So verwundert es nicht, dass große Teile der Wirtschaft gegen Trump mobil machen. Amerikas Technologiebranche etwa steht nahezu geschlossen gegen den Republikaner und dessen Pläne. In einem offenen Brief haben sich im Sommer Führungspersonen von Branchengrößen – wie Facebook, Google oder Apple – sowie Start-ups gegen den Präsidentschaftskandidaten Trump ausgesprochen.
Einer der Unterzeichner: Clayton Banks, Gründer von Silicon Harlem, einem Unternehmen, das den afroamerikanisch geprägten Stadtteil im Norden Manhattans zum Innovationszentrum umbauen will. „Trump wäre ein Desaster für die Innovationskraft Amerikas“, sagt Banks. Um auch in der Zukunft kreativ und wettbewerbsfähig zu sein, brauche Amerika Zuwanderung aus allen Kulturen, den freien Gedankenaustausch und einen ungehinderten Zugang zum Internet.
Clintons wirtschaftspolitische Pläne
Clinton will in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit das umfassendste Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg in Infrastruktur, Industrie, Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und Mittelstandförderung anstoßen. Sie will über fünf Jahre aus staatlichen und privaten Quellen 275 Milliarden Dollar mobilisieren, um die Verkehrs- und Netz-Infrastruktur zu verbessern. Damit und mit anderen Mitteln will sie über zehn Millionen neue Jobs schaffen. Die Industrie soll stärker werden. Gelingen soll das mit einer Partnerschaft von Wirtschaft, Arbeitnehmern, der Regierung und Verwaltungen sowie der Wissenschaft. Firmen sollen sich verpflichten, Jobs und Investitionen statt in Übersee in den USA zu halten. Dafür sollen sie finanzielle Vorteile genießen. Besonders gefördert werden sollen strukturschwache Regionen. Die Position der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften will Clinton stärken. Der Mindestlohn soll von 7,25 Dollar je Stunde auf zwölf, zuletzt war gar von 15 Dollar die Rede, erhöht werden.
Clinton verspricht ein gerechteres und einfacheres Steuersystem. Multi-Millionäre und Milliardäre sollen einen Steueraufschlag zahlen, Arbeitnehmerhaushalte und Familien entlastet werden. Steuerschlupflöcher für Firmen und Privatpersonen will Clinton schließen. Unternehmen, die ihre Gewinne in Steueroasen transferieren, sollen eine Extra-Steuer zahlen. Investitionen von Unternehmen in den USA selbst will sie begünstigen und dabei kleine Firmen besonders entlasten. Gleiches gilt für Familien, die Sonderlasten tragen, weil sie beispielsweise ältere und erkrankte Familienangehörige pflegen.
Die US-Finanzindustrie will Clinton enger an die Leine legen. Wall-Street-Riesen sollen einen Extra-Zuschlag zahlen, der sich nach ihrer Größe und ihrem Risikogewicht für die Branche richtet. Bestehende Möglichkeiten für Großbanken, Kundengelder in Hochrisikofeldern zu investieren, will sie beschneiden. Top-Banker sollen bei Verlusten ihrer Institute mit Bonus-Einbußen rechnen. Der Hochfrequenzhandel soll besteuert werden. Riesige und undurchschaubare Finanzriesen sollen stärker kontrolliert und im Zweifel aufgespalten werden. Clinton will Finanzmanager auch stärker in Mithaftung nehmen, wenn in ihren Instituten gegen geltendes Recht verstoßen wird.
Clinton verspricht, schärfer gegen Länder wie China vorzugehen, wenn diese internationale Freihandelsregeln verletzen und damit amerikanischen Arbeitsplätzen schaden. Sie will Nein sagen zu Handelsabkommen, wie der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP), die nicht den US-Standards genügen, etwa mit Blick auf die Bezahlung von Arbeitnehmern. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will sie neu verhandeln. Zum US-EU-Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit verhandelt wird, äußerte sie sich in jüngster Zeit zwar nicht direkt, doch war sie schon früher auch dazu auf Distanz gegangen und will in Freihandelsabkommen generell die amerikanischen Interessen besser zum Tragen kommen lassen. „Amerika fürchtet den Wettbewerb nicht“, gibt sie sich insgesamt kämpferisch.
In Umwelt- und Energiepolitik will Clinton Zeichen setzen. Sie will Amerika zur weltweiten „Supermacht“ des 21. Jahrhunderts in Sachen saubere Energie machen.
Clinton will Schluss damit machen damit, dass sich US-Bürger wegen einer College- oder Universitätsausbildung hoch verschulden. Sie will für eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie und gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgen. Bei Krankheit und im Alter soll es mehr soziale Sicherheit geben.
Doch wäre Demokratin Clinton aus Sicht der Wirtschaft die bessere Wahl? Martin Richenhagen ist sich da nicht so sicher. Der Deutsche, 64, amtiert als Chef von Agco, dem drittgrößten Landmaschinenhersteller der Welt, in Duluth in Georgia, eine halbe Autostunde von Atlanta entfernt. Richenhagen ist neben Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld einer von nur zwei deutschen Chefs eines der 500 größten US-Unternehmen.
Seit 2011 hat er einen amerikanischen Pass: Richenhagen wird wählen. Und er macht sich Sorgen. „Ich halte beide Kandidaten für vollkommen ungeeignet.“ Beide wollten die nationale Wirtschaft gegenüber Billigimporten abschotten. „Und beide sind gegen Freihandel. Das ist eine Katastrophe.“ Selbst das weit moderatere Programm von Clinton sei „wenig präzise“, so Richenhagen, und streckenweise einfach irritierend.
Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken
Dieser Meinung ist jeder zweite Amerikaner – aber nur jeder fünfte Deutsche.
Hier sind sich die Deutschen und die Amerikaner nahezu einige: Jeweils jeder Fünfte glaubt das.
Dieser Ansicht sind zwölf Prozent der befragten Amerikaner und 61 Prozent der Deutschen.
Auch Clinton will Abkommen nachverhandeln
Tatsächlich stemmt sich auch Clinton, im Vorwahlkampf ihrer Partei vom Rivalen Bernie Sanders nach links getrieben, immer offener gegen die Nebenwirkungen der Globalisierung. Einst hatte sie die transpazifische Handelspartnerschaft TPP als „Goldstandard“ bezeichnet, was ihr Trump in der ersten TV-Debatte vorhielt. Heute ist Clinton entschieden dagegen. Das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP hätte wohl auch unter ihrer Ägide erst einmal keine Chance. Selbst das bestehende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta, einen großen politischen Erfolg ihres Mannes Bill, will sie mittlerweile „nachverhandeln“.
Ob die politische Macht des US-Präsidenten ausreichte, um den Freihandel einzudämmen, darauf bietet die amerikanische Verfassung, wie auf so viele Fragen, keine glasklare Antwort. Immerhin existiert das merkwürdige Instrument der „Executive Orders“, mit denen US-Präsidenten weitgehend durchregieren dürfen – und ihre eigenen politischen Vorstellungen so gut wie ungefiltert durchsetzen können. So strich Ronald Reagan einst einfach Mittel für Abtreibungen, Obama setzte so Klimapolitik durch, gegen die sich Republikaner im Kongress lange sträubten. Und mit diesem Wundermittel könnten Clinton oder Trump auch versuchen, per Federstrich aus TPP auszusteigen, die TTIP-Verhandlungen zu stoppen oder mit horrenden Strafzöllen neue Handelskriege vom Zaun zu brechen. Was wir derzeit im aufgeheizten Streit um Milliardenforderungen gegen die Deutsche Bank oder VW erleben, wäre dann womöglich erst ein Vorgeschmack.
Allerdings ist der Kongress stets geneigt, derartige Alleingänge so schwer wie möglich zu machen. Doch würden die Abgeordneten das auch in (Frei-)Handelsfragen tun wollen? 160 von 188 Demokraten verweigerten ihrem Präsidenten Barack Obama vor Kurzem mehr Spielraum bei den Verhandlungen zu TPP. Und auch in den Reihen der Republikaner, traditionell die Partei des Freihandels, wächst die Zahl der Handelsskeptiker stetig.
Die Globalisierung, so viel steht fest, ist kein Wahlkampfschlager in den USA. Schlimmer noch: Sie ist, weitgehend abgelehnt, der kleinste gemeinsame Nenner von Trump und Clinton.