten Clinton oder Trump auch versuchen, per Federstrich aus TPP auszusteigen, die TTIP-Verhandlungen zu stoppen oder mit horrenden Strafzöllen neue Handelskriege vom Zaun zu brechen. Was wir derzeit im aufgeheizten Streit um Milliardenforderungen gegen die Deutsche Bank oder VW erleben, wäre dann womöglich erst ein Vorgeschmack.
Allerdings ist der Kongress stets geneigt, derartige Alleingänge so schwer wie möglich zu machen. Doch würden die Abgeordneten das auch in (Frei-)Handelsfragen tun wollen? 160 von 188 Demokraten verweigerten ihrem Präsidenten Barack Obama vor Kurzem mehr Spielraum bei den Verhandlungen zu TPP. Und auch in den Reihen der Republikaner, traditionell die Partei des Freihandels, wächst die Zahl der Handelsskeptiker stetig.
Die Globalisierung, so viel steht fest, ist kein Wahlkampfschlager in den USA. Schlimmer noch: Sie ist, weitgehend abgelehnt, der kleinste gemeinsame Nenner von Trump und Clinton.